Lebensmittellogistik

LebensmittellogistikNie mehr Einkaufstüten schleppenDie Idee von Amazon und Otto Group ist bestechend: Wer Lebensmittel frisch auf dem Tisch haben will, kann diese via Internet bestellen und sich nach Hause liefern lassen. Warum sich Logistik-unternehmen mit dem neuen Service noch schwertun.Zum 1. Juli platzte die Bombe: „Amazon.de startet einen Onlineshop für Lebensmittel und Getränke. Unter www.amazon.de/lebensmittel werden ab sofort über 30.000 Artikel angeboten.“ Mit diesen dürren Worten kündigte der Internethändler seinen jüngsten Coup an. Nur wenige Tage zuvor hatte Otto-Vorstandschef Hans-Otto Schrader Medienberichten zufolge laut darüber nachgedacht, den vor zehn Jahren wegen Erfolglosigkeit eingestellten Onlinehandel mit Lebensmitteln wieder neu aufleben zu lassen.In der Tat klingt die Idee bestechend: nie wieder Einkaufstüten und Wasserflaschen schleppen. Alles wird bundesweit ab sofort dem Endkunden an die Haustür geliefert. Doch was servicefreundlich klingt, stellt die Logistikpartner vor größte Herausforderungen. Leisten kann dies nur ein KEP- oder anderer Transportbetrieb, der bundesweit flächendeckend präsent ist, 24-Stunden-Service bietet, vorwiegend Endkunden anfährt und über Mehrkammersysteme oder andere Technologien verfügt, die inklusive Sendungsverfolgung und Temperaturüberwachung eine durchgehende Supply Chain für Kühl- und Frischeprodukte gemäß den gesetzlichen Anforderungen abbilden.Warum das Ganze logistisch so komplex ist, liegt laut Steffen Möller, Senior Consultant der Logistikberatung Dr. Schaab & Partner in Gauting, auf der Hand (siehe Interview rechts): „Auch der Online-Kunde kauft vor allem Lebensmittel ein, die gerade nicht im Kühlschrank sind.“ Das Ergebnis sei „ein Mix aus Trockenware, Frischeartikeln, Tiefkühlkost und anderen Artikeln“, so Möller, „der nur mit Mehrkammerfahrzeugen ausgeliefert werden kann“. Zudem will der Internetkonsument über die bestellten Waren auch sofort verfügen, wenn er einmal nicht erreichbar ist. Keine leichte Aufgabe für die Logistik. Denn Verbraucher, die ihre Ware am Postschalter oder beim Depotpartner abholen müssen, sind kaum für Folgekäufe zu motivieren. Davor warnt Otto Strecker, Vorstand der Strategieberatung AFC Management Consulting in Bonn. Kurz: In Deutschland gibt es bislang keinen einzigen Transportdienstleister, der alle genannten Kriterien erfüllt. Wohl auch deshalb fällt der Vorstoß von Amazon im Lebensmittelbereich bei Branchenkennern vorerst durch. Seit Anfang Juli hat der Internethändler zwar sein neues Lebensmittelangebot gestartet – insbesondere mit Artikeln, die Kunden offline „nicht in dieser Vielfalt oder generell schwer finden“, wie Amazon-Sprecherin Kathrin Schmitz betont. Außer 6000 Kaffee- und Teesorten, 5000 Kräuter- und Gewürzprodukten sowie 900 Nudelpackungen bietet Amazon auch Frische- und Kühlprodukte. Allerdings ausschließlich über 60 Verkaufspartner, die in Eigenregie versenden und abrechnen. Mit der Folge, dass diese oft ihre Waren mit anderen Logistikpartnern und anderen Versandkonditionen versenden als Internet-Riese Amazon, der in der Logistik ausschließlich auf DHL und Hermes setzt. Wählerische Kunden haben deshalb schnell mit explodierenden Versandkosten zu kämpfen. Außerdem müssen sie mehrere Anliefertermine einplanen, die gar auf unterschiedliche Tage fallen können. Amazon „lernt täglich neu dazu“Eine solche Logistiklösung überzeugt naturgemäß nicht. Entsprechend zerknirscht gibt sich dieser Tage Amazon, das sein neues Angebot offenbar mit heißer Nadel und ohne Kenntnis der Besonderheiten von Lebensmitteleinkäufen gestrickt hat. Amazon „lernt täglich hinzu“, verspricht der für Lebensmittel verantwortliche Manager Christian Bubenheim. Wie Amazon seine Lebensmittellogistik verbessern will, ist allerdings bislang nicht bekannt. Noch kann sich Bubenheim Zeit lassen – denn seine Konkurrenten tappen, wie es scheint, genauso im