Logistik-Trends vom Handelslogistik-Kongress "Log"

Auf der einen Seite schwache Konjunktur-Aussichten, auf der anderen neue Chancen durch Künstliche Intelligenz (KI) und grüne Logistik - das waren die Mega-Themen auf dem diesjährigen Handelslogistik-Kongress "Log" in Köln. Revolution im Spot-Markt Zwei Tage lange tauschten sich hier über 400 Entscheider aus Handel und Logistik über Erfahrungen und Visionen aus; organisiert wird das jährliche Event, das nun zum 30. Mal stattfand, vom EHI Retail Institute, GS1 Germany, dem Markenverband und der Bundesvereinigung Logistik (BVL). Ganz oben auf der Liste der Trendthemen stand KI. Viele Praxisvorträge zeigten, dass diese Technologie den Logistik-Alltag erreicht hat. So ist KI dabei, den Transport-Spotmarkt zu revolutionieren. Was da kommt, hat Transporeon auf dem Kongress als "Autonomous Procurement" (dt. autonome Beschaffung, Anm. d. Red.) vorgestellt. Kernpunkt: Der Verlader überlässt den Frachteinkauf in Zukunft komplett einer KI. Er übermittelt nur die Rahmendaten des Auftrags, also Datum, Volumen, Strecke und den internen Maximalpreis. Die KI bietet den Auftrag dann automatisch einem Spediteur im Netzwerk zu einem individuellen Preis an. Dieser kann das sogenannte "Match Now"-Angebot mit einem Klick annehmen. Tut er es nicht, zieht die KI zum nächsten Spediteur weiter. Der Algorithmus unterbreitet dabei jedes Mal ein individuelles Preisangebot. Das hängt vom Verhalten des Spediteurs auf der Plattform ab: Welche Frachten hat er in der Vergangenheit gesucht? In welchem Segment ist er aktiv und zu welchem Preis? All das berücksichtigt die KI bei der Preiskalkulation. "Das System lernt mit jedem Transportauftrag dazu", erklärt Jan Rzehak, Director Business Consulting bei Transporeon. Automatische Auftragsvergabe Im B2C-Geschäft sind solche personalisierten Preise längst üblich, etwa beim Verkauf von Flugtickets. Jetzt erreichen sie die Transportbranche: Konzerne wie Ikea und Nestlé haben den Autopiloten für den Frachteinkauf schon getestet - und sind nach Angaben von Transporeon begeistert. Sie konnten demnach 80 Prozent der Frachten automatisch vergeben, also ohne dass eine Person telefonieren oder mailen musste. Die Frachtkosten lassen sich mit "Autonomous Procurement" angeblich um sieben bis zwölf Prozent senken. Das Echo der Spediteure sei ebenfalls gut, so Transporeon. Sie bräuchten keine Angebote mehr zu schreiben, zudem falle durch "Match Now" das Risiko weg, bei einem Auftrag in letzter Sekunde von einem anderen Dienstleister unterboten zu werden. Marktkenner befürchten indes, dass durch die scharfe KI-Preiskalkulation die Margen der Spediteure weiter schrumpfen. Transportanbieter lassen sich in Zukunft ebenfalls von KI unterstützen. Bei Transporeon heißt die Funktion "Autonomous Quotation" (autonomes Angebot): Der Spediteur gibt zunächst ein, welche Aufträge ihn interessieren, zum Beispiel "Teilladungen von Hamburg nach Berlin, kein Gefahrgut, Kilometerpreis mindestens X". Das System "sieht sich" auf dem Spotmarkt "um" und nimmt passende "Match Now"-Angebote automatisch an, bis die Transportkapazitäten des Spediteurs aufgebraucht sind (die Funktion ist kostenlos, allerdings geht ein Prozent der Transaktion an Transporeon). Der Spotmarkt für Transporte entwickelt sich also in Richtung Vollautomatisierung: Die KI des Verladers handelt mit der KI des Spediteurs das Geschäft aus - und Menschen überwachen den Prozess nur noch. Weiteres Thema auf der "Log" war der sogenannte "Digitale Zwilling". Wie sich damit ein vorhandenes Lager besser auslasten lässt, berichtete Spielzeug-Hersteller Schleich. Umsatz und Warenvolumen wachsen zweistellig, doch das Logistikzentrum in Schwäbisch Gmünd lässt sich nicht erweitern, da es von Straßen umgeben ist. So arbeitete die Kommissionierung oft am Limit. Mit Unterstützung von Miebach Consulting hat Schleich nun einen Digitalen Zwilling des Lagers erstellen lassen, also eine Simulation, die mit Echtzeit-Daten gespeist wird. Mithilfe dieser Kopie wird rund um die Uhr der Materialfluss optimiert. Ein Beispiel: Kamen früher viele Bestellungen für ein bestimmtes Tier herein, kam es an der jeweiligen Station zu Wartezeiten. Im Digitalen Zwilling lassen sich solche Engpässe vorab erkennen und durch eine intelligente Auftragssteuerung verhindern. Bisher wurde der Materialfluss von zwei Mitarbeitern pro Schicht manuell gesteuert, jetzt übernimmt der Digitale Zwilling die Aufgabe. "Wir konnten den Durchsatz um 33 Prozent steigern", freut sich Thomas Gandt, Director Logistics bei