Zeitarbeit

ZeitarbeitWas wird aus Zeitarbeit?Zeitarbeitskräfte bescherten vielen Transport- und Speditionsbetrieben in den letzten Jahren viel Flexibilität. Doch die goldenen Zeiten der Zeitarbeit könnten bald vorbei sein. Warum das so ist und was sich für Firmen ändern könnte.Deutsche Zeitarbeitsfirmen wissen: Die Transport- und Logistikbranche ist einer ihrer besten Kunden. Nahezu in jedem größeren Logistikbetrieb sind Zeitarbeiter tätig. Mitte 2010 waren sogar 75.000 Leute in Verkehrsberufen eingesetzt. Davon entfiel der größte Teil, nämlich 65.000, auf Lager- und Transportmitarbeiter. An LKW-Fahrern waren immerhin 5900 als Zeitarbeiter gemeldet, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg (IAB). Über was die Politik jetzt streitetDiese Zahlen zeigen: Es sind die Läger und Logistikzentren, die Leiharbeit oder Zeitarbeit massiv nutzen. In der Krise brauchten die Transport- und Speditionsbetriebe die Leute plötzlich nicht mehr, im jetzigen starken Aufschwung benötigten sie diese dafür in großer Zahl und sehr kurzfristig. Dank des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, 2004 von einer rot-grünen Bundesregierung stark liberalisiert, profitierten die extrem konjunkturabhängigen Transport- und Logistikbetriebe also von einer ungeahnt hohen Flexibilität.Doch diese goldenen Zeiten könnten bald vorbei sein. Die SPD will wieder einsammeln, womit sie damals die Wirtschaft beglückte. Sie will nicht nur einen Mindestlohn für die Zeitarbeitsbranche (den diese Branche auch will), sondern auch „Equal Pay“, also eine schrittweise Gleichbezahlung von Zeitarbeitern und permanenten Mitarbeitern in den Betrieben. Und das wollen weder Arbeitgeber noch die Zeitarbeitsfirmen. Durch eigene Tarifverträge hatten sich die Zeitarbeitsfirmen vom Grundsatz der Gleichbehandlung und Gleichbezahlung befreit, wie er im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz schon seit 2004 festgeschrieben ist. Für viele in der Branche besonders ärgerlich: Sogar die sonst so liberale FDP erwärmt sich nun für Equal Pay, wenn dafür Mindestlöhne tabu bleiben. Die CDU aber würde nur den Mindestlohn billigen, einzelne Minis-terpräsidenten haben sich für Equal Pay ausgesprochen. Derweil haben die Gewerkschaften sich auf das Thema Zeitarbeit eingeschossen. So plant die IG Metall am 24. Februar einen Aktionstag unter dem Motto: Gleiche Arbeit, gleiches Geld. „Zeitarbeitsbranche ist das Faustpfand“Und im Vermittlungsausschuss des Bundesrates stecken die Parteien fest. Eigentlich sollte bis zur Bundesratssitzung am 11. Februar 2011 eine Einigung erzielt sein. Kurz vor der entscheidenden Sitzung vertagten die Ministerpräsidenten die Abstimmung aber nochmals. Zum Redaktionsschluss stand nicht einmal fest, ob Mindestlohn und Equal Pay in der nächsten Runde des Vermittlungsausschusses zur Verhandlungsmasse der zerstrittenen Parteien zählen oder später auf anderem Wege geklärt werden. Denn das Kuriose ist, dass es in dem strittigen Gesetzentwurf gar nicht um Arbeitnehmerüberlassung geht, sondern um die Neugestaltung der Hartz-IV-Gesetze, konkret einen um fünf Euro höheren Regelsatz für jeden Empfänger von Arbeitslosengeld II. „Die Zeitarbeitsbranche ist das Faustpfand“, sagt Marcus Schulz, Deutschland-Chef der Zeitarbeitsfirma USG People. Er sieht schwarz, wenn Equal Pay kommt: „Dann verlassen viele Firmen das Land“, sagt er. Ein wichtiger Logistikkunde von USG habe einen großen Standort verkleinert und ins benachbarte Osteuropa verlagert. Auch wenn es für viele Transportbetriebe wünschenswert sei, nah am Puls der boomenden deutschen Wirtschaft zu bleiben, schränkt Schulz ein: „Noch überwiegen die Standortvorteile die Kostenvorteile.