Straßengüterverkehr: Rennen der "Alternativen"
Wie ist der aktuelle Stand bei den Antriebsalternativen für den Straßengüterverkehr?
Jan Zerhusen: Mittlerweile hat die Oberleitung als Technologie stark an Relevanz verloren. Die Batterie ist klar in vielen Lkw-Anwendungen heute das Mittel der Wahl. E-Fuels werden immer noch als Zukunftstechnologie gehandelt, obwohl wir da eher skeptisch sind für eine breite Anwendung im Straßengüterverkehr. Und Wasserstoff ist noch nicht im großen Maßstab verfügbar, kann aber zukünftig in vielen Bereichen seine Vorteile ausspielen.
Warum werden überhaupt neben batterieelektrischen weitere Alternativen diskutiert?
Zerhusen: Die Batterie im Lkw-Verkehr ist gesetzt und wird beständig weiterentwickelt. Irgendwann kann die Batterie aber nicht noch günstiger und leichter werden - und irgendwann kommen auch die Ladeinfrastruktur und das Stromnetz hinsichtlich ihrer Leistung an ihre Grenzen. Es gibt sogar schon Ladesäulen, die von einer stationären Brennstoffzelle oder Batterien unterstützt werden, um die Leistungsspitzen fürs Stromnetz zu dämpfen.
Die Frage lautet also: Wann und an welchen Standorten ist der weitere Ausbau der Ladeinfrastruktur so schwierig, dass nicht eine andere Technologie vorteilhafter ist. Wasserstoff hat sicher auch seine Herausforderungen, aber hinsichtlich Reichweite, Betankungsgeschwindigkeit und Ladeleistung bietet er klare Vorteile. Außerdem benötigen wir im künftigen dekarbonisierten Energiesystem sowie in der Industrie ohnehin Wasserstoff, und wenn es eines Tages eine Infrastruktur für den Energie- und Industriesektor gibt, kann auch der Straßengüterverkehr mit Wasserstoff versorgt werden.
Zusätzlich gibt es im Straßengüterverkehr Anwendungsfälle, die schwierig mit Batterie-, aber potenziell einfacher mit Wasserstofffahrzeugen dekarbonisiert werden können.
Welche unterschiedlichen H2-Kraftstoffe gibt es?
Zerhusen: Gasförmigen Wasserstoff (CGH2) gibt es in verschiedenen Druckstufen: Für eine technisch vergleichsweise einfache und günstige Kraftstoffversorgung ist ein geringerer Druck vorteilhaft - und mit 350 bar lassen sich zudem ordentliche Reichweiten realisieren. Wenn man den Druck erhöht, steigt im Kraftstoffbehälter die Energiedichte: 700 bar ist die zweite etablierte Druckstufe - wobei doppelter Druck zwar mehr, aber nicht doppelte Reichweite und gleichzeitig spürbar höhere Kosten bedeutet. Als Kompromiss werden 500 bar als dritte Druckstufe diskutiert. Die meisten Wasserstoff-Lkw sind heute auf 350 bar ausgelegt.
Neben den gasförmigen gibt es tiefkalte Varianten (minus 253 Grad Celsius): Eine deutlich höhere Energiedichte im Fahrzeug schafft man mit Flüssig-Wasserstoff (LH2) respektive Subcooled Liquid Hy-drogen (sLH2) - ein Ansatz, den zum Beispiel Daimler verfolgt und bis etwa 2030 zur Marktreife bringen will.
Und es gibt kryo-komprimierten Wasserstoff (CcH2), eine Mischung aus flüssig und gasförmig. Ideal für einen einfachen Transport und eine schnelle Betankung ist Flüssig-Wasserstoff an Tankstellen, der allerdings zentral verflüssigt werden muss. Das ist aktuell teuer und energieintensiv, in Europa gibt es im Moment drei Standorte zur Verflüssigung. Effizienzsteigerung, Kostensenkung und ein Aufbau weiterer Verflüssigungskapazitäten wären hier also erforderlich. Ergänzend könnte auch LH2 importiert werden.
Welchen H2-Kraftstoff erwarten Sie im Straßengüterverkehr?
Zerhusen: Die Vorteile von Wasserstoff sind vor allem hohe erzielbare Reichweiten und eine schnelle Betankung. Mit 350 bar schafft man mit rund zehn Minuten eine schnelle Betankung, aber keine 1.000 Kilometer Reichweite. Flüssig- oder kryo-komprimierter Wasserstoff hat eine größere Energiedichte im Tank und ermöglicht höhere Reichweiten. Es ist heute noch nicht ganz klar, welche Technologie sich bei welcher Anwendung durchsetzt, weil es so viele Entwicklungen parallel gibt: Kundenanspruch, Technologieentwicklung, Infrastruktur, Kosten. Potenziell gibt es künftig mehr als einen H2-Kraftstoff.
Wie sieht es mit der Infrastruktur aus?
Zerhusen: Der Pkw ist im Bereich Wasserstoff nicht mehr annähernd so relevant wie es früher diskutiert wurde. Seit rund fünf Jahren steht der Lkw im Fokus. Daher werden die bestehenden H2-Tankstellen für Pkw aktuell nach und nach umgerüstet, um dann Lkw betanken zu können. Der Fokus liegt dabei auf 350-bar-Tankstellen. Zudem hat sich die Strategie geändert: Wollte man für Pkw flächendeckend Tankstellen, werden die Stationen für Lkw bedarfsorientiert entlang bestimmter, nachgefragter Routen eingerichtet. Im Jahr 2024 gab es übrigens 1.160 und damit erstmals weltweit über 1.000 öffentliche Wasserstofftankstellen.
Wie sieht das Engagement beim Thema Wasserstoff international aus?
Zerhusen: Generell braucht man einen langen Atem, viel Geld und muss an vielen Schräubchen gleichzeitig drehen, um das Ökosystem Wasserstoff zu entwickeln. Kalifornien ist nicht mehr der Frontrunner wie noch vor fünf Jahren. China sticht international derzeit heraus: Das Land hat Wasserstoff auch im Straßengüterverkehr als strategisches Thema gesetzt und weist aktuell die meisten Aktivitäten im Bereich Wasserstoff-Straßenverkehr auf. Daneben spielen Japan und Südkorea eine große Rolle, Europa muss sich aber nicht verstecken angesichts vieler Aktivitäten, engagierter Stakeholder und innovativer Ideen. Generell sind es für Wasserstoff-Befürworter herausfordernde Zeiten, einige Pläne wurden zurückgeschraubt, einige der Hoffnungen zum schnellen Einstieg in die H2-Wirtschaft haben sich international nicht erfüllt. Aber es wird weiter daran gearbeitet.