Paketzustellung

PaketzustellungJeder trägt sein PäckchenGünter Wallraff prangert die Arbeitsbedingungen in der Paketzustellung als modernes Sklaventum an. Bestehende Marktstrukturen fördern prekäre Verhältnisse, sagen auch wissenschaftliche Studien. Günter Wallraff ist nicht der Erste, der die Arbeitsbedingungen bei Paketzustellern öffentlich anprangert. Aber wenn Deutschlands bekanntester Undercover-Journalist irgendwo wühlt, ist ihm die erhöhte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien gewiss. Seit der Wallraff-Bericht vom Privatsender RTL ausgestrahlt wurde, steht das System der Paketdienste, das in hohem Maße auf dem Einsatz selbstständiger Subunternehmer baut, am Pranger. Laut Wallraff arbeiten viele Fahrer unter sittenwidrigen Bedingungen: Arbeitszeiten zwischen zwölf und 15 Stunden täglich – bei einem Monatslohn zwischen 1200 und 1300 Euro brutto. Zwischen zwei Diensten seien die gesetzlich vorgeschriebenen elf Stunden Ruhezeit oft nicht möglich, von Pausen während der Tour ganz zu schweigen. Die Fahrtenbücher der Fahrer über ihre Lenk- und Ruhezeiten seien nichts als „Makulatur“. Wallraff prangert vor allem das System der in der Paketbranche üblichen Auslagerung an Subunternehmer an. „Um sich nicht verantworten zu müssen, schalten manche Konzerne Subunternehmer zwischen, die offiziell als Arbeitgeber der Fahrer agieren, meist selbst auch fahren und häufig ausschließlich für einen Konzern arbeiten“, schreibt Wallraff. In der VerkehrsRundschau hat sich GLS-Chef Rico Back zu den Vorwürfen geäußert (siehe Interview S. 20). Die negative Berichterstattung über GLS empfindet er als verkürzte und einseitige Darstellung des komplexen Marktes und verteidigt die Beauftragung von Subunternehmen als normale Arbeitsteilung. Immerhin: Die Negativschlagzeilen will er zum Anlass nehmen, an allen Niederlassungen Gespräche mit den Transportunternehmen anzustoßen, um über Verbesserungen im System nachzudenken und konkrete Programme abzuleiten. Wallraff wirft GLS unter anderem vor, in seinen schriftlichen Angeboten für Subunternehmer zwölf Stunden tägliche Arbeitszeit als Kalkulationsgrundlage einzutragen. In einer Stellungnahme der GLS-Geschäftsführung wehrt sich das Unternehmen gegen die Beschuldigungen: Die Verträge zwischen GLS und den Transportunternehmen seien transparent und entsprächen geltendem Recht. „Sie werden individuell ausgehandelt, weil sich Leistungserbringung und Leistungsvergütung aus Faktoren zusammensetzen, die sich nicht vereinheitlichen lassen“, heißt es. Tourlängen, Infrastruktur der Zustellgebiete und die Paketmengen fließen mit ein. Die Universität Jena hat im Rahmen eines EU-Projekts den Markt für Kurier-, Express- und Paketdienste in Deutschland untersucht. Besonderes Augenmerk galt den Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsverhältnissen in der Branche. Die Wissenschaftler stützen ihre Erkenntnisse auf Interviews mit Kurierfahrern, Subunternehmern und Vertretern des mittleren Managements bei großen Paketdienstleistern.Formal unterscheidet die Studie drei Bereiche der Beschäftigung. Zusteller, die mit einem regulären Arbeitsvertrag direkt bei den Paketdiensten beschäftigt sind. Dieses – allerdings tendenziell schrumpfende – Segment setzt sich wesentlich aus den Beschäftigten der DHL und UPS zusammen. Es gelten Haustarife oder die Tarifverträge des SpeditionsgewerbesFahrer, die einen Arbeitsvertrag mit einem Subunternehmen abgeschlossen haben, der im Auftrag eines Paketdienstes tätig ist. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad ist gering – ebenso die Entlohnungselbstfahrende Unternehmen und Aushilfen, die ohne Arbeitsvertrag arbeiten und häufig pro Zustellung entlohnt werden. Stundeneinkommen liegen teilweise bei weniger als vier EuroEinige Trends gelten laut Studie für die gesamte Zustellbranche. Demnach hat die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter in den letzten Jahren deutlich zugenommen. „Es müssen immer mehr Pakete in immer kürzerer Zeit ausgeliefert werden“, sagt der Sozialwissenschaftler und Projektleiter Hajo Holst. In den geführten Interviews mit Paketzustellern hörten er und seine Mitarbeiter häufig dieselbe Klage: „Nach dem Motto ‚Bei uns ist das ganze Jahr über Weihnachten‘ ist die Arbeitsbelastung bei den Zustellern konstant hoch. Phasen, in denen viel los ist, wechseln nicht mehr mit ruhigeren Zeiten ab“, sagt Holst. „Arbeitszeit wird in dem System zum flexiblen Anpassungspuffer, der scheinbar beliebig dehnbar ist.