Interview

InterviewStrategiewechsel im NahverkehrDer Fahrer- und Laderaum-mangel führt bei DHL Freight Deutschland zum grund-legenden Wertewandel: Anstelle nur an der Kostenschraube bei Frachtführern im Nahverkehr zu drehen, will Deutschland-Chef Stefan Paul nun auf Partnerschaft setzen. Wie, sagt er im Interview.Sie sind Anfang 2010 angetreten, die Wachstumsstrategie von DHL Freight in Deutschland voranzutreiben und das Thema Branchenlösungen zu forcieren. Die Zahlen für die gesamte DHL sehen in den ersten drei Quartalen 2011 ja sehr gut aus. Wie gut aber sind sie für den nationalen Bereich von DHL Freight?Stefan Paul: Konkrete Zahlen für unser Deutschland-Geschäft kann ich Ihnen nicht nennen, das machen wir grundsätzlich nicht. Nur so viel: Die Indikatoren sind gut. Sowohl 2010 als auch 2011 ist DHL Freight hierzulande stärker als der Markt gewachsen. Wir konnten bislang auch keine Eintrübung oder Anzeichen für eine Rezession erkennen. Unser Wachstum ist ungebrochen. Gilt das auch für das Ergebnis von DHL Freight Deutschland? Bekanntermaßen wird unser Ergebnis nur auf globaler Divisionsebene (Global Forwarding, Freight) veröffentlicht. In diesem Unternehmensbereich sind die See- und Luftfrachtaktivitäten sowie die Landtransporte gebündelt. Sie gehören zu einem Vorstandsbereich mit einem Vorstand. Da ist es nur konsequent, diese beiden Bereiche buchhalterisch zusammen zu nehmen.Gleichwohl lassen sich auf diese Weise bestimmte Dinge recht gut verbergen …Da soll doch nichts versteckt werden! DHL Freight schreibt in Deutschland schwarze Zahlen, auch wenn die Umsatzrendite der Landtransporte naturgemäß deutlich niedriger ist als in der See- und Luftfracht. Das ist in unserem Unternehmen nicht anders wie in anderen Logistikbetrieben auch. Unterm Strich ist die Entwicklung unseres Landverkehrs aber durchaus positiv. Was auch daran liegt, dass Global Forwarding Freight, wie es in Ihrer Presseinfo so schön heißt, „in 2011 von verbesserten Frachtraten und Einkaufskonditionen profitiert hat“. Mit anderen Worten: Sie haben sich auf dem Rücken Ihrer Frachtpartner saniert.Da muss ich deutlich widersprechen! Für DHL Freight Deutschland gilt das nicht. Wir alle, ja die gesamte Branche der Landtransporte, kämpfen massiv mit den gestiegenen Kosten zur Erstellung unserer Dienstleistung (Costs of Sales). Dafür gibt zwei Hauptgründe. Erstens gibt es nach wie vor zu wenig Laderaum in Deutschland, da die Kapazitäten nach wie vor nicht das Vorkrisen-Niveau erreicht haben. Zweitens leiden wir alle unter dem dramatischen Fahrermangel. Das ist der Hauptgrund für den deutlichen Anstieg der Produktionskosten in unserer Industrie. Die VerkehrsRundschau hat darüber ja bereits intensiv berichtet. Gerade in saisonalen Spitzenzeiten, wie jetzt im Herbst, spüren wir dieses Fahrerproblem massiv. Und das treibt unsere Costs of Sales extrem nach oben und nicht nach unten. Welche Möglichkeiten bietet Ihnen da die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU, die seit Mai 2011 möglich ist? Sind ausländische Fahrer für Sie eine Alternative? Für den Nahverkehr ist das keine nachhaltige Lösung. Deshalb schlagen wir jetzt einen anderen Weg ein. Anstelle weiter nur an der Kostenschraube zu drehen, werden wir in die Partnerschaft mit unseren Nahverkehrsbetrieben investieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir gemeinsam mit unseren Subunternehmern im Nahverkehr die Fahrerausbildung organisieren. DHL Freight wird also künftig auf eigene Kosten angehende Berufskraftfahrer ausbilden, die nach ihrer Ausbildung in den Betrieben tätig sein werden, die Sie im Nahverkehr beauftragen?Genauso! Im Februar 2012 starten wir damit. Die