Luftfracht

LuftfrachtDas Nachtflugverbot und die FolgenAm 11. Oktober verhängten die Kasseler Verwaltungsrichter ein Nachtflugverbot für den Frankfurter Flughafen. Welche Auswirkungen dies auf die Luftfracht hat, sagen Spediteure und Verlader.Das von den Kasseler Richtern verfügte Nachtflugverbot für den Flughafen Frankfurt/Main ist nicht nachvollziehbar“, empört sich Oliver Krautter, Niederlassungsleiter der Luftfrachtspedition Quick Cargo Service (QCS) in Stuttgart (s. Kasten auf Seite 20). Damit werde der Wirtschafts- und Logistikstandort Deutschland schwer geschädigter, sofern das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss im Kern bestätige, schimpft er. „Man muss sich das einmal vor Augen führen“, führt Krautter aus, „Peking hat soeben angekündigt, einen neuen Flughafen mit fünf Start- und Landebahnen bauen zu wollen, auf dem Verkehr rund um die Uhr selbstverständlich ist.“ Praktisch zeitgleich komme nun, so der QCS-Niederlassungsleiter „ein deutsches Pro-vinzgericht daher und gibt das Aus für Nachtflüge in Frankfurt/Main bekannt“. Krautter wörtlich: „Die parallelen Ent-scheidungen von Peking und Frankfurt zeigen, dass wir in Sachen Infrastruktur in Deutschland auf dem besten Weg ins Abseits sind.“Der baden-württembergische Luftfracht-spediteur steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Kaum war das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel am 11. Oktober zum Nachtflugverbot für den Frankfurter Flughafen ergangen – da plädierten wenige Tage später in einer nationalen Anzeige sieben bekannte Unternehmen und Verbände für dessen Aufhebung, wie etwa Lufthansa Cargo und alle namhaften internationalen Logistikkonzerne wie DHL, Kühne & Nagel und Panalpina. Keines dieser Unternehmen, das zeigt die Anzeige ganz klar, kann das Nachtflugverbot in Frankfurt/Main nachvollziehen, das die Kasseler Richter zwischen 23 und fünf Uhr verhängt haben. Umso erstaunlicher ist, dass sich bislang Industrie- und Handelsunternehmen, die eigentlichen Auftraggeber von Nachtsendungen, mit Kritik bislang zurückgehalten haben. Allenfalls die Automobilindustrie zeigte bisher Flagge. „Die Exportnation Deutschland muss ihre Luftverkehrsknoten nachts geöffnet halten, sonst wird die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieses Automobilstandorts gefährdet“, mahnt etwa Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) in Frankfurt/Main.Hoffen auf Aufhebung des UrteilsDiese an den Tag gelegte Zurückhaltung seitens Industrie und Handel kann viele Gründe haben. Zum einen sollen Kunden, die in Übersee auf dringend benötigte Ersatzteil und andere Overnight-Sendungen warten, nicht verunsichert werden. Zum andern sollen Auftraggeber, die im Interkontinentalverkehr Blumen, Obst und andere verderbliche Waren versenden, an „Business-as-Usual“ glauben. Grund: Jeder Marktteilnehmer hofft insgeheim, dass das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, das im Frühjahr 2012 in letzter Instanz über das Nachtflugverbot entscheidet, das Kasseler Urteil einkassiert. Ein weiterer Grund für die bisherige Zu-rückhaltung von Versendern könnte sein, dass viele stillschweigend davon ausgehen, ihre Speditions- und Logistikpartner müssten die Frankfurter Malaise richten. Sprich: Wenn von dort aus kein Nachtflug möglich ist, müssten diese die Luftfrachtsendungen eben zu einem anderen Flughafen umdisponieren. „Wir erwarten, dass unsere Ersatzteilsendungen bei einem Ausfall von Frankfurt über Amsterdam umgeschlagen werden“, sagt ein Unternehmenssprecher des Triebwerkherstellers MTU Aero Engines in München. Ähnlich äußert sich der Arzneimittelkonzern Sanofi-Aventis. „Da wir mit mehreren Speditionsdienstleistern zusammen arbeiten, können wir so flexibel wie möglich agieren“, heißt es aus der Unternehmenszentrale in Frankfurt/Main.Von einem Ausbau der Standorte an anderen Flughäfen, die kein Nachtflugverbot haben, will allerdings kaum ein Speditionsdienstleister etwas wissen. „Mittelfristig wird es aber zu Abwanderungen kommen“, warnt Willem von der Schalk, Geschäftsführer von A. Hartrodt (siehe Kasten oben). „Wir müssen unseren Kunden Alternativen für die Sendungsabläufe von extrem eiliger Luftfracht bieten.