Luftfrachtsicherheit

Luftfrachtsicherheit Die Unsicherheit bleibt Die EU will die Luftfracht sicherer machen. Dafür wurden neue Regeln für Firmen eingeführt. Wenige Wochen vor Ablauf der dreijährigen Übergangsfrist gibt es aber immer noch viele offene Fragen. Die Zeit drängt, auch wenn die Übergangsfrist „Bekannter Versender“ offenbar wohl doch nicht schon am 25. März 2013 endet, wie ursprünglich beschlossen, sondern erst am 29. April 2013. Zumindest sind das die jüngsten Überlegungen der EU-Kommission (Stand zum Redaktionsschluss, siehe auch Seite 10) Fakt ist: Nach Ablauf dieser Frist bricht in der Luftfrachtbranche eine neue Zeitrechnung an. Denn dann dürfen ausschließlich „sichere Ladungen“ in Flugzeuge verladen werden. Versender haben dann nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder sie zahlen teure Röntgenchecks beim Spediteur oder der Airline oder sie streben eine Zulassung zum so genannten Bekannten Versender an. Dann kann die jeweilige Sendung ohne weitere Kontrolle auf die Luftreise gehen. Bislang ist der Ansturm auf das Zertifikat aber eher mäßig. So sind gerade einmal 1059 Betriebsstätten bislang beim Luftfahrt-Bundesamt (LBA) als Bekannter Versender zugelassen. Und das bedeutet: In den Terminals wird es schon bald vermutlich hoch hergehen. Verfahren verschlingt viel zu viel Zeit Dass der Stichtag näher rückt, spüren die Airlines bereits. „Wir erhalten pro Tag bestimmt fünf Anrufe aus der Industrie“, berichtet Harald Zielinski, Leiter Sicherheits- und Umweltmanagement bei Lufthansa Cargo. Die Versender treibt vor allem die Frage um, mit welchen Störungen und Behinderungen Ende März zu rechnen ist – verständlich, schließlich wird schon länger in der Branche spekuliert, dass ein Chaos in den Frachtterminals drohen könnte. „Wir rechnen mit einer Verdreifachung der zu kontrollierenden Frachtmenge“, meint dazu Zielinski. Grund zur Sorge sieht er aber nicht. Man habe sich gründlich vorbereitet und rechne mit einer beherrschbaren Situation. Allenfalls „minimale Verzögerungen zur Umstellung“ seien nicht auszuschließen, so der Luftfrachtexperte. Sicher ist nur: Den Status des Bekannten Versenders jetzt zu beantragen und noch bis zum Stichtag zu bekommen, ist unmöglich. Dafür verschlingt das Verfahren (siehe Kasten Seite 20) viel zu viel Zeit. „Selbst wer sofort heute anfängt, erhält im besten Fall in vier Monaten die Zulassung“, schätzt Annette Wiedemann, Leiterin Industrie und Aviation bei der Dekra Akademie in Braunschweig. Die größten Zeitblöcke: Zunächst muss der Versender für jeden Standort einen Sicherheitsbeauftragten ernennen; dieser wird von der Landesluftsicherheitsbehörde einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen (vier bis zwölf Wochen) und kann erst danach geschult werden. Als Nächstes muss ein Sicherheitsprogramm erstellt und das Personal geschult werden, was ebenfalls Zeit verschlingt. Für Spediteure, die Kontroll-Dienstleistungen anbieten wollen, dürfte es auch schon zu spät sein. „Ein eigenes Röntgengerät muss erst einmal behördlich abgenommen werden“, so Wiedemann. Nicht alle Experten sehen allerdings dringenden Handlungsbedarf. „Es ist ja nicht schlimm, wenn ein Versender erst im April auditiert werden kann“, sagt zum Beispiel Lufthansa-Manager Zielinski. Seine Empfehlung: Die Unternehmen sollten sich von dem Stichtag nicht verunsichern lassen und vielmehr von den Erfahrungen anderer Firmen mit dem