Rauschen im Blätterwald

Es besteht innerhalb Europas immer noch ein immenses Gefälle hinsichtlich der Qualität der Ladungssicherung und ihrer Überwachung. Darauf wies Andreas Marquardt, Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), Mitte Oktober beim 6. Praxistag Ladungssicherung der VerkehrsRundschau auf dem Betriebsgelände des Fahrzeugbauers Krone in Spelle bei Osnabrück hin (siehe Kasten). "Sicherheit darf nicht an den EU-Binnengrenzen beginnen oder enden und darf nicht zur Grundlage der Kalkulationen in Unternehmen werden", mahnte er. Bereits seit einigen Jahren böten zwar die European Guidelines for Load Securing verschiedene Möglichkeiten der Ladungssicherung. "Allerdings leider unverbindlich", so Marquardt. Die EU-Kommission habe nun in diesem Mai neue European Best Practice Guidelines on Cargo Securing for Road Transport vorgestellt: "Ein wichtiger Beitrag insbesondere für die Staaten, die ein noch nicht so hohes Niveau an Ladungssicherungsanforderungen haben und die an besseren Hinweisen für die Ladungssicherung interessiert sind", sagte der BAG-Präsident. Über die Regelwerke wird oft gestritten Für das in Deutschland zugrunde liegende Niveau sind diese Guidelines kein Neuland. Im Gegenteil: Hierzulande ist man stetig bemüht, die Ladungssicherheit weiter zu verbessern und die entsprechenden Empfehlungen up to date zu halten. Schwierig sei es für Anwender und Prüfer jedoch, wenn gleich mehrere Vorgaben bei der Berechnung der Sicherungskräfte herangezogen werden könnten, sagte Marquardt. Einerseits findet bei normalen Ladungen in Deutschland nämlich Paragraf 22 der Straßenverkehrsordnung (StVO) Anwendung. Er verweist auf die anerkannten Regeln der Technik, also die VDI-Richtlinie 2700 ff. in Verbindung mit der EU-Norm DIN EN 12195-1:2004. Auf dieser Basis kontrollieren das BAG und die Polizei, sofern es sich nicht um Gefahrgut handelt. Andererseits ist 2013 das Europäische Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (ADR) geändert worden. Danach sind die Anforderung an die Ladungssicherung inzwischen auch dann erfüllt, wenn Gefahrgüter nach der neueren EU-Norm DIN EN 12195-1:2011 verstaut und verzurrt sind. "Allein die DIN EN Normen 12195-1:2004 und -2011 bergen genug Stoff für Differenzen und unterschiedliche Sichtweisen der Sicherung", sagte Marquardt. VDI liefert neuen Diskussionsstoff Aktuell feuert die Neufassung von Blatt 2 der VDI-Richtlinie 2700 zur Ladungssicherung auf Straßenfahrzeugen diese Diskussion erneut an. Die Empfehlung zur Berechnung von Sicherungskräften aus 2002 hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) überarbeitet und die aktualisierte Version im Juli dieses Jahres veröffentlicht. Blatt 2 der VDI-Richtlinie 2700 veranschaulicht grundsätzlich, welche Massenkräfte bei bestimmten Fahrbedingungen zu berücksichtigen sind und welche Kräfte von Zurrmitteln und Einrichtungen für die Ladungssicherung aufgenommen werden müssen, um ein Ladegut wirksam zu sichern. In der Richtlinie werden die wichtigsten Ladungssicherungsmethoden für den Stückguttransport auf Lastkraftwagen und Anhängerfahrzeugen dargestellt. In der aktualisierten Version haben die Autoren versucht, ihre Empfehlungen an die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Ladungssicherung anzupassen und technische Änderungen im Transportmarkt aufzugreifen. "Die Fahrzeugtechnik hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Es gibt neue Achs-, Brems- und Elektroniksysteme", erklärte Uwe Schöbel beim 6. Praxistag Ladungssicherung. Er ist Vorsitzender des zuständigen VDI-Fachausschusses und Betriebs- und Abteilungsleiter Konstruktion und Entwicklung bei Dolezych, einem Anbieter von Ladungssicherungsmitteln. Insgesamt sollte Blatt 2 anwenderfreundlicher werden. Deshalb gibt es jetzt zum Beispiel für die Berechnungsformeln entsprechende Herleitungen. "Das macht es leichter, individuelle Fälle abzuleiten", erläuterte Schöbel. Ein weiterer Vorteil: Alle Formeln