Piratenpartei

Piratenpartei Piraten auf KurssucheIn NRW und Schleswig-Holstein könnte die Piratenpartei die Landtage entern. Die Politik-Neulinge sitzen dann in den Verkehrsausschüssen und entscheiden mit. Doch wie ticken die Newcomer in Sachen Wirtschafts- und Verkehrspolitik?Patrick Döring kämpft an vorderster Front gegen die Piraten. Nicht in Uniform und schwer bewaffnet am Horn von Afrika, sondern mit Worten im deutschen Wahlkampfalltag. Und seine Gegner sind auch keine schlecht ausgebildeten Freibeuter mit Maschinengewehr, sondern gebildete Akademiker mit Laptop: die Piratenpartei. Von der „Tyrannei der Massen“ spricht FDP-Generalsekretär Döring – oder von einem „zu schlichten“ Verständnis von Demokratie. Und auch sein Partei-Kollege, NRW-FDP-Frontmann Christian Lindner, fährt schweres Geschütz auf und beschimpft die Piraten als „Linkspartei mit Internetanschluss“. Dass die FDP an vorderster Front steht, wenn es um Attacken auf die Politik-Neulinge geht, ist durchaus verständlich: Vereinnahmen die Piraten doch den Begriff der Freiheit für sich – und räubern damit auch im Revier der Liberalen. Wähler: Früher FDP, heute PiratenSchwarz auf weiß belegen das die Zahlen des ARD-Deutschlandtrends. Infratest Dimap untersuchte die Wählerströme zwischen den Parteien und gab die Antwort auf die Frage: Wer wählt überhaupt die Piraten? Sie lautet: Vor allem Nichtwähler, FDP- und Linke-Anhänger. Doch nicht nur die FDP wehrt sich gegen den neuen Konkurrenten, auch die anderen etablierten Parteien sorgen sich um ihre Pfründe und greifen die Neulinge dort an, wo sie am verwundbarsten scheinen: bei den kaum vorhandenen Inhalten. Und dort liegt in der Tat die Schwäche der Piraten, deren Programm außer den Themen Netzpolitik, Bürgerbeteiligung und Transparenz kaum Konkretes hergibt. Transport und Logistik kommen überhaupt nicht vor. Fragt man bei den Piraten nach, so geben diese offen zu: „In Sachen Güterverkehr haben wir auf Bundesebene bisher noch keine Programmpunkte, nur in einigen Ländern wie in NRW gibt es vereinzelt Aussagen“, sagt etwa Piraten-Bundesvorstand Matthias Schrade. Und auch der Sprecher der AG Bauen und Verkehr, Markus Bloch, stellt fest: „Verkehr ist nicht unser Kernthema“.Umweltzonen, PKW-Maut, TempolimitFragt man weiter nach, finden sich dennoch Hinweise, wie zukünftige Positionen in Sachen Verkehrspolitik aussehen könnten. So stellen sowohl Bundesvorstand Schrade als auch AG-Sprecher Bloch im Gespräch den Sinn von Umweltzonen infrage. „Umweltzonen bringen effektiv nichts und sind ein Witz. Das ist absolute Symbolpolitik“, sagt Bloch. Beide sind gegen ein generelles Tempolimit und lehnen eine PKW-Maut ab, beide wollen eine Stärkung des Güterverkehrs auf der Schiene, beide sprechen sich grundsätzlich gegen zu viel Regulierung aus. Doch konkreter wird es nicht. Zwar fordert Pirat Bloch, „dass Güter wieder verstärkt auf der Schiene transportiert werden, also weg vom LKW, hin zur Schiene“. Doch eine Position etwa zur LKW-Maut, zum Lang-LKW oder zu Infrastrukturgroßprojekten sucht man bei den Piraten vergeblich. Genau an der Beantwortung dieser Fragen ist jedoch die Logistikbranche interessiert. „Ob die Piraten angesichts des bislang nur bruchstückhaft vorliegenden Programms dazu beitragen können, die großen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen der Zukunft zu lösen, entzieht sich derzeit noch einer seriösen Beurteilung“, sagt etwa Klaus Peter Röskes, geschäftsführender Gesellschafter der Spedition Röskes aus NRW, wo nächste Woche gewählt wird. Ob der zentrale Begriff der Freiheit die Partei gar zu einer modernen FDP machen könnte, bezweifelt er: „Die bislang im Sinne von „Freiheit und Eigenverantwortung“ von den Piraten gesetzten Akzente, wie etwa die Verteidigung der Bürgerrechte oder die Informationsfreiheit, stellen nur Teilaspekte einer liberalen Politik dar.