Toulouse. Träge wie ein Elefant kriecht der Riesen-Airbus über den Rollweg auf dem Flughafen von Toulouse-Blagnac. Als kurz darauf Testpilot Peter Chandler die Schubhebel nach vorn drückt, verfliegt die Trägheit so schnell wie die gigantischen Triebwerke losdonnern: Kaum 20 Sekunden nach dem Anrollen hat der Jet auf Tempo 300 beschleunigt, hebt ab und steigt leise brummend in den Himmel über der französischen Stadt. "Wir heißen Sie herzlich willkommen an Bord, unser Flug wird rund zwei Stunden dauern", begrüßt Chandler die Gäste auf dem Präsentationsflug. Das klingt routiniert wie bei einem Linienkapitän, der schon viele Jahre auf Interkontinentalrouten zwischen Europa, Asien und Amerika unterwegs ist. Für die Testpiloten ist der Riesenjet inzwischen Routine. Seit dem Jungfernflug am 27. April 2005 sind sie mehr als 2000 Stunden - umgerechnet mehr als 80 Tage - mit dem neuen Flaggschiff unterwegs gewesen. Das Interieur des ersten Prototypen mit der Seriennummer MSN 001 ähnelt noch einer Mischung aus Heizungskeller und Laboratorium - die Kabine vollgepackt mit Messelektronik, Sonden und Arbeitsplätzen für Ingenieure. An Bord von drei weiteren Versuchsflugzeugen geht es dagegen schon zu, wie in einem echten Linienflugzeug. Hier kommen nicht Landeklappen, Triebwerke oder Flugeigenschaften auf den Prüfstand, sondern Küchen, Klimaanlagen und Toiletten. Die Ausstattung ähnelt normaler Ausstattung mit erster, zweiter und dritter Klasse. Flugzeuge haben die höchsten Quadratmeter-Preise weltweit Wie sich Kunden später ihre A380-Flugzeuge einrichten, bleibt ihnen überlassen. Ähnlich wie ein Bauunternehmen kümmert sich Airbus um die bezugsfertige Wohnung mit allen Installationen - fürs Möblieren ist der Käufer zuständig. Die Immobilienpreise sind allerdings deftig: Flugzeuge haben mit die höchsten Quadratmeter- Preise weltweit. Rund 600 Quadratmeter Grundfläche bietet eine A380 - bei etwa 300 Millionen Dollar Listenpreis für den Jet sind das - grob gerechnet - 500.000 Dollar für den Quadratmeter. "Es wird knapp 480 Plätze geben, um mehr Komfort zu bieten", sagt Singapore-Airlines- Sprecher Peter Tomasch. Airbus gibt als Standard 555 Sitze an. Denkbar sind auch Versionen mit 850 Plätzen. Steigt der Passagier vorn in die A380 ein, steht er vor einer breiten Freitreppe ins Oberdeck. Die Stufen erinnern eher an pompöse Freitreppen von Ozeanriesen, als an den schmalen Aufstieg ins Oberdeck der Boeing 747. Der Raumeindruck in der oberen Etage ist dann aber eher unspektakulär. Schnell geht das Doppeldecker-Gefühl verloren. Reisende fühlen sich wie an Bord eines mittelgroßen Langstreckenflugzeuges der A330 oder A340-Baureihe: Zwei Sitze rechts, zwei Sitze links - und zwischen den beiden Gängen vier Plätze. Der Blick aus dem Fenster erinnert dann wiederum an die Perspektive aus dem Oberdeck der 747. Aus rund zehn Metern Höhe, Augenhöhe wie beim Sprungturm im Schwimmbad, geht der Blick über den Flughafen. Mit der gemütlichen Höhlenatmosphäre im Buckel der Boeing 747 hat das Oberdeck der A380 nichts gemeinsam. Viele Airlines machten die Enge aber positiv. So verlegte zum Beispiel Lufthansa nach dem Motto "Auf höchster Ebene" die erste Klasse im Jumbo ins Oberdeck. Andere Gesellschaften wie Singapore Airlines oder Thai haben im Buckel der 747 ein zweites Business-Class-Abteil eingerichtet, zusätzlich zur Sektion auf dem Hauptdeck. Das Ambiente mit wenigen Sesseln im Oberdeck schafft fast ein Raumgefühl wie in der ersten Klasse. Zum Härtetest