Industrialisierung des LKW-Verkehrs

Industrialisierung des LKW-VerkehrsEine noch stärkere Industrialisierung im Landverkehr soll die Wirtschaftlichkeit von LKW-Touren möglichst rund um die Uhr garantieren. Anders lassen sich die kürzeren Fahrerarbeitszeiten nicht auffangen. Ein Trend, der die Transportbetriebe vor ganz neue Herausforderungen stellt.Probleme mit den neuen Lenk- und Ruhezeiten, Digitaltacho und EU- Arbeitszeitrichtlinie? Nicht mit der Spedition Meyer & Meyer in Osnabrück. Sie stockte kurzerhand ihren Fahrerpool auf und stellte 15 zusätzliche Fahrer ein. Allerdings müssen die neuen Mitarbeiter sich durch besondere Flexibilität auszeichnen. Mindestens zehn der 15 werden als Springer zwischen den elf Standorten eingesetzt und müssen vorrangig bei Begegnungsverkehren mit LKW aus dem eigenen Haus oder Partnern der Deutschen Textillogistik (DTL) aushelfen. Alle Fahrer wurden von der Niederlassung Marquard bei Potsdam angestellt. „In Ostdeutschland fanden wir die Mitarbeiter, die unseren Anforderungen genau entsprachen“, sagt Stephan Becker, Produktmanager Textillogistik von Meyer & Meyer.Mit diesem Königsweg Neueinstellungen würden gerne viele Transport- und Logistikbetriebe den Herausforderungen durch die verkürzten Fahrerarbeitszeiten begegnen. Weil aber die einfachste Lösung auch die teuerste ist und zudem qualifizierte Fahrer derzeit schwer zu finden sind, müssen andere Auswege gesucht werden. „Industrialisierung der LKW-Transporte“ heißt das Stichwort, das derzeit in vielen Unternehmen und Netzwerken diskutiert wird. Feste Tag- und NachteinsätzeAnders formuliert: Mit verstärkter Standardisierung, wie sie aus der produzierenden Wirtschaft bekannt ist, wollen die Verkehrsdienstleister die Wirtschaftlichkeit ihrer LKW-Touren möglichst rund um die Uhr garantieren. Denn nahezu jeder Kunde drängt darauf, vorhandene Rationalisierungspotenziale weiter auszuschöpfen, bevor er einer weiteren Preiserhöhung zustimmt. Vor allem in Begegnungsverkehren wittern viele Unternehmen Potenzial. Wenn sich zwei LKW zu einem fixen Zeitpunkt treffen und die Fahrer mit dem jeweils anderen Auflieger retour fahren, scheinen ausgelastete Fahrzeuge mit festen Tag- und Nachteinsätzen im Rahmen der geltenden Lenk- und Ruhezeiten gewährleistet zu sein. Außerdem ist der Fahrer häufiger zu Hause und der Arbeitgeber spart Spesen, was unterm Strich zufriedene Mitarbeiter und kostengünstigere Touren garantiert. Klingt logisch, ist aber aufwändig zu realisieren. „Die Umstellung auf Begegnungsverkehre war nicht einfach“, bestätigt Karl Dischinger, Inhaber der gleichnamigen Lebensmittellogistik-Spedition im südbadischen Ehrenkirchen-Kirchhofen. Als Mitglied der Markenlogistik-Kooperation Dialog AG in Backnang weiß er, wovon er spricht. Denn auch die Dialog AG setzt aufgrund der neuen Lenk- und Ruhezeiten auf Begegnungsverkehre. „Wir mussten dafür erst unsere gesamten Abläufe umstellen“, erzählt Dischinger. So seien bislang durchgehende Hin- und Rückfahrten an einem Tag zum Dialog-Hub in Bad Hersfeld möglich gewesen. Durch die neuen Lenk- und Ruhezeiten war die Kooperation allerdings nun gezwungen, Begegnungsverkehre zu organisieren, damit die Fahrer die vorgeschriebenen täglichen Lenkzeiten von maximal neun Stunden einhalten können. Seitdem übernimmt ein zweiter Fahrer den Transport zum beziehungsweise vom Hub, während sein Kollege noch Zeit für Nahverkehre in Baden-Württemberg hat. „Für die Disposition bedeutet dies einen erheblichen Mehraufwand“, sagt Dischinger, „weil sie nun zwei Fahrer für dieselbe Destination organisieren müssen.