Seefracht

SeefrachtEine Branche vor dem UntergangDie Zeichen für die deutschen Reeder stehen schlecht: Keine Finanzierungen, Überkapa-zitäten und eine schlechte Konjunktur setzen der Seefracht-Branche zu. Jetzt soll der deutsche Staat helfen. Vielen deutschen Charterreedern steht das Wasser bis zum Hals. Sie finden einfach keinen Weg aus der Krise. Hoffnungen auf einen Aufschwung haben sich als verfrüht erwiesen, und die Perspektiven für 2012/2013 sind allenfalls verhalten, resümiert die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC auf Basis einer aktuellen Umfrage in der Branche. Und noch schlimmer: „Ich fürchte, dass etliche deutsche Reedereien dieses oder das nächste Jahr nicht überstehen werden“, sagt Claus Brandt, Leiter des Maritimen Kompetenzzentrums der Unternehmensberatung. Denn trotz zwischenzeitlicher Besserung haben die meisten Reedereien nun vier schlechte Jahre in Folge hinter sich. Insolvenzen als logische FolgeAuslöser der Untergangsstimmung sind Überkapazitäten, ein erbitterter Konkurrenz- und Preiskampf und fehlende Kredite der Banken. Mit der HSH Nordbank und der Commerzbank haben zwei der wichtigsten Kreditgeber ihren Rückzug aus der Schiffsfinanzierung verkündet. Während die HSH Nordbank einen Großteil ihres Finanzierungsgeschäfts auf Druck der Europäischen Union in eine Abbaubank ausgelagert hat, ist der Commerzbank das Geschäft offenbar zu risikoreich geworden.Trotzdem gibt sich die Reedereibranche unbeeindruckt – zumindest nach außen hin. So sieht Olaf Staats, Geschäftsführer der Reederei Ahrenkiel, keine unmittelbaren Auswirkungen. „Schon allein deshalb, weil die bereits getroffenen langfristigen Finanzierungsvereinbarungen eingehalten werden müssen“, sagt er. Allerdings gewähren viele Banken den Schiffseignern nicht einmal mehr einfache Betriebsmittelkredite, damit sie Treibstoff kaufen oder die Versicherung bezahlen können. Auch dann nicht, wenn der Schrottwert des Schiffes den Kreditbetrag übersteigt. Insolvenzen sind also nur eine logische Folge. Auch bei auslaufenden Krediten werden sich kaum mehr Geldgeber für eine Verlängerung finden. Von der Finanzierung neuer Schiffe gar nicht zu reden. Vor allem Charterreedereien nutzten bisher gerne das sogenannte KG-Modell zur Finanzierung neuer Schiffe. Bei diesem werden private Anleger für kleines Geld Miteigentümer eines Schiffes. Den Rest der Kaufsumme steuerten Banken nur allzu gerne zu. Durch die Schifffahrtskrise hat sich das Modell aber inzwischen erledigt. Reeder und Fondshäuser mussten mit den Banken Sanierungskonzepte vereinbaren und Anleger besonders betroffener Schiffe verloren viel Geld und die Lust, weitere Schiffsbeteiligungen einzugehen. Ende letzten Jahres waren schon sieben Schiffsgesellschaften insolvent, weitere 262 ein akuter Sanierungsfall, so das Analysehaus Deutsche Fondsresearch. Der Wegfall der Finanzierungen könnte erhebliche Auswirkungen auf die Branche haben. „Reeder können ihre Flotte nicht mehr modernisieren“, fürchtet Brandt. Das verschiebe die Gewichte künftig weiter nach Asien, wo die Banken nach wie vor Schiffe finanzieren. „Mittelfristig wird vermutlich mehr Geschäft an Banken aus Asien oder Skandinavien abwandern“, glaubt Hermann Klein, Vorstandschef der E.R. Schifffahrt und der Blue Star Holding. Die Beratung McKinsey sieht dagegen andere Geldgeber die Lücke füllen. So könnten