unter Praxisbedingungen hebt der A380 Ende März 2007 ab. Beim so genannten Route Proving geht es von Frankfurt nach New York, Hongkong und Washington - innerhalb von wenigen Tagen und im hektischen Zeitplan wie beim alltäglichen Linienflug. Hier hat die A380 nicht mehr den Status einer gefeierten Diva - das Flugzeug muss wie ein Uhrwerk funktionieren. Zwölf Flüge, 65 Flugstunden mit 3750 Passagieren und 65.000 Kilometer Reise stehen im Programm. Jede Zwischenlandung eines Verkehrsflugzeuges ist präzise organisiert wie ein Boxenstopp beim Autorennen: Genauso effektiv wie die Mechaniker Reifen wechseln und tanken, arbeitet das Bodenteam am Flughafen. In 90 bis 120 Minuten wird ein Riese wie die A380 "gedreht" - das heißt Auftanken, Kofferverladen, technische Checks und Kabinenservice. Im Rekordtempo verwandelt das Putzteam das Chaos aus zerknüllten Schlafdecken, zerfledderten Zeitungen und Brötchenkrümeln wieder in eine glänzend aufgeräumte Kabine. Eile am Boden hat handfeste wirtschaftliche Gründe: Sobald ein Flugzeug steht, verschlingt es in jeder Sekunde viel Geld. Profitabel ist ein Jet nur, wenn er mit gut zahlenden Passagieren an Bord möglichst lange in der Luft ist. Deshalb sind moderne Verkehrsflugzeuge wie die A380 in der Regel 12 bis 16 Stunden am Tag unterwegs. Bei den Versuchsflügen probieren auch die Piloten von Linienfluggesellschaften schon ihren neuen Arbeitsplatz aus. "Für einen erfahrenen A330- oder A340-Piloten ist die Umstellung kein Problem", sagt Lufthansa-Chefpilot Jürgen Raps auf dem Flug nach Washington. Im Cockpit des Riesen-Airbus' sieht es fast genauso aus, wie in den kleineren Schwestern A330 und A340. Die Einschätzung von Raps teilt auch Kollege Robert Ting von Singapore Airlines. Der erfahrene Kapitän flog als einer der ersten Linienpiloten die A380 und plant das Training der A380-Besatzungen bei SIA. "Man findet sich schnell zurecht, die Umschulung ist kein Problem." Größere Verantwortung sieht er nicht. "Ob ein Passagier oder 500 - die Sorgfalt muss immer gleich sein." Obwohl der A380 mit maximal 560 Tonnen Startgewicht etwa doppelt so schwer ist wie der A340, braucht der Pilot nicht mehr Kraft zum Steuern: Mit Körperkraft werden nur noch ganz kleine Flugzeuge gelenkt. Bei großen Jets übernimmt eine Hydraulik die Bewegung der mehrere Quadratmeter großen Ruderflächen. Jürgen Raps, Robert Ting und ihre Kollegen geben die Steuerimpulse mit einem elektronischen Steuerknüppel, dem so genannten Sidestick. Im Cockpit des Riesen geht es vergleichsweise geräumig zu. Einen Rekord halten aber weiterhin die Kollegen im Boeing Jumbo-Jet 747: Sie blicken aus rund neun Metern Augenhöhe aus dem Cockpit. In der A380 ist das Cockpit etwas tiefer zwischen den beiden Decks angeordnet. Zu einer Extremtour starten die Airbus-Testpiloten Mitte Juli 2006 nach Abu Dhabi. In dem Emirat stehen Hitzetests auf dem Versuchsprogramm. Die Umweltbedingungen sind barbarisch: 46 Grad im Schatten, dazu drückende Schwüle. Aber die A380-Klimaanlage ist den Belastungen gewachsen. Ingenieure, Piloten und Besucher flüchten sich so oft es geht ins angenehm kühle Innere des Jets. Flugzeuge müssen klimatische Extremtouren überstehen: Heizt sich der Jet auf dem Flughafen in Abu Dhabi auf 50 Grad auf, so kühlt er beim Steigflug in 10.000 Meter Höhe innerhalb von wenigen Minuten auf minus 50 Grad ab. Für Passagiere und Flugbegleiter ist vor allem der geringe Geräuschpegel eine positive Überraschung. Weniger Krach gibt es auch