jungen Leute stehen bei uns auf der Gehaltsliste, sind also bei uns angestellt und werden sowohl von uns als auch von unseren Nahverkehrs-Transportpartnern ausgebildet. Wir wollen damit das Thema „LKW-Fahrer“ neu angehen. Eine andere Möglichkeit sehen wir nicht, um den Fahrermangel in den Griff zu bekommen. Wir haben hierzulande einfach zu wenig Fahrer, selbst wenn wir versuchen würden, diese aus dem europäischen Ausland zu rekrutieren. Viel zielführender ist aus unserer Sicht die Investition in gezielte Nachwuchsförderung. Für uns heißt das: Wir müssen Jugendlichen einen attraktiven Ausbildungsberuf garantieren. Sie müssen wissen, wenn sie die Fahrerausbildung erfolgreich absolvieren, haben sie aussichtsreiche Beschäftigungschancen. Entweder bei unseren Nahverkehrspartnern oder bei uns im Konzern Deutsche Post DHL. Wir investieren nicht in eine eigene Flotte, sondern in Mitarbeiter. 100 Auszubildende in diesem Bereich sind im ersten Schritt das Ziel. Mein Wunsch ist, dass wir im Februar zumindest mit 60 Azubis starten! Wir arbeiten dafür unter anderem mit der Otto Benecke Stiftung zusammen, in der gezielt Menschen mit Migrationshintergrund gefördert werden. Warum aber arbeiten Sie nicht mit weniger und dafür großen Transportunternehmen zusammen? Damit sparen Sie sich nicht nur Komplexitätskosten, sondern erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese aufgrund ihrer Größe leichter an qualifizierte Fahrer gelangen? Stattdessen setzen Sie europaweit auf über 4000 Frachtführer. Im Linienverkehr und bei grenzüberschreitenden Transporten arbeiten wir schon lange mit wenigen hundert „preferred Partnern“, also mit ausgewählten festen Transportpartnern. Im Nahverkehr sind traditionell nur Betriebe mit 10 bis 20 Fahrzeugen tätig. Da gibt es nur wenige Großunternehmen. Aber auch hier wollen wir nun das Modell der „preferred Partner“ einführen. Das heißt, wir werden die Zahl unserer Nahverkehrspartner reduzieren und künftig mehr mit ausgewählten Partnern arbeiten. Diese wiederum werden wir unterstützen: ob bei der Beschaffung ihrer Fahrzeuge oder der Ausbildung ihrer Fahrer und in vielen anderen Dingen. Dafür überarbeiten wir derzeit unser Konzept „Partnerstore“, um unseren Unternehmern deutlich attraktivere Konditionen für ihre Fahrzeuge und deren Betrieb anbieten zu können. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie wird man bei Ihnen „preferred Partner“?Das wird ein Nahverkehrsunternehmer durch seine gezeigte Leistung. Ebenso wichtig ist für uns, wie geht dieser mit seinen Fahrern um und dem Thema Fahrer im Allgemeinen. Sprich: Wie zuverlässig ist er bei der Fahrergestellung? Wie will er mit uns wachsen? Arbeitet der Unternehmer an Verbesserungen? Wie will er zum Beispiel seine Stopp-Leistung steigern? Ist er bereit, in GPS zu investieren? DHL Freight hat ja vor 1,5 Jahren begonnen, den Nahverkehr mit GPS auszurüsten. Das tun wir nach wie vor, um zum Beispiel Wartezeiten zu reduzieren – sowohl bei unseren Terminals als auch bei unseren Kunden.Und wie kontrollieren Sie die Qualität Ihrer Frachtpartner? Wir machen das über sogenannte Key Performance Indicators (KPI), also ausgewählte Leistungskennzahlen wie Zustell- oder Scanquoten und Schadenhäufigkeit; aber auch weiche Faktoren wie etwa die Zufriedenheit unserer Kunden mit den Fahrern. Die Zahl Ihrer Frachtpartner im Nahverkehr soll also reduziert werden. Um wie viel konkret?Ja, das ist das Ziel. Qualität versus Masse. Auf wie viel Partner wir uns konzentrieren werden, kann ich noch nicht sagen, da wir damit erst am Anfang stehen. Dies wird ein mittelfristiger Prozess sein und auch beinhalten, heute kleine Unternehmer zu größeren, qualitativ hochwertigen Unternehmern zu entwickeln. Natürlich werden wir dann unsere Nahverkehrstransporte neu ausschreiben. Aber nicht nach der Devise: „Der Günstigste ist der Beste.