Infrastrukturfonds, Private Equity Fonds, aber auch Versicherungen und Pensionskassen als mögliche Investoren einspringen. Branche bangt um 400.000 ArbeitsplätzeAuswirkungen auf die Logistikbranche sind dagegen kaum zu erwarten. Das Angebot an Reedereien weltweit ist groß und Schiffe sind mobil genug, um dorthin zu fahren, wo die Ladung wartet. Das wissen auch die deutschen Reeder. Umso verzweifelter klingt der Ruf des Verbands Deutscher Reeder (VDR) nach Staatshilfe. „Die Bundesregierung darf nicht untätig zusehen, wie eine grundsätzlich leistungsfähige mittelständische Schifffahrtsbranche der Bankenkrise und den Regulierungsauflagen zum Opfer zu fallen droht“, warnt VDR-Präsidiumsmitglied Ralf Nagel. Es gehe um 400.000 Arbeitsplätze, die unmittelbar an der maritimen Wirtschaft hingen. Die Begründung: Schließlich seien auch etliche Bankinstitute mit Milliarden Steuergeldern und Staatsgarantien unterstützt worden, so der VDR. „Wir wollen nur, ebenfalls befristet, durch rückzuzahlende Überbrückungshilfen von der KfW die nötige Zeit gewinnen, um die absehbare Erholung auf den Schifffahrtsmärkten erreichen zu können und uns, wo erforderlich, neu aufstellen zu können“, sagt Nagel. Konkret könne der Bund etwa die Eigenkapitalanforderungen für die Banken abmildern und über die staatseigene KfW-Bank die nötigen Betriebsmittelkredite bereitstellen, „wenn die Schiffe eine positive Fortführungsprognose haben“, schränkt VDR-Sprecher Johns ein. Es gehe nicht darum, hoffnungslose Fälle zu unterstützen oder Reedern und Anlegern ihr Eigenkapital zu retten. Auf Anfrage der VerkehrsRundschau erteilt die Bundesregierung diesem Ansinnen aber eine Absage. „Neue staatliche Finanzierungsinstrumente sind keine Lösung“, erklärt das Bundeswirtschaftsministerium. Die notwendigen strukturellen Anpassungen und Finanzierungen seien „im Wesentlichen eine Aufgabe der Branche selbst“.Finanzielle Reserven sind verbrauchtDoch genau hier hapert es. Die Reeder ignorieren, dass sie deutliche Mitschuld an der Situation haben. In der Euphorie eines langen Aufschwungs bestellten sie immer mehr Schiffe, freudig finanziert von Banken und Anlegern. Jetzt ist der Wille der Reeder, zu einer Konsolidierung der Branche beizutragen, kaum erkennbar. Zwar schlossen sich die Reedereien E.R. Schifffahrt und Komrowski unter dem Namen Blue Star Holding zusammen. Doch das reicht nicht. Laut VDR gibt es in Deutschland 416 Reedereien. Die Hälfte davon beschäftigt unter fünf Schiffe. Das ist zu wenig, um Synergien zu erzielen oder Verhandlungsmacht aufzubauen. Zum Vergleich: Branchenriese Hapag Lloyd hat über 58 eigene und Hamburg Süd 43 eigene Schiffe. Für VDR-Sprecher Max Johns macht eine Konsolidierung wenig Sinn: „Gerade kleinere Reedereien können Schiffe extrem effizient managen.“ Doch das überzeugt die Banken kaum, die von den Schiffseigentümern mehr Eigenkapital sehen wollen. Blue-Star-CEO Klein geht dennoch davon aus, dass der Markt weiter konsolidiert. „Synergien in Schlüsselbereichen wie Ausbildung, Besatzung, Einkauf und Controlling oder bei der Umsetzung neuer Umweltregularien lassen sich nur ab einer gewissen Größe erzielen“, sagt er. Das alles löst nicht das Hauptproblem der Branche: die großen Überkapazitäten. „Zwar wächst das weltweite Transportvolumen trotz der Wirtschaftskrise kontinuierlich. Das Angebot an Schiffsraum ist indes durch etliche