“Weil Kunden mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte nutzen, wird die Arbeit der Zusteller gleichzeitig immer komplexer: Nachnahmepakete, termingebundene Auslieferung und Abholung von Waren erfordern eine immer kompliziertere Planung der letzten Meile. Das gehe zulasten der Fahrer. Stundenlöhne von fünf EuroViele Unternehmen orientieren sich bei der Bezahlung ihrer Fahrer zwar am Tariflohn, auch wenn sie nicht tarifgebunden sind. Sie erhalten in der Regel einen festen Monatslohn und haben vertraglich festgelegte Arbeitszeiten. Wegen der hohen Belastung kämen viele aber tatsächlich auf eine 50- oder 60-Stunden-Woche in ihrem Job, kann Holst bestätigen. Rechnerische Stundenlöhne von sechs bis sieben Euro seien in der Branche daher normal.Die Erkenntnisse decken sich mit den Beobachtungen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, bestätigt Pressesprecher Jan Jurczyk, der von „branchentypischen strukturellen Problemen“ spricht. Neben GLS nähmen auch andere Paketnetzbetreiber wie Hermes oder DPD derlei Dumpingverhältnisse billigend in Kauf. Wolfgang Abel, Fachbereichsleiter für Postdienste, Speditionen und Logistik beim Verdi-Landesbezirk Hamburg, hat die Verdienstverhältnisse einmal ausgerechnet: Das Einstiegsgehalt eines Post-Mitarbeiters in der Paketzustellung beträgt nach Post-Haustarif bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden 11,13 Euro pro Stunde. Ein Paketzusteller bei UPS, der nach Flächentarifvertrag bezahlt wird, bekommt in Hamburg immerhin 10,82 Euro pro Stunde. Paketzusteller bei einem der zahlreichen Subunternehmen kommen im Monat dagegen nur auf ein Gehalt von durchschnittlich 1200 Euro brutto. Unter Einbeziehung der unbezahlten Überstunden entspricht dies einem Stundenlohn zwischen 5 und 5,50 Euro pro Stunde. Die Gewerkschaft setzt sich daher für einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ein. Es wäre aber zu kurz gedacht, wollte man die Deutsche Post, die zum Großteil noch festangestellte Zusteller mit Tarifbindung einsetzt, zum „guten Prinzip“ erheben. Die vergleichsweise komfortablen Arbeitsbedingungen der ehemaligen Staatskonzernen beruhen eben auf deren Tradition. Im Ausland treten diese Unternehmen genauso aggressiv auf wie der Wettbewerb, egal ob es sich um Deutsche Post, die britische Royal Mail oder die französische La Poste handelt. Der Outsourcinggrad von DHL liegt im Ausland laut Holst ebenfalls bei 90 Prozent. „Wir haben es hier mit einem Marktprinzip zu tun, das international gültig ist,“ erklärt Holst.Die politische Dimension„Die Paketdienstleister befinden sich in einem harten internationalen Wettbewerb und kämpfen nicht zuletzt über den Preis um Marktanteile“, erklärt Holst. Großkunden wiederum können aufgrund ihrer großen Sendungsvolumina niedrige Preise aushandeln und sind nicht bereit, mehr zu bezahlen. Die Preise im Paketbereich seien deshalb in den letzten Jahren gesunken. „Bei den derzeitigen Marktstrukturenpreisen lassen sich sicher keine Loherhöhungen durchsetzen“, gibt sich der Wissenschaftler skeptisch.Der Soziologe macht auf die politische Dimension der Niedriglohnbeschäftigung aufmerksam. „Wir haben das Problem prekärer Arbeitsverhältnisse ja leider nicht nur in der Paketzustellung. Letztlich fallen diese Probleme aber auf die Sozialsysteme zurück, weil die Leute häufig keine ausreichende Altersversorgung aufbauen können.“ ❙❚■ Dietmar Winkler, Tanja StraußAustragen bis zum Umfallen – Günter Wallraff (re.) hat sich undercover selbst als Paketfahrer verdingt Die Subunternehmer in der Paketzustellung erfüllen nur noch formal die Kennzeichen eines Unternehmers. Ohne unternehmerisches Wissen starten sie meist mit einem Berg an Schulden in den Markt, der keine Zugangsbeschränkung aufweist. Das System brütet diesen neuen „Unternehmertypus“ gewissermaßen selbst aus, denn meist handelt es sich um ehemalige angestellte Kurierfahrer, die sich in die Selbstständigkeit retten. diwiDHLArbeitsvertrag mitPaketdienstArbeitsvertrag mitSubunternehmerService-VertragTarifgebunden, gewerkschaftlich organisiertKaum gewerkschaftlich organisiert, niedrige Löhne, keine ArbeitszeitbegrenzungNur formale Selbstständigkeit, keine Vertretung von Rechten11,13 € Std.5,50 € Std.4,00 € Std.UPS-KuriereKurier-Unternehmer, die im Auftrag