Interview: Ist der ehrbare Kaufmann noch auf der Höhe der Zeit?

Was ist das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns in der heutigen sozialen Marktwirtschaft wert? Christian Dyckerhoff: Es ist als Orientierungshilfe gefragt. Seit der Finanz- und Wirtschaftskrise machen sich die Unternehmen in Deutschland wieder mehr Gedanken über ein Wertesystem, innerhalb dessen sowohl die Marktwirtschaft als auch der einzelne Akteur zu agieren hat. Der Staat kann und soll nicht jedes Detail des Wirtschaftslebens regeln. Die Einhaltung ungeschriebener Regeln des Anstands innerhalb des gesetzlichen Rahmens ist daher nicht nur ethisch, sondern auch volkswirtschaftlich richtig. Welche Anstandsregeln sind das nach Ansicht des VEEK? Der ehrbare Kaufmann ist einer, der zu seinem Wort steht und dessen Handschlag gilt. Seine Prinzipien lauten: fair verhandeln, pünktlich leisten und sauber abrechnen. Rücksichtsloses Verhalten von Unternehmern oder Managern akzeptiert die Gesellschaft nicht. Dauerhafte Anerkennung erhalten sie nur dann, wenn der individuelle Gewinn im Einklang mit der Leistung für Unternehmen und Gesellschaft steht. Der ehrbare Kaufmann denkt und handelt nachhaltig und langfristig. Und er engagiert sich für das Gemeinwesen, ohne dafür besondere Anerkennung zu beanspruchen. Klingt angesichts des zunehmenden globalen Wettbewerbs etwas nach romantischer Verklärung. Unsere rund 1050 Mitglieder sind der Meinung, dass das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns zeitgemäßer denn je ist. Die Jahre 2008 und 2009 haben ja gezeigt, dass sich der Markt nicht von selbst regelt. Und, dass das Loslösen von Werten und die starke Betonung des Eigeninteresses dramatische Negativfolgen für die Wirtschaftsbeteiligten und darüber hinaus haben können. Zumindest für Westeuropa ist der ehrbare Kaufmann immer noch oder wieder präsent. Wie unterscheiden sich die Wertvorstellungen zum Beispiel in China davon? Im internationalen Geschäft gibt es immer wieder Missverständnisse und Probleme. Das liegt auch daran, dass zum Beispiel in der chinesischen Gesellschaft andere Grundeinstellungen herrschen als in unserer christlich-humanistisch geprägten Kultur. So kann das Verständnis von Umweltstandards oder menschenwürdigen Arbeitsbedingungen höchst unterschiedlich sein. Das sollte ein ehrbarer Kaufmann berücksichtigen, aber gleichzeitig auch für seine Werte eintreten. Nur mit Respekt und interkultureller Kompetenz kann man Vertrauen aufbauen, das Einflussnahme durch Überzeugung ermöglicht. Handeln Unternehmer heute moralisch verwerflicher als früher? Schwarze Schafe hat es immer schon gegeben. Durch die Medien bekommen wir inzwischen lediglich schneller und öfter mit, wenn irgendwo auf der Welt etwas schief läuft.Die Wirtschaft versteht mehr und mehr, dass derjenige, der durch Fehlverhalten in die Presse gerät, schnell im Nachteil ist. Entsprechend verlangen viele Unternehmen von Führungskräften, dass sie sich an bestimmte Tugenden halten.