in den Vorjahren bestellte Schiffe deutlich stärker gewachsen. Dies führt zu geringen Auslastungen und sinkenden Frachtraten“, fasst Brandt die Probleme der Branche zusammen. Wirklich helfen kann nur eine schnelle Erholung an den Schifffahrtsmärkten. Laut dem Branchendienst Drewry können Schiffe auf den wichtigen Ost-West-Routen wieder Geld verdienen. Grund dafür ist das Ende des Preiskampfes zwischen den großen Linienreedereien. Seit März haben sich die Frachtraten laut Drewry auf den Hauptrouten mehr als verdreifacht. Die Analysten rechnen für 2013 mit weiteren Steigerungen. Bedingung sei aber, dass die Branche in den nächsten 18 Monaten keine neuen Schiffe bestelle.Das dürfte indes nicht genügen, um die Branche zu retten, fürchtet Brandt. Viele Reeder hätten ihre finanziellen Reserven verbraucht. Die Banken würden daher den Druck verstärken. „Selbst wenn der erhoffte Anstieg der Fracht- und Charterraten eintreten sollte, reicht dieser kaum, um die aufgelaufenen Verluste ausgleichen zu können“, zeichnet Brandt ein düsteres Bild. ❙❚■ Alexander Heintze, freier JournalistFühlen sich momentan auf weiter Flur allein gelassen: deutsche ReedereienSeefrachtHilfsprogramme für die Reeder – die Lösungsvorschläge des VDRWelche Wege laut dem Verband Deutscher Reeder (VDR) den Reedereien und Schiffsgesellschaften aus der Krise helfen könnten: KfW-Kredite: Die staatliche Förderbank soll Reeder und Schiffsgesellschaften zeitlich beschränkte Betriebsmittelkredite zur Verfügung stellen.Bafin: Die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin soll den Banken ermöglichen, den Reedern Kredite länger als drei Jahre zu stunden, ohne dass die Banken dafür zusätzliches Eigenkapital hinterlegen müssen. Bewertung: Derzeit werden Schiffe nach ihrem aktuellen Tageswert bewertet. Dieser Wert orientiert sich an den stark schwankenden Charterraten. Künftig sollen betriebswirtschaftlich verbreiterte Methoden die starken Ausschläge glätten. Auch so müssten die Banken weniger Risikovorsorge treffen. ah„Alle müssen auf etwas verzichten“Wie Claus Brandt, Schifffahrtsexperte bei der Beratungsgesellschaft PwC in Hamburg, die Probleme der deutschen Reedereien lösen will.Wie lassen sich die Probleme der deutschen Reedereien lösen?Claus Brandt: Das ist eine gemeinsame Aufgabe des gesamten maritimen Clusters. Dazu gehören Werften, Hafenbetreiber, Zertifizierer, Versicherungen, Banken, Arbeitnehmer, Zulieferer, Reeder, Logistikunternehmen und der Staat. Sie alle haben in der Vergangenheit den Erfolg der deutschen Schifffahrt erst möglich gemacht und davon gemeinsam profitiert. Jetzt muss man sich wieder gegenseitig helfen, um die Situation zu meistern.Wie soll das gehen?Alle müssen auf etwas verzichten. Es geht nicht nur darum, dass die Reeder Geld einsparen. Aber wenn die Hafengebühren und Versicherungsprämien sinken, die Zertifizierer etwas nachlassen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer etwas verzichten, dann hilft das letztlich allen. Gilt das auch für Logistiker und Versender?Natürlich gilt das auch für alle Logistikunternehmen. Sie sind Teil des maritimen Clusters und sollten wie auch alle anderen Teilnehmer des Clusters einen Beitrag leisten. Wenn einzelne meinen, sie seien nicht betroffen, dann ist das zu kurz gedacht. ahInterviewClaus BrandtSeefracht

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