Nach dem Mautschock

Der Bundesverkehrsminister braucht mehr Geld für den Straßenbau: Zahlen soll der GüterverkehrKostentreiber LKW-MautNach dem MautschockNeue Spielregeln für Transportunternehmer: Für den Euro-3-Fuhrpark könnte die Mauterhöhung das endgültige Aus bedeuten. Neben den Fuhrunternehmen denken auch die Miete- und Leasingfirmen über neue Taktiken nach.Alles Protestgeschrei war vergeblich: Zum 1. Januar 2009 steigt die LKW-Maut je nach Fahrzeugklasse um mindestens 40 Prozent. Die Länder und der Bund einigten sich in einem Kompromiss darauf, dass der Mautsatz in der LKW-Schadstoffklasse Euro 3 für zwei Jahre um zwei Cent niedriger ausfällt als von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) geplant. Für die anderen Schadstoffklassen soll im Gegenzug die Maut pro Kilometer um 0,1 Cent höher ausfallen als vorgesehen (siehe Tabelle). "Wir haben eine aufkommensneutrale Lösung gefunden", betont Tiefensee. Wohlgemerkt: aufkommensneutral für den Staat, nicht aber für die Transportunternehmen. Durch die neuen Mautsätze würde die Durchschnittsmaut im Jahr 2009 um rund 50 Prozent auf 18,3 Cent pro Kilometer steigen, rechnet der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) vor. Für die größte Gattung auf der Autobahn, die Euro-3-LKW, steigt der Mautanteil um mehr als 56 Prozent. In diesem Segment zählte das Kraftfahrt Bundesamt zum Jahresanfang knapp 42 Prozent der mittelschweren und schweren LKW sowie knapp 52 Prozent der Sattelzugmaschinen. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 7. November mit dem Kompromiss beschäftigen. Eine Zustimmung der Länderkammer gilt derzeit als sicher. Lediglich die Bundesländer Bayern, Hessen und Thüringen stimmten dem Kompromiss nicht zu. Dem Votum enthielten sich zudem die beiden Länder mit grüner Regierungsbeteiligung Bremen und Hamburg. Auch das zuvor skeptische Baden-Württemberg hat den Kompromiss zur Erhöhung der Lastwagen-Maut begrüßt. Der Bund erhalte nun mehr Mittel für die Finanzierung des Straßennetzes. "Wir benötigen dringend mehr Geld für den Fernstraßenbau", sagt Verkehrsstaatssekretär Rudolf Köberle (CDU). Die nun gefundene Lösung trage zudem zur Entlastung der mittelständischen Transportunternehmen bei. Spedition Heine kämpft ums ÜberlebenDas sieht Gabi Sailer, Geschäftsführerin der Spedition Heine in Stühlingen-Weizen, anders. "Wir kämpfen aufgrund der extremen Dieselpreissteigerungen schon jetzt ums Überleben. Und nun will der Staat mit dem jetzt beschlossenen Mautkompromiss nochmals mehr Geld", klagt sie. Die Spedition Heine setzt insgesamt 31 LKW ein. Davon rollen 25 Fahrzeuge mit Euro-3- oder Euro-2-Aggregaten. Schon heute fallen in dem Unternehmen monatlich zirka 30.000 Euro Mautgebühren an. Ab 1. Januar 2009 werden es laut Sailer 45.000 bis 50.000 Euro sein. "Tiefensee sagt das so einfach: die Verlader und die Wirtschaft müssen die Maut übernehmen." Richtig sei, so die Unternehmerin, dass die Kunden in der Regel nur die Mautgebühr der niedrigsten Schadstoffklasse tragen, sowie jeweils nur die Last-, nicht aber die Leerkilometer. Auf den übrigen Kosten bleibe die Spedition sitzen. Am meisten ärgert die Unternehmerin aber, dass die Mauterhöhung schon im Januar kommt. Ein Jahr später hätte sie den Großteil ihrer Euro-2-Fahrzeuge austauschen und Ersatzinvestitionen leisten können.Im momentan gespannten Gebrauchtmarkt sind Verkäufe von Euro-3- oder Euro-2-LKW nur schwer zu realisieren. Wolfgang Schwabe, Nutzfahrzeug-Redakteur bei Eurotax Schwacke bestätigt: Der Preis für Euro-3-LKW ist zwischen dem 1. Quartal und dem 3. Quartal 2008 um knapp 20 Prozent gesunken. "Die Preise werden weiter fallen", sagt Schwabe. Bis Ende 2008 rechnet er mit einem weiteren Preisverfall von rund zehn Prozent. Die europäischen Nachbarländer wie Polen können die Überkapazitäten am Markt nicht auffangen, da dort die konjunkturellen Rahmenbedingungen derzeit schlecht ausfallen. "Die