“ USG wie auch andere Mitglieder im Bundesverband Zeitarbeit (BZA) können sich rühmen, unter dem Dach ihres Verbands längst einen ordentlichen Tarifvertrag mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ausgehandelt zu haben. Die Tarife liegen zwar weit unter den 8,50 Euro, die für den Westen Deutschlands als Mindestlohn immer gehandelt werden. Aber eine schrittweise Steigerung auf 8,19 Euro West und 7,50 Euro Ost ist bis 2012 schon vereinbart.Außerdem, so wiederholt Schulz das Mantra der Branche: Zwei Drittel der eingestellten Zeitarbeiter waren vorher arbeitslos; ihre Produktivität sei geringer; sie müssten geschult werden; man baue ihnen eine Brücke in den Arbeitsmarkt; insofern sei es gerecht, dass sie etwas weniger Entgelte bekämen als ein fest angestellter Mitarbeiter am Einsatzort. Schulz hält einen Mindestlohn von 7,60 bis 8 Euro für die Zeitarbeit in Westdeutschland für angemessen und steht damit in seiner Branche nicht allein. Viele große Zeitarbeitsbetriebe plädieren für den Mindestlohn, um ihr Image zu verbessern und schwarze Schafe aus ihren Reihen zu verbannen. Polnische Löhne in Deutschland?Hinzu kommt, dass ein Termin naht, der das gesamte Geschäftsmodell der Branche auf den Kopf stellen könnte: Ab dem 1. Mai 2011 gilt in der EU die uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleis-tungsfreiheit, und zwar auch für die jüngsten EU-Mitglieder wie Polen (siehe VR 6/2011). Dann könnten polnische Leiharbeitnehmer zu polnischen Löhnen in den deutschen Markt drängen. ➞ Eine Aufnahme der Zeitarbeit in das Arbeitnehmerentsendegesetz könnte das verhindern. Dieser Plan ist von der Bundesarbeitsministerin im Poker um die Hartz-IV-Neuregelung zumindest zu Protokoll genommen worden. Während dies unter anderem der Bundesverband der deutschen Arbeitgeber begrüßt, äußert sich der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) eher verhalten: „Wir wollen kein neues Schlupfloch für Lohndumping“, sagt BGL-Hauptgeschäftsführer Karlheinz Schmidt. Ob die Zeitarbeiter nun einen Euro mehr oder weniger bekämen, sei „nicht der entscheidende Kostenfaktor“ für die Mitgliedsfirmen. Gerade in der Lagerlogistik hätten sie stets eine Reserve an Hilfskräften auf 400-Euro-Basis und könnten auch befristete Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Zum Thema Equal Pay meint Schmidt, das Ganze würde wegen regionaler und branchenspezifischer Unterschiede der Tarife sehr unübersichtlich. „Findige Unternehmer werden stets eine Lösung finden“, sagt er.Was das Thema Equal Pay so kompliziert macht: Die Zeitarbeitsfirmen sind in drei verschiedenen Verbänden organisiert, wovon einer, der Arbeitgeberverband mittelständischer Personaldienstleister (AMP), sein Tarifwerk mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen ausgehandelt hat – eine Vereinbarung, die Mitte Dezember vom Bundesarbeitsgericht für nichtig erklärt worden ist. Die Tarifgemeinschaft sei nicht tariffähig, hieß es. Ob somit – mangels gültigen Tarifvertrags – für die AMP-Mitglieder jetzt schon Equal Pay gilt, ist strittig. Eigentlich wollte die AMP mit dem Bundesverband Zeitarbeit fusionieren, um so die Allgemeinverbindlichkeit ihrer Tarifverträge zu erreichen, weil sie nur gemeinsam 70 Prozent der Zeitarbeiter in Deutschland abdecken würden. Das stockt nun.Werkverträge – als letzter Ausweg?Was ist, wenn der Mindestlohn nicht kommt? Dann sollten, rät USG-Chef Schulz, die deutschen Transport- und Logistikfirmen sich trotzdem um eine „gefühlte Lohngerechtigkeit“ in ihren Betrieben bemühen. Er empfiehlt, einen branchenspezifischen Mindestlohn zu vereinbaren und seine Aufnahme in das Entsendegesetz zu betreiben. „Dann sind die Spielregeln für alle gleich. Dann funktioniert die Differenzierung im Wettbewerb endlich über die bessere Leis-tung und nicht mehr über möglichst niedrige Löhne für die Mitarbeiter.