Zertifizierungsprozess lernen. Freilich muss der jeweilige Versender dann in der Zwischenzeit seine Sendungen von einem reglementierten Beauftragten (etwa Spediteur oder Fluggesellschaft) kontrollieren lassen. Das kostet in der Regel zwischen 10 bis 70 Cent pro Kilo, wobei typischerweise noch eine fixe Gebühr plus Sendung hinzukommt, etwa 20 Euro. Nicht immer lohnt die Zertifizierung Dennoch rät Zielinski den Kunden mitunter sogar von einer Zertifizierung ab, etwa wenn der jeweilige Versender nur ein geringes Luftfrachtaufkommen hat oder die Produktion im eigenen Haus schlichtweg zu kompliziert ist, um die Sicherheitsanforderungen erfüllen zu können. Hintergrund: Gerade wenn es viele Zulieferungen gibt, womöglich aus aller Welt, lässt sich die Lieferkette oft nur mit riesigem Aufwand „sicher“ machen. Bei manchen Unternehmen ist eine Überprüfung der Luftfracht sogar völlig ausgeschlossen. „In den Röntgentunnel passen Gegenstände mit maximal 1,80 Meter mal 1,80 Meter“, erklärt Expertin Wiedemann. In diesem Fall muss die Sendung mit Sprengstoffspurendetektoren (Sniffer) oder von Hand untersucht werden. Folge: Selbst ein Spediteur, der das Wagnis eingeht und für rund 300.000 Euro eine Röntgenanlage anschafft, wird damit nicht alle Sendungen sicher machen können. Heraus fallen zum Beispiel große Metallteile, die ein Schwarzbild auf dem Röntgenscanner produzieren, radioaktive Sendungen oder Waren, die im Reinraum produziert wurden und nicht ohne Weiteres zur Kontrolle aus der Verpackung entfernt werden können. Experten empfehlen deshalb, nicht blindlings einen Antrag einzureichen. „Gute Berater bieten Workshops an, in denen zunächst geprüft wird, ob sich eine Zulassung zum Bekannten Versender lohnt“, erklärt Elke Wasser, Geschäftsführerin des Logistic Training Center, Neu-Isenburg. Sie rät Unternehmen, sich nicht von den vermeintlich hohen Kosten, die oft in der Presse zu lesen sind, abschrecken zu lassen. „Oft reicht auch eine kleine Lösung“, betont Wasser. In Einzelfällen habe es bei ihren Kunden genügt, eine Gitterbox als Zwischenlager für Luftfracht anzuschaffen und ein Dutzend Mitarbeiter zu schulen. In solchen Fällen hätte in die Zulassung nur 5000 bis 10.000 Euro investiert werden müssen. Kopfschütteln über bürokratische Panne Zum Ärger vieler Marktteilnehmer ist in den letzten Wochen allerdings – wie bereits eingangs geschrieben – noch ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass einige EU-Länder – aufgrund eines Berechnungsfehlers – die entsprechende Verordnung nicht am korrekten Termin, zum 25. März umsetzen, sondern erst am 29. April. Experten schütteln über diese bürokratische Panne nur den Kopf. Zumindest müssen deutsche Spediteure aber keine Wettbewerbsnachteile im Vergleich zu Branchenkollegen aus dem EU-Ausland befürchten. Denn wie es derzeit aussieht, hat sich die EU-Kommission offenbar auf den 29. April 2013 als gemeinsamen Übergangstermin verständigt. Ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren wurde dafür in diesen Tagen eingeleitet. Tatsächlich rechtswirksam wird der 29. April 2013 aber erst mit der Verabschiedung der entsprechenden Verordnung sowie deren Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Kommission. Die Luftfahrtbranche hängt beim Thema Bekannter Versender also weiter in der Luft. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Tipp Auf einen Blick: So werden Sie Bekannter Versender Antrag beim Luftfahrt-Bundesamt stellen. Danach muss binnen zehn Wochen ein Sicherheitsprogramm eingereicht werden, aus dem zu entnehmen ist, wie genau ein Versender die Luftfracht sicher machen wird. Inhalt zum Beispiel: Kontaktdaten von Betrieb und Sicherheitsbeauftragten, Beschreibung der örtlichen Sicherheitsprozesse und Qualifikation des Personals. Einen Sicherheitsbeauftragten ernennen (für jeden Standort, samt Stellvertreter). Diese Personen werden von der Landesluftsicherheitsbehörde zunächst einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen und durchlaufen danach eine viertägige Schulung. Personal mit Zugang zu Luftfracht schulen. Die Seminare können auch elektronisch abgewickelt werden (E-Learning). Das jeweilige Programm muss vom Luftfahrt-Bundesamt genehmigt und der Ausbilder behördlich zugelassen sein. Nur bis zum 31. März 2013 besteht noch die Möglichkeit der Schulung durch den Sicherheitsbeauftragten. Physische Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Grundsatz: Luftfracht muss so geschützt werden, dass Unbefugte keinen Zugriff haben. Hier reicht mitunter schon ein spezieller Raum mit kontrolliertem Zugang. Ware muss so verpackt werden, dass Zugriffe erkennbar sind. Produktionsbereiche, in denen Luftfracht hergestellt, gelagert oder verpackt wird, müssen gesichert werden. Neue Mitarbeiter mit Zugang zu Luftfracht überprüfen. Augenmerk: Lücken in den Beschäftigungszeiten, Straffälligkeiten innerhalb der letzten fünf Jahre, Führungszeugnis. cg In Workshops können Firmen prüfen, ob sich eine Zulassung zum Bekannten Versender lohnt Interview „Niemand weiß, was wann passiert“ Nach wie vor sind nur wenige Firmen als Bekannter Versender zertifiziert. Wie kritisch dies aus Spediteurssicht ist, sagt Ingo Mau, Luftfracht-Sicherheitsbeauftragter der Spedition Emons Air & Sea in Bremen. In wenigen Wochen endet die Übergangsfrist zum Thema „Bekannter Versender“. Wie hat sich Emons darauf vorbereitet? Ingo Mau: Wir haben unsere Kunden informiert und an den Standorten mit den Handling-Unternehmen gesprochen, die Luftfracht kontrollieren. In einem Fall sind wir sogar eine vertragliche Verbindung eingegangen, um sicherzustellen, dass wir nach Ablauf der Übergangsfrist nicht ganz hinten in der Schlange stehen. Rechnen Sie an den Flughäfen mit Warteschlangen? Niemand weiß, was wann passiert oder wie hoch die Sendungsvolumina sind. Fest steht nur, dass die Zahlen durchaus Sorgen machen können: Von 60.000 Versendern sind bislang gerade einmal 1059 Betriebsstätten vom Luftfahrt-Bundesamt als Bekannte Versender zugelassen. Ab welchem Luftfrachtvolumen raten Sie ihren Kunden, sich zertifizieren zu lassen? Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Es gibt Kunden, die versenden nur eine Luftfracht-Sendung pro Monat – müssen aber eine sechsstellige Konventionalstrafe zahlen, wenn diese nicht pünktlich ankommt. Ob eine Zertifizierung sinnvoll ist, hängt also von vielen Faktoren ab. Schafft man noch die Zertifizierung bis zum Ende der Übergangsfrist? Definitiv nicht. Trotzdem sollten sich Versender nicht abschrecken lassen. Leider sind auf dem Markt auch schwarze Schafe unterwegs, etwa Berater, die sofort die große Lösung verkaufen wollen. Dabei muss nicht immer das ganze Firmengelände gesichert werden, um die Zulassung zu erhalten. Manchmal tut es auch eine abschließbare Gitterbox für Luftfracht. cg

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