“Egal aber, über welche Flughäfen in Zu-kunft nachts umgeschlagen wird: Der Anteil von getruckter Luftfracht wird infolge des Nachtflugverbots allein deshalb zunehmen, weil die Ex- und Importe in den kommenden Jahren weiter wachsen werden. „Das hat Umwege mit erheblichen ökonomischen und ökologischen Schäden zur Folge“, warnt Yongdong Liu, Geschäftsführer von Rieck Sea Air Cargo. Abflüge in den frühen Morgenstunden sind vor allem dann keine Alternative, wenn extrem eilige oder temperatursensible Produkte verschickt werden müssen. Ohnehin befürchten viele Luftfrachtspeditionen für diesen Zeitraum „zwangsläufige Kapazitätsengpässe“, (Quick Cargo Service-Manager Oliver Krautter). Diskussion um FlugverlagerungenAn wenigsten Kopfschmerzen dürfte das Frankfurter Nachtflugverbot dagegen Versendern und Speditionen bereiten, die Luftfracht overnight aus größeren Entfer-nungen anliefern. Viele können mit dem veränderten Flugplan von Lufthansa Car-go und anderen Carriern leben. „Die meisten Sendungen werden abends aufgegeben und treffen erst um zwei oder drei Uhr nachts in Frankfurt ein“, sagt der Ebersberger Spediteur Georg Reischl, der jeden Werktag über ein halbes Dutzend LKW mit getruckter Luftfracht von München aus startet. Weil das Nachtflugverbot um fünf Uhr endet, macht ein Weitertransport nach Köln-Bonn bei 1,5 Stunden Fahrzeit wenig Sinn. Als Alternative steht höchstens Leipzig-Halle zur Verfügung: von München aus ist dieser Flughafen in 6,5 Stunden (Frankfurt: sechs Stunden) erreichbar.Weitaus schwieriger ist die Situation für Versender, die rund um Frankfurt ihre Distributionszentren hochgezogen haben – Beispiele sind der Medizintechnikhersteller Dräger und der Flugzeugteilespezialist Honeywell. Gut möglich, dass solche Unternehmen ihre Supply Chain für Eil- und Ersatzteillieferungen künftig von einem anderen Flughafen aus organisieren. Für Luftfrachtveteranin Ingrid Fritsch, Geschäftsführerin von Fritsch Air Service (FAS), ist zum Beispiel Amsterdam klarer Favorit gegenüber Köln-Bonn, Leipzig-Halle und Paris. „Da KLM das Netzangebot in den letzten Jahr systematisch ausgebaut hat, bietet dieser Flughafen die besten Voraussetzungen für Nachtflüge“, sagt sie. Das Nachtflugverbot in Frankfurt/Main zeigt also erste Auswirkungen. So musste Lufthansa Cargo zum Beispiel zwei wöchentliche Verbindungen nach China einstellen. Und bei weiteren Slots in den Fernen Osten sind technische Zwischenlandungen in Köln-Bonn vorgesehen, damit fest gebuchte Überflugrechte und Landesgenehmigungen nicht verloren gehen. Ab Januar soll dem Vernehmen nach wenigstens eine zusätzliche MD-11 in Köln-Bonn stationiert werden. „Die Diskussion um Flugverlagerungen ist also bereits im vollen Gange“, warnt Andreas Freundt, Leiter der Verkehrsabteilung der IHK Frankfurt. ❙❚■ Stefan Bottler, Heiner Siegmund, freie JournalistenImmer wieder im Visier von Fluggegnern: Nachtflüge diverser Airlines wie Lufthansa CargoSeit 11. Oktober geht nachts nichts mehr: Zumindest nicht auf dem Frankfurter AirportLuftfrachtNicht mehr konkurrenzfähig Das jüngst verhängte Nachtflugverbot trifft nicht nur den Frankfurter Flughafen schwer, sondern auch viele Firmen, die sich in Nähe des Airports niedergelassen haben. Darauf weist Willem van der Schalk