“ Viel wichtiger ist uns, dass wir für unsere Kunden zum vereinbarten Zeitpunkt nicht nur die passende Fahrzeugflotte zur Verfügung haben, sondern auch den zuverlässigen Fahrer. Preisen Sie diese Verfügbarkeit Ihren Kunden gegenüber ein?Die Frachtraten im deutschen Straßengüterverkehr haben noch nicht das Niveau von 2008 erreicht. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ist das Ergebnis aller Branchenbetriebe stark gefallen. Die Sendungsmengen sind zwar da, aber nicht die Margen. Und durch die kritische Kombination Laderaum- und Fahrermangel steigen die Kosten weiter. Das ist ein Teufelskreis… … den die Bahn-Tochter DB Schenker durchbricht, indem sie 2012 5,9 Prozent höhere Preise von ihren Kunden fordert. Was tun Sie, um Ihr Ebit zu steigern?Wir haben unsere Preise zum 2. März 2011 angehoben. Damals haben wir unseren Kunden Planbarkeit zugesagt. Vor 1. März 2012 wird es daher keine neue Preisrunde geben. Daran halten wir uns. Danach gehen wir allerdings in die Preisgespräche. Abgesehen davon haben wir im Herbst 2011 eine variable Transportmarktzulage eingeführt. In saisonalen Spitzenzeiten erheben wir also auf unsere Frachtraten einen Zuschlag – für Stückgüter liegt dieser bei 1,25 Euro, für nationale Teil- und Komplettladungen bei 25 Euro sowie für internationale Teil- und Komplettladungen bei 50 Euro. Allerdings deckt diese Zulage nur einen Teil der zusätzlichen Kosten ab, nicht die Gesamtkosten. Diese erheben wir, um die Qualität und Verfügbarkeit von Frachtraum zu sichern. Dies hat sich bewährt und unsere Kunden akzeptieren sie weitgehend.Von welchem Wirtschaftsszenario gehen Sie 2012 aus und welche Kundenbranchen dürften Treiber potenziellen Wachstums sein?Wir gehen davon aus, dass das Wachstum im kommenden Jahr auf ein normaleres Niveau als das zu Beginn dieses Jahres beobachtete zurückgehen wird. Das gilt für alle Branchen. Die Automobilbranche ist derzeit sehr gut unterwegs. Solides Wachstum sehen wir auch in der Fertigungstechnik, die Chemiebranche ist nach einem starken ersten Halbjahr 2011 leicht abgeflacht, zieht aber wieder an. Um dieses Wachstum mitzunehmen, setzt DHL Freight bekanntlich stark auf Branchenlösungen. Auf welche Branchen werden Sie also in 2012 setzen, um weiter zu wachsen?Wir fokussieren uns auf die fünf Kernbranchen Automotive, Engineering, Manufacturing, Retail, Technology und Life Science. Zusätzlich setzen wir verstärkt auf Beschaffungslogistik. Wir haben zum Beispiel gezielt für mittelständische Industrie- und Handelsbetriebe ein Produkt in der Beschaffungslogistik entwickelt – eine Plug-and-Play-Lösung. Wir sprechen da mit mittelständischen Unternehmen auf Augenhöhe, weil unsere Niederlassungen eigenständige Profit Center sind und im Verkauf lokal auftreten. Unsere Niederlassungsleiter können also einerseits mit der DHL-weiten Netzdichte im In- und Ausland punkten, haben andererseits auch die Vor-Ort-Kompetenz. Diese Kombination ist gut. Allerdings treten Sie damit in den Wettbewerb mit mittelständischen Transport- und Speditionsdienstleistern!Es gibt sowohl für Konzerndienstleister als auch für mittelständische Anbieter genug Platz im Markt. Deshalb sehen wir unsere Aktivitäten nicht als Angriff gegen den Speditionsmittelstand, und den Wettbewerb gibt es ja heute schon. Stattdessen stellt sich für uns die Frage: Wie können wir für Kunden noch attraktiver sein, die branchenspezifische Lösungen benötigen, die sie derzeit weder von großen noch von mittelständischen Logistikdienstleistern