"Warum sagen Sie nicht Nein?"

Wann haben Sie zuletzt "Ja" gesagt, obwohl Sie eigentlich "Nein" gemeint haben? Jürgen Wolpert (Zufall Logistics): Das passiert leider immer wieder. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr ein Logistikprojekt angenommen, in dem die Umlagerungsprozesse ganz anders waren als mit dem Kunden vereinbart. Da hätten wir sofort Stopp rufen müssen; das haben wir aber nicht getan. Die Folge war, dass wir uns mehrere Monate mit diesem Problem auseinandersetzen mussten. Ein anderes Mal haben wir einem Kunden Laufzeiten zugesichert, die im Grunde nicht einzuhalten waren. Da wir aber zu unseren Versprechen stehen, setzen wir als Dienstleister unsere Zusagen um. Das kostet dann unser Geld. Warum sagen Sie dann nicht "Nein"? Wolpert (Zufall Logistics): Ein gutes Stück ist das falsch verstandene Kundenorientierung. Das findet aber in Stückgutspeditionen jeden Tag statt. Dabei funktioniert, wie wir alle wissen, ein 24-Stunden-Service in Deutschland ohne entsprechende Zusatzkosten nicht. Schon aufgrund der Volatilität der Mengen geht das nicht. Jürgen Klein (CargoNetwork): Das Nein-Sagen fällt uns Dienstleistern schwer. Das liegt auch daran, dass wir ein gutes Stück von unseren Kunden abhängig sind. Auch ich musste das Nein-Sagen erst lernen. Früher konnte ich das nicht wirklich. Je öfter ich aber "Nein" gesagt habe, desto mehr habe ich es gelernt. Und letztlich hat es uns geholfen - gerade bei den letzten Preisrunden. Wolpert (Zufall Logistics): Letztlich hilft es ja auch dem Kunden, wenn wir bestimmte Probleme offen ansprechen. Oft lassen sich Dinge dann anders, günstiger lösen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Ressource Fahrer begrenzt verfügbar ist. Aufgrund des E-Commerce-Booms werden immer mehr Sendungen an Privatkunden ausgeliefert. Aufgrund der Knappheit der Fahrer wird es dadurch für uns immer schwieriger, Kunden einen 24-Stunden-Service zu 100 Prozent zu garantieren. Das ist ein Thema, mit dem sich unsere Branche, aber auch die Wirtschaft, auseinandersetzen muss Matthias Strehl (Meyer Logistik): Das Thema Ressourcen-Knappheit stellt auch uns vor Herausforderungen, gerade weil die Sendungsmengen immer volatiler sind. Unser Geschäft als Meyer Logistik ist ja die Distributionslogistik für den Lebensmitteleinzelhandel und die Systemgastronomie. Dafür erhalten wir von unseren Kunden in der Regel zwölf Stunden vorher die Information, welche Produkte wir in welchen Mengen am Folgetag ausliefern müssen. Wenn diese definierten Prozesse und die Sendungsmengen von allen Seiten eingehalten werden, funktioniert das alles. Dann können wir unsere Ressourcen entsprechend planen. Mittlerweile aber schwanken selbst innerhalb einer Woche die Mengen-Aufs und -Abs um bis zu 25 Prozent. Mit der Folge, dass wir als Dienstleister nie wissen, auf welcher Mengenbasis wir die Ressourcen eigentlich planen müssen. Das ist ein großes Problem. Die Logistik wandelt sich da. Was treibt das? Strehl (Meyer Logistik): Das liegt an uns allen, an uns Endverbrauchern. Wir wollen jeden Tag zu jeder Uhrzeit alles haben und immer in der besten Qualität. Was wir bestellen, wollen wir noch am selben oder spätestens am nächsten Tag bekommen. Das hat ja auch Vorteile. Die Frage ist nur: Ist das immer notwendig? Müssen wir das alles wirklich so schnell haben? Auf der anderen Seite gibt es diese Geiz-ist-geil-Mentalität. Sprich: Wir wollen stetige Verfügbarkeit von allem, möchten aber nichts dafür bezahlen. Wie wirkt sich das auf Meyer Logistik aus? Strehl (Meyer Logistik): Es geht uns allen in der Lebensmittel-Distributionslogistik nicht gut. Die Mengen sind zwar da. Aber die Margen sind so gering, dass man fast nicht mehr von Margen sprechen kann. Als Geschäftsführer von Meyer Logistik bin ich für 2000 Mitarbeiter verantwortlich. Da muss ich also immer wieder abwägen: Passt der Auftrag zu unserer Struktur, und können wir diesen zu einem vernünftigen Preis abbilden? Jeden Auftrag kalkulieren wir deshalb