von DPD, Hermes, DHL, GLS und UPS fahrenSelbstfahrende Unternehmer im Auftrag von SubunternehmernDrei KLassen der PaketzustellerPaketzustellungDie Anforderungen sind gestiegenGLS-Chef Rico Back will mit den Transportunternehmen darüber sprechen, was man am System verbessern kannMan sagt: Schlechte Schlagzeilen sind besser als gar keine. Der RTL-Bericht kann Sie trotzdem nicht erfreut haben. Was war Ihre erste Reaktion darauf?Rico Back: Ich war betroffen von dem was da gezeigt wurde – einerseits von der negativen Darstellung unseres Unternehmens in der Öffentlichkeit, aber auch von den gezeigten Schicksalen. Ich fand es aber schade, dass der Bericht die Sache sehr verkürzt darstellt und nur die Negativfälle thematisiert, die ich gar nicht in Abrede stellen will.Wallraff wirft GLS unter anderem vor, bewusst mit Arbeitszeiten von zwölf Stunden und mehr zu kalkulieren und diese Bedingungen quasi zu diktieren. Kalkulieren Sie auf dieser Grundlage?Die Arbeitszeiten der Fahrer sind überhaupt nicht Teil unserer Kalkulation, weil wir mit ihnen keine vertragliche Beziehung haben. Die Fahrer sind Angestellte der Transportunternehmen, die für uns eine Dienstleistung erbringen. Und für die Vergütung der Transportunternehmen verwenden wir Kalkulationssystematiken die individuell vom Arbeitsumfang und Aufwand abhängen. Die Vergütung der Unternehmen ist abhängig von vielen Faktoren und ist Ergebnis einer Verhandlung. Wir vergeben Postleitzahl-Gebiete, in denen zugestellt wird. Wie die dann geplant werden, liegt in der Verantwortung der Unternehmen.Eine Studie der Uni Jena belegt, dass die Arbeitsbelastung in der Paketzustellung zugenommen hat. Geht der Wettbewerb zulasten des Fahrers als letztes Glied in der Kette?Wir sind genau wie unsere Kunden einem ständigen Optimierungszwang unterworfen. Sie müssen ihren Kunden ein wettbewerbsfähiges Produkt anbieten und erwarten dafür von uns eine wettbewerbsfähige Leistung. Kein Zweifel: Die Anforderung an die Transportunternehmen, die in den Zustellgebieten tätig sind, ist gestiegen - durch die höhere Vielfalt der Produkte oder durch den Einsatz von immer mehr IT. Die Branche kämpft zudem mit einem akuten Fahrermangel. Es ist sicher kein einfacher Job, heute Pakete zuzustellen. Ein Wort zur Vergütungspraxis. Sind die im Wallraff-Bericht genannten Zahlen von 1,20 – 1,40 Euro pro zugestelltem Paket branchenüblich?Die Bezahlung der Unternehmen kann nicht darauf verkürzt werden, wie viel pro Paket bezahlt wird. Am Ende zählt, wie viel Umsatz ein Fahrzeug im Monat macht und wie viel Aufwand dahinter steht. In die Vergütung spielen viele Faktoren hinein: Kraftstoffzuschläge, Zuschläge für Sonderprodukte etc. Wir bezahlen zwischen 3800 und 7000 Euro pro Fahrzeug und Monat. Wir sprechen von sehr unterschiedlichen Zustellgebieten mit unterschiedlicher Abholdichte und unterschiedlichen Produkten. Es macht eben einen Unterschied, ob Sie in Paderborn zustellen oder in München.Was tut GLS, um die Arbeitsbedingungen in der Branche zu verbessern?Die aktuelle Diskussion nehmen wir zum Anlass, um uns dem Thema intensiver zu widmen. Konkret wollen wir uns mit den Transportunternehmen zusammensetzen und darüber sprechen, was wir als GLS im System besser machen können. Das ist jetzt in allen Standorten angelaufen. Daraus werden wir Programme ableiten.Wo könnte man konkret den Hebel ansetzen – die Leute besser bezahlen?Unsere Initiative wird zu einem System führen, in dem wir uns verpflichten, die Bedingungen insgesamt zu verbessern. Das meint nicht nur die Bezahlung, sondern vor allem die Frage, wie wir, aber auch die Transportunternehmen, Prozesse verbessern können, wie beispielsweise Touren besser geplant werden oder durch elektronische Systeme sichergestellt werden kann, dass die Lenkzeiten eingehalten werden. Wir werden auf jeden Fall darauf achten, dass die gesetzlichen Grundlagen eingehalten werden und dies auch stärker kontrollieren.Was kann die KEP-Branche tun, um ihr angekratztes Image zu verbessern?Das Image einer Branche ist wichtig. Wir dürfen daher nicht über die Vorwürfe hinweg gehen und so tun, als wäre nichts passiert. Wir sind jedenfalls willens, uns kooperativ mit allen Wettbewerbern zusammenzusetzen und zu überlegen, was zu tun ist. Ein Branchengespräch mit allen Beteiligten wäre ein erster Schritt. diwiInterviewRico Back

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