Schleich. Daneben setzt der Hersteller den Digitalen Zwilling für Prognosen ein, etwa um einen Spitzentag vorab operativ durchzuspielen. Zudem lassen sich neue Lösungen virtuell testen, bevor sie in der Realität umgesetzt werden. "Bei einer Umräum-Aktion zum Beispiel ist das physisch schwierig", so Gandt. Sorgen machen den Handelslogistikern derzeit das schwache Wirtschaftswachstum (siehe Kasten S. 23) und die zunehmende Regulierung. Vor allem das Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz (LkSG) beschäftigt die Entscheider. Seit 2024 gilt es für Betriebe mit über 1000 Mitarbeitern - zuvor ab 3000 Mitarbeitern. Das LkSG verlangt, dass alle Lieferströme transparent und nachvollziehbar sind. Ware darf nicht unbemerkt in den Transportprozess ein- oder ausgeschleust werden. Michael Grömling: "Nichts, was Mut macht" Die Logistikbranche muss sich auf ein Jahr mit schwacher Nachfrage einstellen. Das war das Fazit von Professor Michael Grömling auf dem Handelslogistik-Kongress in Köln. Der Konjunktur-Experte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln zeichnete ein düsteres Bild für die kommenden zwölf Monate - und darüber hinaus. Er sehe derzeit "nichts, was Mut macht". Seine konkreten Vorhersagen für 2024: Die deutsche Wirtschaft wächst nur um 0,3 Prozent Der private Konsum steigt zwar leicht an, erreicht aber immer noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Der Konsum der öffentlichen Hand geht zurück Import und Export nehmen zu, was allerdings auf Nachhol-Effekte zurückzuführen ist Die Investitionen (Bau, Anlagen, immaterielle Güter wie Software) bleiben unter dem Niveau von 2019 Auskunftsflut durch neues Gesetz In der Praxis ist die Überwachung mitunter schwierig. "Ein typischer ,Blind Spot' ist das Verladetor", sagt Phil Krumbein, Produktmanager beim Automatisierungs-Spezialisten Sick. Dass Ware zum Beispiel in den falschen Lkw verladen wird, kommt fast überall mal vor. Neue Kontrolltore im Warenein- und -ausgang sollen das künftig verhindern, Sick stellte dafür nun sein "Ident Gate System" vor. Kameras und Sensoren in den Toren scannen automatisch jede vorbeirollende Sendung, etwa die Paletten-ID oder 2-D-Codes auf Kartons. Dann findet ein sofortiger Abgleich mit den Daten im Lagermanagement-System statt. Rollt die richtige Ware in den richtigen Lkw, leuchten die Tore grün, bei Fehlern warnt rotes Licht. Anders als das übliche Quittieren mit Handscannern, das vergessen werden kann, ist diese Kontrolle lückenlos. Viele Spediteure bekamen das Lieferkettengesetz schon heftig zu spüren: So schickten plötzlich Auftraggeber Fragebögen oder Links zu Internetportalen, auf denen der Betrieb Angaben zur Menschenrechtslage in seinem Umfeld machen soll. Zudem schreibt das LkSG den Aufbau eines Beschwerde-Managements vor. Mit fast skurrilen Folgen: Bei manchem spanischen Landwirt hängt etwa ein halbes Dutzend Smartphone-Nummern deutscher Handelskonzerne, über die Betroffene Verstöße gegen Menschenrechte melden können. Um die Parallelarbeit einzudämmen, hat das EHI Retail Institute eine Allianz für Beschwerdesysteme initiiert. Sie heißt Appellando und ist in Spanien schon aktiv. Die Idee: Mehrere Handelsfirmen betreiben zusammen ein Beschwerdesystem, sodass es nur noch eine Notfallnummer gibt, die für alle an der Lieferkette Beteiligten gilt. Aldi, Edeka und Kaufland sind bereits dabei, auf Lieferantenseite zudem die Fruchtproduzenten Driscoll's und SanLucar. Und sicher schließen sich auch bald Spediteure einer solchen Allianz an, um nicht in der Auskunftsflut zu ertrinken. Praxisfall: Die Kiste beauftragt den Transport 90.000 alte Handys werden pro Jahr beim Mobilfunkkonzern Telefónica zurückgegeben. Die Kunden werfen sie in eine Sammelbox in der Filiale. Bislang muss ein Mitarbeiter regelmäßig durch Anheben ihren Füllstand prüfen. Ist sie voll, schickt er eine E-Mail an die Zentrale, die dann die Abholung veranlasst. Dieses Verfahren wird hinfällig durch eine neue Box, die Telefónica zusammen mit Arvato Systems entwickelt hat. Diese Box ist mit Sensoren ausgestattet, die dreimal am Tag den Füllstand an einen Internetrechner übermitteln. Wird ein Schwellenwert überschritten, veranlasst die Arvato-Plattform "Platbricks" automatisch die Abholung durch den Logistikpartner (derzeit DHL). Experten zufolge sind solche automatischen Prozesse die Zukunft. Spediteure müssen sich darauf vorbereiten, Aufträge von vernetzten Gegenständen anzunehmen - etwa indem sie Schnittstellen zu Cloud-Plattformen schaffen.

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