haarklein durch - gemeinsam mit unseren Disponenten und Fuhrparkverantwortlichen, aber auch mit unseren Gesellschaftern. Dann gibt es eine Entscheidung. Und im Falle eines "Neins" ist das ganz sicher keine Entscheidung gegen den Kunden, sondern es geht, so hart das klingen mag, ausschließlich um unser Unternehmen. Wenn wir dann doch noch mit unserem Kunden einen Konsens finden, ist das gut. Andernfalls sage ich "Nein". Arndt Wielpütz (Apari Consulting): Mittlerweile ist ja der Markt etwas weniger überhitzt als noch vor ein, zwei Jahren. Da boomte das Geschäft so, dass die Mitarbeiter keine Zeit zum Durchatmen hatten. Jeder versuchte die Mengen irgendwie zu handeln; aber keiner achtete mehr auf effiziente Prozesse. Wenn die Kapazitäten überlaufen, hat einfach keiner Zeit, die Prozesse im Unternehmen glatt zu ziehen. Und das drückt auf den Ertrag der Dienstleister. Wolpert (Zufall Logistics): Insofern tut es fast gut, wenn der Mengendruck in diesem Jahr ein wenig nachgelassen hat. Vielleicht ist es ja sogar ein Fehler, dass wir Stückgutspediteure immer nur auf Sendungsmenge gepolt sind. Klein (CargoNetwork): Auch für uns waren die vergangenen zwei Jahre schlimm, vor allem 2017. Da mussten auch wir massiv externe Transporte zukaufen, weil wir Kundenverpflichtungen hatten. Normalerweise liegt der Transportpreis pro Lkw bei 600 Euro, 2017 waren es dann plötzlich 1500 Euro. Das haben wir natürlich gespürt. Unser Ertrag hat sich in 2017 halbiert. Und in diesem Jahr ist es das genaue Gegenteil: Das hat sich komplett gedreht. Als Dienstleister muss man immer jonglieren. Im Grunde ist man mit seinen Kapazitäten immer falsch aufgestellt (lacht). Strehl (Meyer Logistik): Im Ernst: Wir werden nur dann eingesetzt, wenn der Kunde uns braucht. Als Dienstleister müssen wir aber immer die Ressourcen entsprechend für ihn vorhalten. Besteht kein Bedarf, können wir diese nicht einmal auf Frachtenbörsen anbieten, weil unser Geschäft so spezifisch ist. Die Distribution ist nun einmal der kleinste Teil in der ganzen Lebensmittelwertschöpfungskette. Und als Dienstleister genießen wir eine dementsprechende Wertschätzung - mal etwas flapsig formuliert. Die Kosten können einen Dienstleister aber schnell überrennen, wenn man keinen rentablen Umsatz dagegenstellen kann. Und die Kosten steigen weiter, vor allem durch die Fahrerlöhne. Das zehrt an den Margen. Da ist das ganze System krank. Ist diese Situation aber nicht ein gutes Stück hausgemacht, weil Transport- und Speditionsdienstleister immer wieder Aufträge annehmen, die preislich eigentlich unterirdisch sind? Strehl (Meyer Logistik): In unserer Branche ist tatsächlich in den letzten Jahren und sogar Jahrzehnten vieles falsch gemacht worden - auch aus falsch verstandener Kundenorientierung heraus. Das gilt auch für unser Unternehmen. Davon möchte ich uns nicht freisprechen. Woran das liegt? Das hat sicher mit Selbstwertgefühl zu tun, der mangelnden Wertschätzung durch die Kunden. Vielleicht liegt es auch an der Struktur unserer Branche. Viele Mittelständler waren ja früher Kraftfahrer und haben sich dann selbstständig gemacht. Wielpütz (Apari): Als Berater sehen wir viele Unternehmen. Meine Wahrnehmung ist, dass etliche Dienstleister zusätzliche Aufträge einfach annehmen, weil sie Angst haben, dass sonst ihr Kunde abspringt. Mit der Folge, dass die Mitarbeiter und Führungskräfte durch das Tagesgeschäft völlig überlastet sind. Sie haben nicht einmal Luft, darüber nachzudenken, ob sich bestimmte Arbeitsabläufe oder Prozesse besser organisieren ließen. Dadurch werden viele Einsparpotenziale in den Unternehmen nicht gehoben. Ich kann deshalb jedem Dienstleister raten, öfter "Nein" zu sagen, wenn die Prozesskosten eines Auftrags nicht in den üblichen Rahmen passen. Dafür muss man sich aber auch die Zeit nehmen, sich mit den Prozessen zu befassen. Denn nur dann bringt man den Ertrag wieder nach oben. Wobei ich weiß, dass ein "Nein" schwierig ist, gerade in Zeiten, in denen es weniger Aufträge