Dunkeln. Allen voran der Otto-Konzern, dessen Vorstandschef Hans-Otto Schrader unlängst in einem Interview die Suche nach einem „leistungsstarken, national aufgestellten Partner aus dem Lebensmitteleinzelhandel“ öffentlich machte. Im Gegensatz zu Amazon kennt die Otto Group die hohen Hürden für diesen Markt aber genau – wenngleich ein erster Anlauf des Unternehmens in diesem Bereich vor zehn Jahren scheiterte. Nun will man es besser machen. „Wir werden uns mit einer dezentralen Lagerlogistik auf die Metropolregionen konzentrieren“, kündigt Vorstandschef Schrader an. Und mit der hauseigenen Logistiktochter Hermes Logistik Gruppe steht ein Dienstleister bereit, der alle Services für Stationär- und Versandhandel beherrscht sowie Spezialist für Endkundenzulieferungen ist. Allerdings hat Hermes wenig Erfahrung in der Frische- und Tiefkühllogistik. Gut möglich, dass hier Newcomer Fresh Parcel einspringt, der 2011 einen Paketdienst für Produkte im Temperatursegment zwischen zwei und sieben Grad startet. Das von zwei Ex-Trans-o-flex-Managern gegründete Unternehmen, das ursprünglich nur im B-to-B-Markt tätig werden wollte, signalisiert neuerdings auch am Endkundenmarkt Interesse. Mit eigens entwickelten Wechselboxen, die sich auf unterschiedlichen Trägerfahrzeugen montieren lassen, hätte Fresh Parcel auch geeignetes Equipment für Transportbündelungen mit anderen Warensortimenten. Kurz: In der Lebensmittelogistik bleibt es spannend – sowohl online als auch offline. ❙❚■ Stefan Bottler, freier JournalistTop oder Flop? Die Bestellung von Lebensmitteln via Internet ist umstrittenbranchen-spezialLebensmittellogistikEndkundenzustellung: Meist scheitert es an der GeldfrageWelche Chancen und Risiken die neuen Internetangebote von Amazon & Co. für Logistikdienstleister bieten, sagt Steffen Möller, Senior Consultant bei der Logistikberatung Dr. Schaab & Partner in Gauting.Warum ist der Online-Handel mit Lebensmitteln in Deutschland bislang kaum in Fahrt gekommen? Liegt es am Angebot der Einzelhändler oder an den Logistikdienstleistern?Steffen Möller: Der zusätzliche logistische Aufwand, den eine Endkundenzustellung verur-sacht, muss bezahlt werden. In Deutschland ist die Bereitschaft der Verbraucher, diese Ausgabe auch nur teilweise zu übernehmen, allein schon wegen der zahlreichen Discounter äußerst gering. Gegen diese Verweigerungshaltung konnten Einzelhändler und Logistiker bislang wenig ausrichten. Außerdem wollen deutsche Verbraucher bei Lebensmitteln offenbar nicht auf das Ein-kaufserlebnis am Point of Sale (Verkaufspunkt) verzichten, das der Online-Handel nun einmal nicht bieten kann.Mit anderen Worten: Sie geben den neuen Projekten von Amazon und eventuell von Otto keine Chance.Beide werden es sehr schwer haben. Wichtig sind Sortimentsangebote und Logistiklösungen, die den spontanen Bedarf von Verbrauchern berücksichtigen. Viele planen den Einkauf nicht minutiös für eine Woche, sondern kaufen, was gerade fehlt: Ergebnis ist ein bunter Mix aus Trockenwaren, Frischeprodukten und Tiefkühlartikeln, die binnen 24 Stunden zugestellt werden müssen.Kommt ein Anbieter an Mehrkammerlösungen für Lager und Transport vorbei?Nein. Der Kunde, der im Internet Lebensmittel bestellt, möchte auf stationäre Einkäufe möglichst verzichten. Auch Regionallager müssen deshalb ein sehr breites Sortiment führen.Welche weiteren Voraussetzungen müssen Logistikdienstleister für diesen Markt mitbringen?Weil vermutlich überwiegend Berufstätige mit wenig Zeit Lebensmittel online bestellen, müssen sich diese Unternehmen durch eine hohe Zustellproduktivität in engen Zeitfenstern vor acht Uhr oder nach 18 Uhr auszeichnen. Das ist nur in großen Städten darstellbar. Für KEP-Dienste könnte sich hier ein Zusatzgeschäft zum konventionellen Express- und Paketversand eröffnen, wenn sie zu entsprechenden Investitionen bereit sind. botInterviewSteffen Möller

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