Nachgeschärft zum Finale

Nach vier Jahren sah man bei Daimler bereits Bedarf zum Handeln und spendierte der eigentlich noch jungen Actros-Generation ihr erstes "Lifting". Genauer gesagt, eine neue Motorengeneration. Der "OM 471 Mark II" ist zwar nicht grundsätzlich stärker geworden, aber die Leistung von 450 PS liegt jetzt rund 200 Touren früher an als beim "alten" 450er. Zusätzlich wurde der maximale Raildruck von 900 auf 1160 bar erhöht, was zu einem maximalen Einspritzdruck von 2700 bar führt. Verbrauchseitig soll das bis zu drei Prozent bringen, was der zum Test angetretene 1845 beweisen soll. Ebenfalls beweisen wollen die Daimler-Verantwortlichen, dass für den Kunden - zumindest in Sachen Wirtschaftlichkeit - kein Weg am Actros vorbeiführt. Weshalb der Testwagen auch für das Green-Truck-Ranking der VerkehrsRundschau an den Start geht. Und dort den aktuell führenden Scania R 450 vertreiben möchte, der mit seiner sehr sparsamen und schnellen Fahrt über die VR-Profitest-Runde die Wertung bislang klar anführt (siehe VR 6/2016). Um den Schweden noch mal zu unterbieten, dafür sollen vor allem zwei Actros-Attribute sorgen. Nummer eins: Top-Torque. Hinter dem Namen versteckt sich eine Drehmomenterhöhung um 200 Newtonmeter, die der Common-Rail-Sechszylinder allerdings nur im zwölften Gang liefert. Top-Torque bringt niedrige Drehzahlen In der Praxis macht sich Top-Torque dadurch bemerkbar, dass sich der 12,8 Liter große Motor auch mit 40 Tonnen an ernst zu nehmenden Steigungen im höchsten Gang festbeißt und diese ohne Rückschaltung - und damit ohne Zugkraftunterbrechnung - bewältigt. Auch wenn dann gerade noch knapp über 1000 Touren anliegen. Sein hohes Elastizitätsvermögen offenbart der OM 471 aber vor allem bei Landstraßentempo. Selbst bei niedrigen 60 km/h stuft das weiterhin schnell, aber mitunter etwas ruppig schaltende automatisierte Powershift-Getriebe sofort in die zwölfte Fahrstufe. Dann "orgelt" der Sechszylinder mit gerade noch knapp über 800 Touren aus dem Drehzahlkeller. Ohne dabei brummig zu werden und weitgehend frei von störenden Vibrationen. Um diese Qualitäten wissend, agiert auch PPC. Womit wir bei Nummer zwei der oben genannten Attribute sind. Der souverän arbeitende GPS-gestützte Tempomat (Predictive-Powertrain-Control) spart sich weitestgehend Rückschaltungen und ist stets um niedrige Drehzahlen bemüht. Wie beim Scania-Test wählten wir auch im Daimler die "verkehrsverträglichste" Einstellung, die mit +/- 5 km/h keinen Unmut beim nachfolgenden Verkehr auslöst . Anders als der vorausschauende Tempomat des Scania verzichtet PPC aber ziemlich auf ein Beschleunigen vor Steigungen und nimmt so weniger Schwung mit in den Berg. Der durch die höhere Geschwindigkeit erlangte Vorteil werde durch den zusätzlichen Kraftstoffbedarf durch die Tempoerhöhung wieder aufgezehrt, begründet Daimler diese Strategie. Bergab sorgte im Test-Actros die verstärkte Turbo-Motorbremse für Verzögerung. Ihre 400 Kilowatt Leistung genügten problemlos, um den auf 40 Tonnen ausgeladenen Sattelzug in den Gefällen der Testrunde auf den eingestellten 90 km/h zu halten. Allerdings brächte der bei Mercedes optional lieferbare Wasserretarder mehr Souveränität und vor allem eine niedrigere Geräuschkulisse. Und in letzterem Kapitel stellt der Actros auch nach der jüngsten Überarbeitung weiterhin nicht den Benchmark. Zumindest in der aerodynamisch optimierten Kabinenversion mit ebenem Boden StreamSpace übersteigt die Geräuschkulisse des OM 