“ Und in der Tat: Ob sich bei den Piraten auch in der Wirtschaftspolitik liberale Denkmuster durchsetzen, ist offen. So sieht es auch der Politikwissenschaftler Gerd Langguth (siehe Interview), der prognostiziert: „Die nächsten programmatischen Schritte werden nicht in Richtung Liberale gehen, eher in Richtung Grüne oder Linkspartei.“ Die Piraten selber streiten noch über die Ausrichtung. Während Vorstand Schrade betont: „Wir lassen uns nicht ins klassische Rechts-Links-Schema eingruppieren“, gibt NRW-Pirat Bloch zu Protokoll: „Insgesamt sind wir eher links verortet – ich würde das als sozial-liberal bezeichnen.“Dass die Diskussion durchaus offen ist, zeigen die bisherigen Beschlüsse in der Wirtschaftspolitik. Sie dürften so manchem Unternehmer gefallen: So fordern die Piraten etwa die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden oder die Entbürokratisierung von Gewerbeanmeldungen oder Genehmigungen. Offen für ArgumenteIn welche Richtung auch immer die Entwicklung geht: Die Partei gibt sich offen für Anregungen von außen – auch aus der Logistikbranche. Bundesvorstand Schrade sagt: „Jeder darf Anträge schreiben und ich habe auch kein Problem damit, qualifizierte Anträge stellvertretend für einen der VerkehrsRundschau-Leser beim nächsten Parteitag einzureichen.“ ❙❚■ Tobias RauserWohin die Piraten in Sachen Verkehrspolitik steuern ist unklar„So schnell wird sich das Thema nicht erledigen“Der Politikwissenschaftler Gerd Langguth sagt, warum die Piraten eher links einzuordnen sind und warum es noch dauern wird, bis die Partei eine Meinung zu verkehrspolitischen Themen haben wird.Sind die Piraten links oder rechts?Gerd Langguth: Die Piratenpartei ist eher dem linken Spektrum zuzuordnen. Auch wenn die Piraten sich selbst nicht in das Links-Rechts-Spektrum eingruppieren lassen wollen, so muss man doch aufgrund der wenigen bisher bekannten Programmpunkte festhalten, dass diese Positionen eher links sind. Anders gefragt: Sind Piraten eher regulierungsfreundlich oder -feindlich?Eher regulierungsfeindlich. Das kommt daher, da sich die Piraten bei einem ihrer Kernthemen, dem Internet, ganz klar gegen staatliche Regulierung und Bevormundung wehren. Dennoch sage ich voraus, dass sich diese Haltung bei anderen Themen, zu denen sich die Piraten ja in den nächsten Monaten äußern müssen, verändern wird. Diese Grundhaltung wird eher links geprägt sein. Ein wichtiges Thema für die Piraten ist aber doch die Freiheit: Kann es nicht sein, dass sich die Partei zu einer moderneren FDP weiterentwickelt – und damit auch für Unternehmer interessant wird?Nein, das glaube ich nicht. Die nächsten programmatischen Schritte, die die Partei gehen wird, werden eher nicht in Richtung Liberale gehen, eher in Richtung Grüne oder Linkspartei. Aber die Piraten betonen in Gesprächen doch immer die Vernunft als Leitmotiv …… naja, erst einmal sagen die Piraten ja zu vielem gar nichts. Das ist ja auch beim Thema Verkehr, mit Ausnahme ihrer Forderung nach einem kostenlosen ÖPNV, der Fall. Aber irgendwann müssen sich die Piraten ja mit Themen wie Logistik und Transport beschäftigen.Das Thema Güterverkehr wird allgemein als so unwichtig angesehen, dass es sicherlich noch dauert, bis die Partei dazu dezidierte Vorstellungen vorweisen kann. Muss sich ein Unternehmer