erhalten? Und was unterscheidet Ihre Lösung von den Produkten anderer Dienstleister?Zum einen unsere hohe Abhol- und Zustelldichte sowie unser Netzwerk. Zudem verfügen wir über eine sehr starke IT, etwa bei der Sendungsverfolgung. Dazu kommt unser neuer Service in der Beschaffungslogistik. Noch lassen zum Beispiel viele Hersteller und Händler ihre Lieferanten frei Haus liefern. Die meisten haben aber keine klare Strategie, wie sie ihre Beschaffungslogistik optimieren können. Genau dafür haben wir nun eine simple Plug-and-Play-Lösung entwickelt. Dank unserer Webplattform können wir Kunden binnen drei bis vier Tagen anbieten, dass sie sämtliche Lieferanten auf unsere Webplattform aufschalten können. Kombiniert mit unserem Logistik-Know-how haben wir also einen klaren Wettbewerbsvorteil. Interessant dürfte unsere Lösung vor allem für den Handel sein, der seine Lieferanten damit noch effizienter führen kann. Und in welchen Geschäftsfeldern und Ländern sehen Sie für DHL Freight das größte Wachstumspotenzial, und wie wollen Sie es erschließen?Noch ist die Transport- und Logistikbranche extrem heterogen. Selbst DHL Freight als einer der europäischen Marktführer hält nur einen Marktanteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich, in Deutschland vielleicht ein wenig mehr. Um zu wachsen, verfolgen wir eine Zweiphasen-Strategie. Zum einen werden wir unseren Vertrieb ausbauen, insbesondere in den westeuropäischen Ländern. Zum anderen investieren wir kontinuierlich in unser Produktionsmodell. Wir werden insbesondere über ein Hub-/Gateway-Konzept sukzessive von jedem Industrie-Standort in Deutschland fast jeden Industrie-Standort der angrenzenden Nachbarländer wie England, Frankreich und Polen binnen 48 Stunden bedienen können. Sind Zukäufe für Sie derzeit ein Thema?Aktuell? Nein! Wir beobachten zwar immer den Markt, verfolgen aber keine Akquisitionsstrategie. Viel wichtiger ist, dass wir uns dem Thema demografischer Wandel stellen. Das ist für uns das Zukunftsthema und das betrifft alle Mitarbeiterstufen: sowohl Auszubildende, Sachbearbeiter als auch High Potentials frisch von der Universität. Mit ihnen steht und fällt unsere Wachstumsstrategie. Und was ist Ihre Vision für DHL Freight in 2015? Agiert dann das Unternehmen unabhängig von der Deutschen Post im Markt?An der heute bestehenden Struktur soll sich nichts ändern. Denn DHL Freight profitiert ganz klar von den Cross-Selling-Möglichkeiten, die wir dank unserer Geschäftsbereiche wie Supply Chain und Global Forwarding haben. Damit sind wir erstklassig im Markt aufgestellt und können unseren Kunden alle Services komplett aus einer Hand bieten. So ein breites Portfolio haben nur wenige Speditions- und Logistikdienstleister. ❙❚■ Birgit Bauer, Eva HassaStefan Paul: „Wir werden auch im Nahverkehr das „preferred Partner“-Modell einführen“Stefan Paul: „Vor 1. März 2012 wird es keine neue Preisrunde geben“Stefan Paul: „Das Thema demografischer Wandel ist für uns das Zukunftsthema“VitaStefan Paul ist seit Februar 2010 Deutschland-Chef von DHL Freight, der Landverkehrssparte der Deutschen Post DHL. Paul wurde 1969 in München geboren. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistung war er bei Kühne & Nagel, bei DHL Danzas Air & Ocean sowie Exel. Seit 2010 ist Paul CEO von DHL Freight Deutschland. Im Jahr 2010 erwirtschaftete DHL Freight mit rund 11.000 Mitarbeitern einen Umsatz von insgesamt 3,735 Milliarden Euro. Ab 1. Januar 2012 wird Amadou Diallo neuer CEO der gesamten DHL Freight. Er löst damit Thomas George ab, der COO von Global Forwarding wird. bb/ehInterviewInterviewInterview

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