gibt. Wolpert (Zufall Logistics): Einspruch: Das Nein-Sagen ist keine Kunst. Wenn ein Dienstleister mit seinem Kunden vernünftig zusammenarbeitet, sauber argumentiert, warum eine bestimmte Leistung nicht zu einem bestimmten Preis erbracht werden kann, dann ist ein solches "Nein" nicht schlimm. Schwieriger wird das Nein-Sagen, wenn bereits eine sehr lange Geschäftsbeziehung besteht. In diesem Fall haben wir uns als Dienstleister unserem Kunden gegenüber verpflichtet. Hinzu kommt, dass sich schnell kleine Gefälligkeiten einschleichen. Letztlich sind das Aufgaben, die unsere Mitarbeiter mitmachen. Aber rechnen wir diesen Aufwand ab? Eher nicht. Denn unsere Mitarbeiter sind eh da und müssen eh bezahlt werden - Stichwort Eh-da-Kosten. Wenn man nicht aufpasst, summieren sich solche Kosten für diese Zusatzservices schnell auf. Ein Punkt, den wir beim Kunden offen ansprechen müssen. Funktioniert das, oder machen die Kunden da Druck? Strehl (Meyer Logistik): Druck wird immer aufgebaut. Die Frage ist, ob man den Druck auch zulässt. Und ich denke, wir Dienstleister beherrschen inzwischen ebenfalls den aufrechten Gang. Vor zehn, 15 Jahren war das vielleicht nicht so. Aber heute schon. Denn ja, auch wir können Verträge lesen und verstehen etwas von Prozesssteuerung (lacht). Und um was geht es denn? Wir sind Dienstleister und müssen eine bestimmte Dienstleistung für einen bestimmten Preis erbringen. Diese wird dann bewertet, und entweder der Preis passt, oder er passt eben nicht. Dann muss man mit dem Kunden darüber sprechen. Da tun Sie sich als großer Dienstleister natürlich leichter ... Strehl (Meyer Logistik): Wir tun uns als Großer vielleicht sogar schwerer, weil man immer denkt, dass ein großer Dienstleister viel Geld verdient und dass es bei dem nichts ausmacht, wenn eine Kostenstelle einmal rot ist. So gesehen, haben es kleinere Transportbetriebe bei solchen Gesprächen leichter. Wielpütz (Apari): Dabei ist das Problem jedoch häufig, dass viele Unternehmer ihren Aufwand gar nicht kennen. Da werden ja keine Kennzahlen darüber erhoben. Wer weiß denn schon, welcher Kunde ihm kostenmäßig am meisten wehtut? Zum Beispiel durch aufwendige spezifische Prozesse. Das liegt auch daran, dass die Kommunikation in den Unternehmen nicht rundläuft. Eigentlich müsste ein Mitarbeiter, der zum Beispiel regelmäßig fehlerhafte Daten von einem Kunden erhält und dadurch zusätzlichen Aufwand hat, dies dem Vertrieb mitteilen, der dann mit dem Kunden spricht. Aber das passiert nicht. Ich kann an Sie alle also nur appellieren: Nutzen Sie die jetzt ruhigere Phase und analysieren Sie solche Dinge. Sie werden staunen, wie viele versteckte Kostentreiber Sie entdecken, die auf Ihr Ergebnis drücken. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Die Sendungs- und Transportmengen sind zwar da. Aber letztlich spiegelt sich das häufig nicht in der Ertragssituation in den Unternehmen wider. Warum das so ist, und warum Dienstleister zu oft"Ja" zu Kundenwünschen sagen und dann letztlich draufzahlen. Das diskutierte die VR jetzt mit Experten. Die Experten im Überblick Arndt Wielpütz ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und Senior Consultant bei der IT- und Speditionsberatung Apari Consulting, Nordost. Zuvor war er unter anderem für Emons und Dachser tätig.Jürgen Wolpert ist seit 2005 Geschäftsführer des Speditions- und Logistikunternehmens Zufall Logistics, Göttingen, eines der Gründungsgesellschafter der Stückgutkooperation System Alliance.Matthias Strehl ist Geschäftsführer des Frischelogistikers Ludwig Meyer (Meyer Logistik). Friedrichsdorf, der auf den europaweiten Transport von Lebensmitteln spezialisiert ist. Strehl ist seit über 20 Jahren bei Meyer Logistik, unter anderem als Geschäftsführer von Meyer QSL, die für die Systemgastronomie tätig ist.Jürgen Klein ist Geschäftsführer des deutschlandweiten Liniennetzwerks Cargo-Network, Niederaula. Zuvor war er bei System-Gut in Niederaula.

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