für die Menschen in den Einflugschneisen der Flughäfen. Stiller Riese Vor allem dank der extrem leisen Triebwerke genügt der fliegende Riese strengsten Lärmschutzbestimmungen. Wie sich dies in der Praxis anhört, zeigt sich vor allem bei Auftritten der riesigen A380 auf Luftfahrtmessen wie in Farnborough, Paris Le Bourget oder der ILA in Berlin. Während vergleichsweise kleine Kampfjets bei der Vorführung mit ohrenbetäubendem Lärm alle Gespräche verstummen lassen, brummt der über 500 Tonnen schwere Gigant leise seine Runden. Mancher Besucher verpasst 2005 die Messepremiere, weil der A380 in den Hallen am Flughafen schon nicht mehr zu hören ist. Als die Maschine in Amerika landet, säumen zahlreiche Schaulustige die Straßen rings um die Flughäfen in New York und Chicago. "Lufthansa 8940, welcome to the United States - willkommen in Amerika und viele weitere glückliche Landungen", begrüßt der Lotse des Kennedy-Airports in New York den Jet bei seiner Premierenlandung. Im Gewimmel eines Großflughafens wie JFK, Frankfurt oder Hongkong fällt der Gigant zwischen zahlreichen Boeing 747, Airbus A340 und Boeing 777 kaum noch auf, reiht sich ein, als ob er schon lange dazugehört. Großes Interesse zieht der Superflieger aber bei den amerikanischen Piloten auf sich, die zufällig gerade in der Abfertigungshalle zu ihrem Arbeitsplatz laufen. Beeindruckt schauen sie auf den Jet. "Hoffentlich fliegt der nie zu dicht vor uns her", sagt einer der Piloten. Die Wirbelschleppen des A380 sind für den Flugbetrieb besonders interessant. Nach ihrer Intensität richtet sich der Abstand, den nachfolgende Flugzeuge hinter einem A380 aus Sicherheitsgründen einhalten müssen. In den Wochen bis Oktober steigt vor allem die Spannung bei der Frage, wie Startkunde Singapore Airlines seine A380 ausstattet. Das Interieur ist für die Fluggesellschaften Visitenkarte und Wettbewerbsfaktor. Schließlich sehen Passagiere eher nach Sitzabständen, Unterhaltungsprogrammen und Komfort und nicht so sehr auf effektive Triebwerke oder ein modernes Flight-Management-System. "Da kommen viele Interessen zusammen - manche Passagiere wollen arbeiten, andere schlafen, Filme schauen - wir planen die Kabine so individuell und luxuriös wie möglich", sagt Peter Tomasch. Trotzdem wird der Super-Jet kein fliegender Palast. "Es wird natürlich eine neue Generation von Flugzeug und Kabinenausstattung", sagt Tomasch. Das heißt aber nicht, dass die Gesellschaft alles nur noch auf die A380 konzentriert. "Die Passagiere sollen in der gesamten Flotte einen vergleichbar hohen Komfort bekommen." Das Interieur bekommen alle A380-Jets im Hamburger Airbus-Werk. Dort ist die Ausrüstungshalle abgeschirmt wie Fort Knox. Zutritt nur mit Sonderausweis, strenge Kontrollen, kein Foto des Interieurs darf nach außen gelangen. Welcher Komfort die Reisenden erwartet - dabei lässt sich Singapore Airlines bis zum Herbst nicht in die Karten gucken. "Das ist noch top secret", sagt Tomasch. Fotos von den Testflügen des A380 haben wir unten auf dieser Seite für Sie in einer Bildergalerie zusammengestellt. Viel Spaß beim Anschauen!
Reportage: Der A380 vor seiner Premiere im Liniendienst
Riesenairbus, Superflieger, neue Kultur des Reisens - kaum ein Flugzeug vereint so viele Superlative wie der neue Airbus A380. Bevor der Jet im Oktober in der Flotte von Startkunde Singapore Airlines in den Passagierdienst geht, hat er eines der härtesten Testprogramme absolviert. Der Blick hinter die Kulissen - mit Bildergalerie!