“ Außerdem musste der Unternehmer einen zusätzlichen Mitarbeiter einstellen, der ausschließlich Zugmaschinen und Auflieger am Firmensitz rangiert. Bislang hatte diese Aufgaben einer seiner LKW-Fahrer en passant erledigt. Dischinger will mit dem digitalen Tachografen kein Risiko eingehen. „Der digitale Tacho ist unerbittlich“, sagt er. „Macht der Trucker nur 29 statt 30 Minuten Pause, ist er fällig.“ Internetbasierte SoftwarelösungSolche Situationen will auch die Ende 2006 gegründete Komplettladungs-Kooperation Elvis AG in Eschborn verhindern. Sie wurde deshalb gegründet, um auf die neuen gesetzlichen Vorschriften mit standardisierten Lösungen zu antworten. Rund 30 Speditionen haben sich diesem Verbund mittlerweile mit über 3000 LKW angeschlossen, Tendenz steigend. Gemeinsam suchen sie nach Wegen, wie sie dank Industrialisierung ihrer Prozesse die Mehrbelastungen durch die neuen EU-Regelungen möglichst gering halten. „Das Problem ist das Zusammenwirken der neuen Vorschriften“, weiß Jochen Eschborn, Vorstand der Elvis AG, und nennt ein Beispiel. So könne ein Transport, der zwei Stunden Be- und Entladezeit einschließt, sehr schnell unwirtschaftlich werden, wenn der Fahrer nach längerer Wartezeit nur 50 bis 100 Meter rangieren müsse und damit im Extremfall sowohl gegen die Lenk- und Ruhezeiten als auch gegen die Arbeitszeit-richtlinie verstoße. Abhilfe versprechen sich die Elvis-Kooperationspartner nun von einer verstärkten Standardisierung ihrer Transporte. Auch sie setzen dabei stärker auf die Organisation von Begegnungsverkehren, um die Wirtschaftlichkeit ihrer LKW-Touren zu garantieren. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut in Dortmund entwickelt die Elivs AG gegenwärtig eine internetbasierte Softwarelösung, die bei jedem Transport die Machbarkeit möglicher Begegnungsverkehre innerhalb des Verbunds prüft. Eschborn begründet dies damit, dass angesichts der großen Zahl der LKW ein einzelner Disponent gar nicht mehr ermitteln könne, wo eine maßgeschneiderte Ladung bereitstehe. Kein Wunder, dass die Anforderungen an die neue Software hoch sind. So muss die neue EDV auf den langen Nord-Süd-Strecken sogar gegebenenfalls dreiteilige Begegnungsverkehre organisieren. Trotzdem hoffen die Elvis-Mitglieder, dass die neue Software spätestens Anfang 2008 einsatzbereit ist. Punkt- und zeitgenaues Zusammentreffen der LKWBis dahin muss die Kooperation aber noch selbst einige Hausaufgaben erledigen. So kann von einem flächendeckenden Netz gegenwärtig keine Rede sein. Beispielsweise gibt es in Dresden, Hamburg, Magdeburg und vier bis fünf weiteren Städten beziehungsweise Regionen bislang keine Elvis-Partner. „Wir brauchen aber rund 40 Mitglieder für funktionierende Begegnungsverkehre“, sagt Eschborn. Außerdem könne das Vorhaben nur mit einem zusätzlichen Trailer-Pool realisiert werden – schließlich „verlieren“ die Elvis-Mitglieder bei jedem Begegnungsverkehr Einheiten mit ihrem Logo beziehungsweise können diese erst nach unbestimmter Zeit wiedersehen. Ansonsten