Verkehrspolitische Konzepte

Verkehrspolitische Konzepte Politik an der Wegscheide Spätestens der heftige Streit um Stuttgart 21 hat die Wahrnehmung von Verkehrsthemen in Deutschland verschoben. Regierung und Opposition werben um ihre verkehrspolitischen Konzepte. Verkehrspolitik ist mit wahlentscheidend geworden“, sagt Stephan Kühn, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Dies zeige nicht nur die vergangene Landtagswahl in Baden-Württemberg. SPD und Grüne (VR 44/2011 und VR 4/2012) haben bereits reagiert und erste Konzepte für eine Verkehrspolitik der Zukunft entwickelt, die mehr Mitsprache der Bürger vorsehen. „Es ist spürbar, dass es eine Wahrnehmungsveränderung in Sachen Bedeutung der Verkehrspolitik gegeben hat“, bestätigt Patrick Döring, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. Dafür gebe es zwei Gründe: „Zum einen haben wir erstmals Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die in Koalitionsverträgen eine Abkehr von der bisherigen Investitionspolitik festgelegt haben: Sie wollen keine neuen Straßenprojekte beginnen und nur noch in den Erhalt investieren.“ Im Gegensatz dazu stehe laut Döring die Politik der Bundesregierung, die sich offensiv für den Ausbau der Verkehrswege einsetze. Dieser Gegensatz sorge für mehr Aufmerksamkeit für die Verkehrspolitik. Zum Zweiten glaubt der designierte FDP-Generalsekretär, dass veränderte gesellschaftliche Strukturen den Blick auf Verkehrsthemen lenken: „Kinder arbeiten nicht mehr am Wohnort ihrer immer älter werdenden Eltern – das Bedürfnis nach Mobilität hat dadurch deutlich zugenommen.“ Auf kommunaler Ebene waren „Verkehrsthemen schon immer Aufregerthemen“, meint Kühn. Zunehmend gelte dies für die Landesebene und teilweise den Bund. Die Grünen wollen bei der nächsten Bundestagswahl deshalb verkehrspolitische Akzente setzen. „Die Bürger sollen entscheiden, welche Infrastruktur Deutschland in der Zukunft braucht“, sagt Kühn. Sören Bartol, SPD-Verkehrspolitiker der SPD, sieht es ähnlich: „Von der Bundespolitik erwarten die Bürgerinnen und Bürger, dass sie ein überzeugendes Konzept vorlegt, wie die Mobilität der Zukunft aussehen soll, welche Infrastruktur wir hierfür brauchen und wie das Ganze angesichts knapper öffentlicher Kassen bezahlt werden soll.“ Der Bund müsse künftig die richtigen Prioritäten setzen und die für die Volkswirtschaft wirklich wichtigen Projekten vorrangig umsetzen, fordert Bartol. Verkehrspolitik unterscheidet Parteien Döring erwartet, dass Verkehrspolitik bei der nächste Bundestagswahl eine größere Rolle spielen wird, da sich hier die Positionen klar unterscheiden ließen. „In der Verkehrspolitik können wir belegen, dass eine bestimmte gesellschaftliche Haltung der Linken sich negativ auf die Lebenswirklichkeit der Menschen auswirkt“, sagt Döring. Wo die Unterschiede liegen, macht Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, klar: „Wir betrachten Verkehr nicht als gesellschaftliche Leistung, die positiv verbucht werden kann.“ Für sie sind „Wettbewerb und Marktfreiheit nicht geeignet, den notwendigen sozial-ökologischen Umbau zu bewerkstelligen“. Vielmehr brauche es mehr „demokratische Planung und Steuerung“. Selbst für Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) geht angesichts knapper Kassen „Erhalt grundsätzlich vor Neubau“. Zudem will der CSU-Politiker angesichts der prognostizierten Zuwächse im Güterverkehr die Schiene stärken. Ebenso wie Ramsauer fordert Stephan Kühn den effizienten Einsatz, doch er kritisiert: „Zwischen dem, was Ramsauer vorgibt zu tun, und dem, was tatsächlich umgesetzt wird, ist ein himmelweiter Unterschied.“ Dabei sei das Verlagern des Güterverkehrs auf die Schiene dringend notwendig. Denn das Straßennetz könne die prognostizierten Zuwächse überhaupt nicht aufnehmen, zudem würden die vom Bund versprochenen Klimaschutzziele ansonsten verpasst. „Verkehrsverlagerung schafft Ramsauer nicht, indem er Prestigeprojekte im Hochgeschwindigkeitsbereich vorantreibt, sondern indem er die vielen kleinen Engpässe im Netz beseitigt.“ Ob die Prognosen über die Zuwächse des Güterverkehrs in Deutschland eintreten, bezweifeln die Grünen. Auch Alexander Eisenkopf, Professor an der Zeppelin Universität Friedrichhafen, betont: „Diese Zuwächse wären mit unserem Verkehrssystem gar nicht realisierbar.