hin, Geschäftsführer der Spedition A. Hartrodt. So haben etliche Exporteure ihre logistischen Ersatzteilläger in Nähe des Flughafens errichtet, um von den vielen internationalen Verbindungen und der hohen Flugfrequenz zu profitieren. Die Ansiedlung sei in der Erwartung erfolgt, so der Geschäftsführer, dass in der Rhein-Main-Region auch künftig rund um die Uhr Verkehr möglich sei. Als Beispiel nennt van der Schalk den Hersteller Dräger für Medizin- und Sicherheitstechnik. Das Unternehmen lagert unweit des Frankfurter Airports Ersatzteilsendungen für weltweit tätige Kunden. „Das sind meist hocheilige Sendungen“, weiß der Hartrodt-Geschäftsführer. Ebenfalls vom Nachtflugverbot betroffen sind Hersteller von Flugzeugersatzteilen und die Autoindustrie. Auch sie betreiben rund um den Flughafen Distributionszentren. Bleiben ihre Sendungen wegen des Nachtflugverbots liegen, bedeutet dies laut van der Schalk in der Regel einen Zeitverlust von rund zwölf Stunden. Damit sei Frankfurt – was globale Lieferketten angeht – nicht mehr konkurrenzfähig.Mittelfristig wird es laut dem Manager also zu Abwanderungen kommen. „Als Spediteur ist es unsere Pflicht, die Interessen unserer Kunden wahrzunehmen. Dazu gehört auch, dass wir ihnen Alternativen für ihre Sendungsläufe offerieren“, sagt er. Luftfrachtsendungen, die nachts geflogen werden müssen, machen laut van der Schalk sowieso nur einen relativ kleinen Anteil an Luftfracht aus. Diese seien aber extrem eilig und für viele Kunden sehr wichtig, um Lieferverpflichtungen einhalten zu können. hsWillem van der Schalk, Geschäftsführer der Spedition A. HartrodtSpedition A. hartrodtLuftfracht„Verzögerungen sind nicht tolerabel“ Das im Oktober 2011 verhängte Nachtflugverbot in Frankfurt/Main ist für Oliver Krautter, Niederlassungsleiter von Quick Cargo Service (QCS) in Stuttgart, nicht nachvollziehbar. „Allen Prognosen zufolge werden die Export- und Einfuhrmengen in den kommenden Jahren weiter steigen“, sagt er. Dieses Wachstum lasse sich nur mit nächtlichen Transporten per LKW, Bahn und Flugzeug bewältigen, sagt er. Vor allem eilige Güter wie Ersatzteile oder Pharma- und medizinische Produkte sind dem Niederlassungsleiter zufolge auf sofortige Lufttransporte angewiesen sowie Komponenten für die Automobilindustrie. Auch temperatursensible Produkte, die mit Minusgraden in die USA oder nach China fliegen, müssen laut Krautter via Luftfracht befördert werden. Würden diese länger an einem Flughafen liegen, könnte dies zu enormen Qualitätsproblemen führen, weil das Trockeneis in den Containern die extrem niedrige Temperaturspanne nur maximal 72 Stunden garantieren könne. Ansonsten müsste die gesamte Sendung teuer entsorgt werden, sagt Krautter. Die Lieferketten von Quick Cargo Service seien deshalb zeitlich präzise durchgetaktet. Verzögerungen seien da nicht tolerabel. Hat das Nachtflugverbot in Frankfurt/Main also Bestand, wird sich das laut Krautter für den Flughafen sehr negativ auswirken. Denn die Luftfracht wird sich alternative Wege suchen. Dann dürfte die Rhein-Main-Region den Anschluss an die globalen Luftfrachtströme verlieren, befürchtet er. Für die Stuttgarter QCS-Niederlassung bedeutet dies, dass die Spedition ihre Luftfracht künftig mehr von Amsterdam, Paris oder Leipzig abfliegen lasse, um Zeitverluste zu vermeiden. Denn bei einer Streichung der nächtlichen Frachterflüge komme es zwangsläufig zu Kapazitätsengpässen in der Rhein-Main-Region. Diese können QCS im Sinne der Kunden aber nicht hinnehmen. Lufthansa Cargo dürfte also am stärksten unter der Verlagerung leiden“, schätzt Krautter. hsOliver Krautter, Niederlassungs-leiter von Quick Cargo ServiceQuick Cargo Service

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