gleicht das Vorhaben in vielen Punkten den Konzepten anderer Kooperationen wie DTL oder Dialog. Denn auch Elvis will zurückkehrende LKW-Fahrer mit Kurztouren in die umliegende Region auslasten.Allerdings steckt bei den Begegnungsverkehren der Teufel im Detail. Punkt- und zeitgenaues Zusammentreffen ist in der Praxis eher die Ausnahme. Um so wichtiger ist es, den beteiligten Fahrern immer einen Spielraum zwischen 30 und 60 Minuten einzuräumen, da diese jederzeit durch Staus, Unwetter und andere unvorhergesehene Ereignisse aufgehalten werden können. Ebenso wichtig ist der richtige Standort, an dem sich die Fahrer treffen können, um ihre Wechselbrücken auszutauschen. Das betont Produktmanager Becker von der Spedition Meyer & Meyer: „Der Standort muss sorgfältig ausgewählt werden.“ Seines Erachtens kommen nur abgezäunte Plätze in Frage, die möglichst rund um die Uhr angefahren werden können und Deponiermöglichkeiten für die Papiere bieten, also entweder die Standorte der Kooperationspartner oder die der Kunden. Gerade Letztere bleiben aber die großen Unbekannten in allen Konzepten: Was tun, wenn der Fahrer nach erfolgtem Begegnungsverkehr am Zielort stundenlang auf die Be- und Entladung warten muss? „Die Verlader müssen in die Vorhaben mit eingebunden werden“, mahnt denn auch Karlheinz Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) in Frankfurt. In etlichen Gesprächen will Schmidt aber Signale erhalten haben, dass Handel und Industrie künftig selbst be- und entladen wollen. Erst dann kann der Fahrer die vorgeschriebenen Arbeitszeiten mit Sicherheit einhalten. Dazu Schmidt: „Ich baue hier auf die Vernunft aller Beteiligten.“ ❙❚■ Stefan BottlerSetzen im Teil- und Komplettladungsgeschäft auf Kooperation: Die Initiatoren des Ladungsverbunds Elvis AGPraxislösungDie Elvis-Mitglieder geben sich realistisch. Von standardisierten Transportverkehren und anderen einheitlichen Prozessen, die neuerdings gerne unter dem Stichwort „Industrialisierung“ zusammengefasst werden, sind ihre Unternehmen aber noch ein ordentliches Stück entfernt. „Wir wollen das Produktionsmittel LKW möglichst lange auslasten“, sagt Thomas Kalle, Leiter Landverkehre der Spedition Elsen in Wittlich. Vorbei scheinen also die Zeiten, als ausschließlich ein Fahrer den LKW fuhr. Mit Begegnungsverkehren ist die Produktivität angesichts der neuen Arbeitszeitregelungen für LKW-Fahrer, die maximal 48 Stunden in der Woche hinterm Steuer sitzen dürfen, offenbar am ehesten gewährleistet. „In Zukunft können 15 bis 20 Prozent des gesamten Volumens über Begegnungsverkehre abgewickelt werden“, ist Kalle überzeugt. Ansonsten wird in zentrale Lösungen investiert, wo immer das möglich ist. So werben die Elvis-Mitglieder mit einheitlicher Disposition, Fakturierung, Palettenmanagement und Reklamationsvorgängen. Umgekehrt erwartet die Kooperation auch Flexibilität beim Be- und Entladen. Der Fahrer muss von entsprechenden Vorgängen freigestellt, die Zeitfenster entsprechend flexibel gestaltet sein. Spedition Elsen: Dank Begegnungsverkehr die Produktivität der LKW steigernWarum das Speditionsunternehmen Elsen in Wittlich sich dem Ladungsverbund Elvis AG als Partner angeschlossen hat, sagt Thomas Kalle, Leiter Landverkehre der Spedition.

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