überhaupt mit den Piraten beschäftigen oder hat sich das Thema in zwei Jahren erledigt?Nein, so schnell wird sich das Thema nicht erledigen. Bei den kommenden Landtagswahlen werden die Piraten mit guten Ergebnissen in die Landtage einziehen. Im Bund wird das schwieriger, da sich die Leute dreimal überlegen werden, ob sie einer solchen Partei die Stimme geben werden. Dennoch rechne ich mit einem Einzug der Partei in den Bundestag im kommenden Jahr. Das heißt, man muss sich sehr wohl mit den Piraten beschäftigen – und man muss sie zwingen, sich zu bekennen und fragen: Was wollt ihr? trInterviewGerd LangguthPiratenparteiSo funktioniert die Meinungs-bildung bei den Piraten Liquid Feedback: Das bekannteste Tool für die Meinungsbildung der Piraten ist die Software „Liquid Feedback“ (lqfb.piratenpartei.de). Die Grundidee ist, dass dort jeder Anträge und Vorschläge einstellen kann, die dann von ihm und den anderen Nutzern ergänzt und weiterentwickelt werden können. Über diese wird nach der Diskussion in Liquid Feedback abgestimmt – das Votum ist aber nicht bindend, sondern nur ein Meinungsbild, das dabei hilft, Anträge für einen Parteitag zu optimieren. An den Abstimmungen in Liquid Feedback nehmen im Höchstfall bis zu mehrere Hundert User teil. Letztlich zählt aber nur das Votum des Parteitags. „Der Vorteil der Lösung ist, dass die Mitglieder auf dem Parteitag nicht irgendeinen Text vorgesetzt bekommen, und dann nur ja oder nein sagen können, sondern dass jeder vorher an den Texten über Liquid Feedback mitarbeiten konnte“, sagt Bundesvorstand Matthias Schrade. Die Anträge seien dadurch deutlich ausgereifter und am Kompromiss orientiert.Der Parteitag: Über die Anträge, egal, ob sie in Liquid Feedback angenommen oder abgelehnt oder auf anderem Weg ausgearbeitet wurden, kann auf dem Parteitag abgestimmt werden und sie sind nur bei einer Zustimmung dort offizielle Parteimeinung. Bei den Piraten darf jedes Mitglied am Parteitag teilnehmen und abstimmen, es gibt keine Delegierten wie in anderen Parteien. Der nächste Parteitag ist auf gut 2000 teilnehmende Mitglieder ausgerichtet – bei rund 26.000 Mitgliedern.Verkehrspolitische Strukturen: Bisher gibt es in der Partei – und auch im Bundesvorstand – keine themenpolitischen Sprecher. Es gibt nur Arbeitsgemeinschaften (AG), etwa die AG Bauen und Verkehr. Diese AGs haben aber keinen offiziellen Status und sprechen nicht für die Partei. Die AG Verkehr trifft sich jeden Sonntag um 20 Uhr im Internet über die Sprachkonferenzsoftware Mumble. Die Treffen sind öffentlich, jeder kann daran teilnehmen. „Auch VerkehrsRundschau-Leser können gerne bei uns vorbeischauen, zuhören oder Anregungen geben“, lädt AG-Sprecher Markus Bloch die Branche zum Mitmachen ein. trHintergrundTransparenz und ArgumenteEine Partei ohne konkretes Programm, die bei Erstwählern weit über 20 Prozent erreicht – wo gibt´s denn sowas? Der Erfolg der Piraten ohne konkrete Inhalte ist Ausdruck lang gehegter Ressentiments gegen etablierte Parteien (nicht gegen Politik an sich) und Resultat der neuen Möglichkeiten des Internets, die Politik und Wirtschaft in ihrer revolutionären Bedeutung noch immer unterschätzen. Die Logistikbranche muss sich dieser Partei stellen: mit Transparenz bei Entscheidungen und Argumenten in der Sache. Die Piraten betonen immer, auf Vernunft und Pragmatismus zu setzen. Genau da muss gute Lobbyarbeit der Branche ansetzen – und sie zwingen, Farbe zu bekennen.Kontakt: tobias.rauser@springer.comTobias RauserChef vom DienstKommentar

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