“ Noch weiß allerdings keiner, wie das Ringen im Vermittlungsausschuss enden wird (Stand zum Redaktionsschluss). In der Zeitarbeitsbranche ist man zwar optimistisch, dass der Mindestlohn beschlossen wird. Hinter vorgehaltener Hand rechnet man aber schon damit, dass Equal Pay Realität wird, dass es also bald per Gesetz (Tarifvertrag hin oder her) keine Ausnahmen mehr gibt von der Gleichbehandlung. Die spannende Frage ist dann nur noch die Frist der gleichen Entlohnung: nach der Mitarbeit von einem Monat (wie die SPD fordert), von neun Monaten (so das letzte Angebot der FDP) oder irgendwo dazwischen? Dann müssten ab sofort Zeitarbeitarbeitnehmer, die zum Beispiel länger als neun Monate in der Kundenfirma tätig sind, das gleiche Entgelt erhalten wie ihre fest angestellten Kollegen. Der bürokratische Aufwand würde wohl steigen, sowohl für Verleiher als auch für Leiher der Arbeitskräfte, weil man sich mit komplexen Eingruppierungen in den jeweils richtigen Tarif befassen müsste. Aber vermutlich fänden Fans der Zeitarbeit Wege, diese Regelungen zu umgehen. So könnte man die Verträge auf acht Monate und 30 Tage befristen und an den Platz im Lager nahtlos einen neuen Kollegen entsenden. Ein probates Mittel ist in solchen Fällen auch ein Ausweichen auf Werkverträge. Bezahlt wird dann nicht mehr nach Arbeitszeit, sondern pro bewegtes Päckchen. Die Zeitarbeitsfirma verleiht dann keine Arbeitkräfte mehr, sondern organisiert die gewünschte Leistung in Eigenregie in den Räumen und mit den Hilfsmitteln ihres Auftraggebers, also der Logistikfirma. ❙❚■ Cornelia Knust, freie JournalistinGleiches Geld für gleiche Arbeit – die Politik nimmt die Zeitarbeit ins VisierLäger müssen um ihre Zeitarbeitskräfte bangenDank des stark liberalisierten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes in 2004 durch Rot-Grün waren viele Dinge in der Zeitarbeit möglich, die vorher nicht möglich waren. Davon profitierten in den letzten Jahren viele Unternehmen, gerade die konjunkturabhängigen Transport- und Logistikbetriebe.Problem: Die SPD will diese Regelungen nun wieder einkassieren. Sie strebt nicht nur einen gesetzlichen Mindestlohn in der Zeitarbeit an, sondern auch eine schrittweise Gleichbezahlung von Zeitarbeitern und permanenten Mitarbeitern in den Unternehmen – Stichwort „Equal Pay“. Und genau darüber streitet sie derzeit mit der Regierungskoalition. Eigentlich sollte am 11. Februar der Bundesrat darüber entscheiden. Doch die Abstimmung wurde vertagt – jetzt ist wieder alles offen. ehZeitarbeit„Ich habe etwas gegen polnische Tarife in Deutschland“Eckard Gatzke kennt sich in beiden Welten aus. Der Chef der Zeitarbeitsfirma Randstad in Deutschland war auch lange Jahre TNT-Deutschland-Chef. Er weiß also, dass „Flexibilität eine eminent große Rolle für Logistikunternehmen“ spielt. Zur neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU zum 1. Mai 2011 sagt Gatzke: „Ich habe nichts gegen polnische Arbeiter oder Wettbewerber. Ich habe nur etwas gegen polnische Tarife, die in Deutschland zur Anwendung kommen.“ Werde also für die Zeitarbeitsbranche kein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt, rechnet er mit einem massiven Zustrom von billigen Leiharbeitern aus Polen, auch wenn manche Firmen den drohenden Wettbewerb aus Polen noch herunterspielen. Gatzke wörtlich: „Dazu sehen wir zu viele Aktivitäten jenseits der Oder. Wir sind nämlich auch Marktführer in Polen.“ Wer weiß: Vielleicht müssen deutsche Logistikfirmen in Zukunft auch nur die Telefonnummer von Randstad Polska wählen? Dazu befragt, wiegelt Gatzke ab: Eine Bedienung des deutschen Marktes über die polnische Tochter sei theoretisch möglich, aber nicht geplant und nicht praktikabel. ckEduard Gatzke, Deutschland-Chef der Zeitarbeits-firma RandstadRandstad und der MindestlohnZeitarbeitBleibt Zeitarbeit ein probates Mittel in der Logistikbranche? Noch hat der Gesetzgeber nicht entschieden, wohin die Reise in der Zeitarbeit in Zukunft führt: ob Mindestlohn oder aber „Equal Pay“, also gleiches Geld für gleiche Arbeit. Fest steht nur: Zeitarbeit wird in Zukunft für Unternehmen wohl teurer werden, die Zeitarbeiter beschäftigen wollen. Die Kosten waren aber noch nie der alles entscheidende Grund, warum Logistikbetriebe auf Zeitarbeit setzten. Entscheidend war für sie der Faktor Flexibilität. Dank Zeitarbeit können sie den Kündigungsschutz, der für ihre fest angestellten Mitarbeiter gilt, elegant umgehen. Gerade in volatilen Zeiten wie heute ist und bleibt dies aus Arbeitgebersicht der entscheidende Vorteil von Zeitarbeit. ehFazit

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