kommende Mauterhöhung ist schon im momentanen Gebrauchtmarkt eingepreist", glaubt indes Adolf Zobel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). "Dennoch dürfte sich dies vor dem Hintergrund der derzeitigen Finanzmarktkrise in den nächsten Monaten noch negativ auf das Investitionsvolumen der Transportunternehmen auswirken." Die Finanzierung für Neufahrzeuge hänge stark vom Restwert des Bestandes und dem durch Fahrzeugverkäufe erzielbaren Umsatz ab. Und dieser Restwert ist in den vergangenen Monaten bei Euro-3-Fahrzeugen dramatisch gesunken. Damit schwindet gleichzeitig das Eigenkapital, was sich wiederum negativ auf die Kreditvergabe auswirken wird, fürchtet der Verband. Reaktionsmöglichkeiten der Unternehmer hingen indes stark von den jeweiligen Verladeranforderungen ab. Patentrezepte gebe es nicht, so Zobel. Bis zur Mautentscheidung glaubte Michael Nuber sein Patentrezept gefunden zu haben. "Wir wollten etwas für unser Image und die Umwelt tun, aber auch Mautkosten optimieren", erzählt der geschäftsführende Gesellschafter der Spedition Nuber GmbH in Augsburg. "Deshalb haben wir unseren Fernverkehrsfuhrpark mit insgesamt sechs Fahrzeugen schon vor zwei Jahren von Euro-3 auf Euro-5 umgestellt." Den jetzt beschlossenen Mautkompromiss empfindet der schwäbische Unternehmer deshalb "als Ohrfeige". "Man muss sich das vorstellen", schimpft er, "wir investieren in die modernste Fahrzeugtechnik, die es momentan auf dem Markt gibt, und müssen trotzdem 41 Prozent Mauterhöhung hinnehmen." Pro Fahrzeug seien das jährlich rund 5000 Euro Mautmehrkosten.Euro-5-LKW verbrauchen mehr SpritDer Staat bestrafe also mit diesem "Pseudokompromiss" letztlich jeden Frachtführer, der in den letzten Jahren emissionsarme Fahrzeuge gekauft habe, sagt Nuber. Zumal Euro-5-LKW trotz günstigerer Maut unterm Strich teurer sind als Euro-3-Laster. Allein in der Anschaffung kostete 2006 ein Neufahrzeug rund 6000 Euro mehr, sagt Nuber. Zusätzlich verbrauche ein Euro-5-LKW im Schnitt mindestens 1,5 Liter mehr Treibstoff auf 100 Kilometer als sein Euro-3-Gegenstück. "Jährlich kostet ein Euro-5 allein beim Diesel rund 3000 Euro mehr als ein Euro-3-LKW", rechnet der Unternehmer vor. Und hier seien noch nicht einmal die Zusatzkosten von Ad Blue sowie der dafür notwendigen Zapfanlage und der Bevorratung mit einkalkuliert, die man für den Euro-5 zusätzlich benötigt. Rechne man die nun beschlossenen Mautsätze der jeweiligen Emissionsklassen dagegen, würden diese die Mehrkosten nicht kompensieren. Enttäuscht von der Mautentscheidung sind auch die Verbände der deutschen Spediteure und Transportunternehmen. "Dies ist ein grober Tiefschlag gegen die Transport- und Logistikbranche", formuliert der Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes (DSLV), Michael Kubenz, seinen Ärger. "Es ist unbegreiflich, wie kurzsichtig die Bundesregierung handelt, um an Geld zu kommen. Gerade jetzt, wo die Spritpreise schneller steigen, als sie im Markt weitergereicht werden können, die Maut zu erhöhen, ist nicht nur weiteres Gift für unsere Volkswirtschaft, sondern vernichtet auch viele Existenzen und Arbeitsplätze." Auch der BGL kritisiert den gefundenen Kompromiss. Der Verband wirft der Bundesregierung "Raffgier" und eine "auf kurzfristige Einnahmenmehrung gerichtete Politik" vor, welche sich "kaum noch von den wirtschaftlichen Auftritten rendite-maximierender Manager, die für die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen sind", unterscheide. Kritik am Zeitpunkt übt Bayern. Die CSU-Regierung hatte bereits im Vorfeld der bayerischen Landtagswahlen eine Verschiebung der Mauterhöhung auf den 1. Januar 2010 gefordert und damit den Mautstreit ausgelöst. "Die Speditionsunternehmen benötigen ausreichend Zeit, eine Anpassung ihrer Verträge zu verhandeln und ihren Fuhrpark zu modernisieren", erklärt die bayerische Verkehrsministerin Emilia Müller (CSU). Sie begrüße zwar die befristete