471 nach wie vor die der meisten Wettbewerber. Hier hätte Daimler gerne eine sorgfältigere Dämmung spendieren dürfen. Ebenfalls nicht erschließen konnte sich uns der Vorteil, dass die drei Staufächer oberhalb der Frontscheibe jetzt von einem gemeinsamen, breiten Deckel verschlossen werden. Mercedes begründet es mit einer einheitlicheren Optik, wir vermuten allerdings, dass für diese Änderung wie so oft der berühmte Rotstift verantwortlich war. Eine Frage der Philosophie des jeweiligen Herstellers ist die Strategie der Eco-Roll-Funktion. Bei Mercedes lautet diese: Wann immer möglich, den Freilaufmodus aktivieren. Eben auch, wenn der Fahrer außerhalb des Tempomaten vom Gas geht, weil der Zug beispielsweise auf eine noch weit entfernte rote Ampel zurollt. Zumindest in solchen Situationen wäre das Nutzen der Schubabschaltung durch Rollen im eingelegten Gang die bessere Lösung. Die der Fahrer allerdings durch den Wechsel per Knopfdruck in den manuellen Modus am Powershift-Wählhebel selbst herbeiführen kann. Der 1845 liegt am Ende knapp vorne Oben genannte Situationen kommen auf der VR-Profi-Testrunde zugegebenermaßen selten vor. Nicht zuletzt deswegen fuhr der 1845 einen neuen Spitzenwert ein. Wenn auch denkbar knapp! 23,58 l/100 km benötigte der Test-Lkw auf unserer 500 Kilometer langen Runde. Gerade mal eine Tasse pro 100 Kilometer weniger als der Scania R 450 (23,82 l/100 km). Etwas größer wird der Abstand, wenn man den AdBlue-Verbrauch betrachtet. Hier gönnte sich der Only-SCR-Scania mit 7,94 Prozent deutlich mehr als der Mercedes (5,29 Prozent). Doch beim Green Truck ist es wie in der Formel 1: Auch der knappste Vorsprung zählt. Glückwunsch an Daimler, die frühe Überarbeitung hat sich also gelohnt! Alle Tests und Fahrberichte für Premium-Abonnenten www.verkehrsrundschau.de/testdatenbank Der 1845 im TÜV-Urteil Das Urteil des TÜV Süd über Service und Wartung beim 1845: Die Theorie spricht beim Actros von 150.000 Kilometern Wartungsintervall - tatsächlich bestimmt der Wartungsrechner und der beordert den Benz meist viel früher zum Service. Deshalb bekommt der Actros auch einen Punktabzug im entsprechenden Wertungspunkt. Beim Abfahrtscheck übernimmt die meisten Kontrollfunktionen der Bordcomputer - der Licht-Check lässt sich beispielsweise per Fernbedienung am Schlüssel durchführen. Weniger gut: Um den Dieselfilter zu tauschen, das Lenköl nachzufüllen, den Luftfilter zu tauschen oder die Kupplungshydraulik zu kontrollieren, muss die Kabine gekippt werden. Dafür ist das Fahrgestell wartungsarm. Für die Fahrer sollte Mercedes die Erreichbarkeit der Lufttrocknerpatrone und des Reifenfüllanschlusses verbessern. Probleme gibt es auch, falls der Fahrer den Tank aus Versehen leergefahren hat. Denn an die Handpumpe zum Entlüften (falls die Selbstentlüftung nicht klappen sollte) ist nur schwer heranzukommen. Auch die optionalen Seitenverkleidungen am Rahmen (falls das Reserverad benötigt wird) sind nur schwer zu entfernen. gg Kommentar Ein äußerst knappes Rennen So eng ging es beim Green Truck noch nie zu. Lediglich zwei Schnapsgläser rettete der Mercedes auf 100 Kilometer ins Ziel. Womit Mercedes seinen Titel aus dem Vorjahr verteidigen konnte. Übrigens ging beim Test auch Daimlers Versprechen auf, dass der "neue" OM 471 drei Prozent sparsamer sei. Nur schade, dass die Ingenieure bei der kleinen Überarbeitung auch nicht gleich das Thema Kabinendämmung angegangen sind.Kontakt: jan.burgdorf@springer.comJan Burgdorf VR-Redakteur