würden sowohl in Längen- als auch in Winkelangaben dargestellt. "Außerdem sind die Erklärungen nun zweisprachig - deutsch und englisch", sagte er. Darüber hinaus trage eine neue Tabelle, in der alle Begriffe erläutert würden, zum besseren Verständnis des Regelwerks bei. "Wir erleben immer wieder, dass Definitionen durcheinandergebracht werden", berichtete Schöbel. Blatt 2 bezieht andere Grenzwerte ein Auch inhaltlich hat es Änderungen gegeben. "Im Zuge der Anpassung an den Stand der Technik wurde nun auch der Übertragungsreibbeiwert (k-Wert) in den Formeln zum Niederzurren berücksichtigt und ein Standsicherheitsbeiwert (Gamma-Wert) eingeführt", erklärte der VDI-Fachmann in Spelle. Kräfteverluste im Zurrmittel führen dazu, dass die auf der Spannelementseite erzielte Vorspannkraft auf der gegenüberliegenden Seite des Zurrmittels unter Umständen nicht voll erreicht wird. Diesen Aspekt berücksichtigt der Übertragungsreibbeiwert bei der Berechnung der Sicherungskräfte. Der VDI empfiehlt einen k-Wert von 1,8. Der neue Standsicherheitsbeiwert soll verhindern, dass eine Ladung zur Seite oder in Längsrichtung kippt. Der VDI hat den Gamma-Wert mit 1,2 festgelegt. "Er wird mit den Beschleunigungswerten multipliziert und ergibt somit den für die Standsicherung der Ladegüter zu beachtenden Grenzwert", erklärte Schöbel. Und dieser falle mit 0,6 (nach hinten und in Querrichtung) geringer aus als in der vorherigen Version von Blatt 2. Berechnungsgrundlagen nähern sich an "Seitlich und entgegen der Fahrtrichtung liegen die Ergebnisse des neu gefassten Blatt 2 der VDI-Richtlinie 2700 und der DIN EN 12195-1:2011 jetzt noch näher beieinander", betonte Uwe Schöbel. Er hofft, das damit ein Schritt in Richtung der viel beschworenen Vereinheitlichung der Berechnungsgrundlagen für die Ladungssicherung in Europa gemacht wurde. "Durch eine Revision der DIN EN 12195-1:2011 auf Basis der aktuellen Erkenntnisse könnte mit wenigen Anpassungen eine hohe Deckungsgleichheit der verschiedenen Vorschriften erzielt werden", betonte der Experte. Er plädierte dafür, im Zuge dieser Überarbeitung im nächsten Jahr den k-Wert wieder einzuführen. Auch Andreas Marquardt äußerte sich zuversichtlich. Möglicherweise sei Blatt 2 richtungsweisend für die Skeptiker der DIN EN 12195-1:2011, sagte der BAG-Präsident beim 6. Praxistag Ladungssicherung. Die Veranstaltung Was genau ist der Praxistag Ladungssicherung? Den 6. Praxistag Ladungssicherung hat die VerkehrsRundschau gemeinsam mit der Bernard Krone GmbH am 15. Oktober 2014 in Spelle im Emsland veranstaltet. In einem Theorie- und einem Praxisteil informierten Experten über die neuesten Vorschriften, machten Präventionsvorschläge und erläuterten, worauf die Kontrollbehörden achten. Denn bei falscher Ladungssicherung riskiert man nicht nur die eigene Gesundheit und die Sicherheit anderer, sondern auch Geldbußen und Punkte in Flensburg. Dies gilt nicht nur für die Fahrer. Transportunternehmer und Verlader sind ebenso in der Pflicht. Initiatoren sind die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft, die Straßenverkehrsgenossenschaften und der Versicherer Kravag. ag VDI 2700 Was hat es mit dem Regelwerk auf sich? Diese Richtlinienreihe des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) beschäftigt sich mit der Ladungssicherung bei LKW mit und ohne Anhänger und soll helfen, Personen-, Fahrzeug- und Güterschäden zu vermeiden. In den Blättern der VDI 2700 wird anhand verschiedener Szenarien unterschiedlicher Güter, Fahrzeugtypen oder Transporteinheiten beschrieben, welche Kräfte auf eine Ladung im Fahrbetrieb einwirken und wie diese grundsätzlich gesichert werden können. Viele Beispiele ergänzen den theoretischen Teil. Der Paragraf 22 der Straßenverkehrsordnung fordert, bei der Ladungssicherung "die anerkannten Regeln der Technik" zu beachten. Daher ist die VDI 2700 Grundlage bei Überwachungsmaßnahmen der Behörden und auch für Gerichtsurteile bei Verkehrsstreitfällen. ag