Senkung der Mauterhöhung für die Euro-3-LKW, die Kompensation durch eine Erhöhung der Mautsätze für die anderen Schadstoffklassen lehne Bayern jedoch entschieden ab. Verkaufen ist keine LösungBis zum geplanten Starttermin sei "viel zu wenig Zeit", um die Preisgespräche ordnungsgemäß zu führen, klagt auch Unternehmerin Gabi Sailer. Vor drei Jahren wurden meist Anfang des Jahres Preisgespräche geführt und diese waren gültig für ein Jahr. Nun müsse man aufgrund ständig steigender Kosten andauernd Preisgespräche führen. "Jeder Verlader kann aber auch nicht ständig seine Preise erhöhen, deshalb stehen wir Spediteure schon lange mit dem Rücken zur Wand. Der Staat benutzt uns als Geldeintreiber ohne Rücksicht auf Verluste. Erst wenn es keine deutschen Spediteure mehr gibt, wird dem Staat ein Licht aufgehen", schimpft Sailer. Wie sollen die Transportunternehmen nun auf die höhere Maut reagieren? Fahrzeuge, die vor zwei Jahren noch neu waren, werden heute als "Stinker" hoch bemautet. Die KfW Förderbank verlängerte zwar jüngst die Förderung für Euro-5-LKW bis zum 30. September 2009, allerdings gilt dies nur für bislang nicht bewilligte Anträge. In neuen Kaufverträgen werden nur EEV-Motoren (enhanced environmental vehicles) prämiert. Auch das alternative Nachrüsten von Euro-3-Trucks beispielsweise auf Euro-4-Niveau mittels Partikelfilter ist mit Kosten, die schnell jenseits der 5000-Euro-Grenze liegen, verbunden und rechnet sich nur langfristig. Bliebe die Variante, emissionsarme Fahrzeuge zu mieten oder zu leasen. Beim Trostberger Vermieter KLVrent liegt der Euro-3-Anteil bei rund fünf Prozent. Wobei die Mieter die Fahrzeuge gegen Euro-5-Trucks umtauschen können, ohne einen Mehrpreis zahlen zu müssen. Auch die Leasingunternehmen reagieren auf die Mautentscheidung und hoffen auf Kundenzuwächse. So wird Euro-Leasing laut Unternehmenschef Ralf Faust "den Markt verstärkt bezüglich Euro-5-Fahrzeuge angehen und in Abstimmung mit den Herstellern entsprechende Vorkehrungen treffen und Volumina bereitstellen". Bisher war die Bereitschaft seiner Kunden, vorausschauend von Euro-3 auf Euro-5 umzusteigen, nicht vorhanden. Umweltzonen vertreiben Euro-3-LKWEine Großflotte an Euro-3-Fahrzeugen hat VR Leasing. "Gut 40 Prozent beträgt ihr Anteil", bestätigt Thomas Zinycz, Leiter Vertrieb Nutzfahrzeuggeschäft bei VR Leasing. Nach seinen Erfahrungen ist der gesamte Gebrauchtmarkt rückläufig. Bei einem Fünftel liege der Wertverlust für die Euro-5-LKW, bei den Euro-3-Trucks gar bis zu 40 Prozent, meint Zinycz. Die LKW mit der grünen Umweltplakette (Euro-4 und besser) gehen an deutsche Kunden, die mit den gelben Plaketten vor allem in die neuen EU-Länder. Die Umweltzonenregelung betrifft insbesondere die im Regionalverkehr operierende Branche der Möbelspeditionen. Zwar liegt nach Einschätzung des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ) der Anteil von Euro-3-LKW bei rund 50 Prozent, dennoch werden momentan nur wenige junge Gebrauchte hinzukommen. "Einen Markt für Euro-3-Fahrzeuge gibt es momentan aus Sicht der Möbelspeditionen nicht", stellt der AMÖ-Geschäftsführer Dierk Hochgesang fest. "Unserer Erfahrung nach verschwinden die Fahrzeuge im Moment auch kaum, da sie praktisch nicht oder nur unter erheblichen Verlusten verkäuflich sind." Ihren zweiten Frühling erleben die preisgünstigen Euro-3-Trucks also nicht in den Möbelspeditionen. In der Branche sorgt nicht nur die politische Unsicherheit beim Thema Maut, sondern auch die Zukunft der Umweltzonen für Verunsicherung. "Das Thema Feinstaub ist noch nicht am Ende angelangt", meint Hochgesang. Bereits in wenigen Jahren erwartet der Verband eine Verschärfung für die Partikelfilter – auch das ist kein Verkaufsargument für die Euro-3-LKW. Die Mauterhöhung macht damit die jungen Gebrauchten zum Auslaufmodell. ❙❚■ Sebastian Bollig, Eva Hassa, Rocco Swantusch

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