“ Vor allem den dafür nötigen Ausbau der Verkehrswege könne der Staat nicht leisten, so Eisenkopf (siehe Interview). Deshalb fordern die grünen Verkehrspolitiker einen Ausbau des Kernnetzes in Deutschland. Die am meisten belasteten Straßen und Bahnstrecken müssten gestärkt werden. „Wo es keine Alternativen zur Straße gibt, müssen wir diese ausbauen“, gibt Kühn die Stoßrichtung der Verkehrspolitiker seiner Fraktion vor. In dem Mitte Januar vorgelegten Thesenpapier zur nachhaltigen Infrastrukturpolitik sind entsprechend mehrere Autobahnen genannt, wo er einen zügigen Ausbau fordert. Zweifel an am Sinneswandel Döring sieht trotzdem keinen Sinneswandel bei dem politischen Gegner: „Bei den bürgerlichen Parteien und auch bei den Sozialdemokraten ist unstrittig, dass bestimmte Kapazitäten knapp sind und wir diese Engpässe beseitigen müssen. Bei den Linken und einer Mehrheit der Grünen wird sogar dieser Grundbefund infrage gestellt.“ Diese Einschätzung teilt Logistikprofessor Eisenkopf nicht: „Die Grünen beziehen in der Verkehrspolitik mittlerweile auch Positionen, die aus Sicht der Logistikwirtschaft durchaus Sinn machen.“ ❙❚■ Sebastian Bollig, Tobias Rauser Der Bürger soll entscheiden, welchen Weg die Verkehrspolitik in Zukunft nimmt „In der Öffentlichkeit ist Mobilität gut, aber Verkehr böse“ Alexander Eisenkopf, Professor für Allgemeine BWL und Mobility Management an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, kritisiert die zunehmend wirtschaftsfeindliche und opportunistische Politik. Stuttgart 21 in Baden-Württemberg oder Nachtflugverbot am Flughafen Frankfurt: Proteste gegen Infrastrukturprojekte nehmen zu. Ist Verkehrspolitik wahlentscheidend geworden? Alexander Eisenkopf: Verkehrspolitik ist ein kleiner Punkt im gesamten Politikfeld. Zwar gehört zum großen Thema Energiewende auch die Neuausrichtung der Verkehrspolitik. Trotzdem sind Themen wie die Schuldenkrise derzeit viel wichtiger. Die hohe Bedeutung von Stuttgart 21 für die Landtagswahl war in meinen Augen ein Sonderfall. Selbst die eigentlich wirtschaftsnahe CDU in Hessen spricht sich plötzlich für ein Nachtflugverbot in Frankfurt aus. Findet ein Paradigmenwechsel statt? Das ist einfach politischer Opportunismus. Politiker wollen gewählt werden, und da werden beizeiten Prinzipien über Bord geworfen. Wirtschaftswachstum scheint nicht mehr unbedingt erforderlich, wichtiger sind Umwelt- und insbesondere Klimaschutz. Die Konsequenzen, die solche Tendenzen für den künftigen Wohlstand in Deutschland haben, werden gar nicht gesehen. Welche Folgen haben solche politischen Wechsel für die Logistikwirtschaft? Die ausgefeiltesten Logistikkonzepte bringen nichts, wenn die Basis jedes Transports, ein funktionierendes Verkehrsnetz, nicht mehr funktioniert. In der Öffentlichkeit ist Mobilität gut, aber Verkehr böse. Aber Mobilität ohne Verkehr ist ein leerer Torso; das versucht die Politik zu verschleiern. Unsere Wirtschaft braucht Verkehr und gerade der Güterverkehr wird weiter zulegen. Glauben Sie noch an die Verkehrsprognosen aus der Zeit vor der Krise – 70 Prozent Zuwachs bis 2025? Es wird in den nächsten Jahren deutliches Wachstum im Güterverkehr geben, aber ich glaube nicht, dass die genannte Prognose so eintreten wird. Diese Zuwächse wären mit unserem Verkehrssystem gar nicht realisierbar. Den dafür nötigen Ausbau der Verkehrswege kann der Staat nicht leisten. Der Trend in der Verkehrspolitik heißt Erhalt vor Neubau. Ist das ein stimmiges Konzept? Da in der Vergangenheit zu wenig für den Erhalt getan wurde, bricht die Bestandsinfrastruktur weg. Aus ökonomischer Sicht ist es sinnvoll, knappe Mittel möglichst effizient einzusetzen. Ich plädiere deshalb dafür, den Erhalt zu gewährleisten, das Kernnetz auszubauen und Engpässe zu beseitigen. Das sind die Punkte, die die Grünen in ihr neues Verkehrskonzept geschrieben haben. Vernunft macht glücklicherweise nicht an Parteigrenzen halt. Die Grünen beziehen in der Verkehrspolitik mittlerweile auch Positionen, die aus Sicht der Logistikwirtschaft durchaus Sinn machen. Wo holt sich der Staat künftig das Geld für Investitionen? Derzeit wischt die Bundeskanzlerin das Thema PKW-Maut noch weg, doch in der nächsten Legislaturperiode kommt sie sicher. Eine kilometerabhängige PKW-Maut halte ich für zu kompliziert und teuer. Ich bin Verfechter einer Vignette. Zudem erwarte ich eine Einbeziehung der Nutzfahrzeuge ab 7,5 Tonnen in die LKW-Maut. Das Hauptproblem ist, dafür zu sorgen, dass die Einnahmen im Verkehrsetat landen. Das ist die Grundlage für mehr Geld im Verkehrssystem. sb Interview Prof. Alexander Eisenkopf