Euro 5 nicht vorzeitig

InterviewEuro 5 nicht vorzeitig entwertenSeit Anfang des Jahres ist Kay Lindemann beim VDA für Nutzfahrzeuge verantwortlich. Im Interview mit der VerkehrsRundschau erzählt er, was die NFZ-Industrie momentan beschäftigt und welche Schwerpunkte die NFZ-Messe IAA setzen wird. Die Verkehrspolitik hat Sie vom Beginn Ihrer Berufstätigkeit bis heute begleitet. Absicht oder Zufall?Kay Lindemann: Meine erste Stelle war die eines Referenten für Verkehrspolitik beim BDI. Das hat meinen Berufsweg geprägt. Meine Leidenschaft gehört seitdem der Verkehrspolitik. Als mich VDA-Präsident Matthias Wissmann 2008 fragte, ob ich die politische Koordination für den VDA in Berlin übernehmen wolle, war die Entscheidung klar. Vor einem halben Jahr kam dann der Ruf in die Geschäftsführung. Zu meinem Verantwortungsbereich zählen – neben der Verkehrs-, Wirtschafts- und Europapolitik – die Nutzfahrzeuge, einschließlich Anhänger, Aufbauten und Busse. Was ist es denn, das Sie an der Verkehrspolitik reizt?Zum einen finde ich die beteiligten Akteure spannend, die einzelnen Verkehrsträger mit den mächtigen Branchen – vom Luftverkehr über die Schiene bis zum Nutzfahrzeugsektor. Zweitens ist die volkswirtschaftliche Bedeutung der Verkehrspolitik enorm groß. Das erfasst man erst richtig, wenn man sich mit den Details befasst. Diese Mischung aus volkswirtschaftlicher Bedeutung von Verkehr und Logistik und die Anziehungskraft und Stärke der beteiligten Branchen, das macht die Spannung aus. Hinzu kommt der Sex-Appeal der Produkte. Sie sprechen jetzt vom PKW?Auch das Nutzfahrzeug hat Sex-Appeal – auf jeden Fall auf den zweiten Blick. Das Nutzfahrzeug muss man zugegebenermaßen für sich entdecken, dann zieht es einen aber besonders in seinen Bann. Wie haben Sie denn das Nutzfahrzeug für sich persönlich entdeckt?Eines meiner ersten Erlebnisse beim VDA war die Nutzfahrzeug-IAA 2008. Als ich dort die verschiedenen Fahrzeuge, Trailerkonzepte und Aufbautensysteme gesehen, mit den Menschen, die diese Produkte entwickeln und verkaufen, gesprochen habe, da hat das Nutzfahrzeug für mich einen Glanz bekommen, den es bislang in der breiten Öffentlichkeit noch nicht in dem Umfang hat.Das Nutzfahrzeug braucht ein besseres Image …Die Imageverbesserung des Nutzfahrzeugsektors ist mir persönlich eine Herzensangelegenheit. Das fängt damit an, mit der Legende aufzuräumen, Nutzfahrzeuge seien grundsätzlich ökologisch im Nachteil gegenüber anderen Verkehrsträgern. Unsere modernen LKW und Transporter müssen keinen Vergleich scheuen. Wenn wir hier weiterkommen – und davon bin ich überzeugt – wäre das eine erhebliche Imageverbesserung.Hier muss aber auch die Politik mitspielen.Die derzeitige Bundesregierung ist so konstruktiv gegenüber der Nutzfahrzeugbranche und dem Logistiksektor eingestellt wie kaum eine andere Regierung in Europa.Woran manchen Sie das fest?Zuletzt hat man das bei der Aussetzung der Mauterhöhung zum 1. Januar 2011 gesehen. Die Bundesregierung versteht Verkehrspolitik als konkrete Wirtschaftspolitik. Das zeigt generell der Koalitionsvertrag. Die Regierung geht mutig den Bereich innovativer Nutzfahrzeugkonzepte und der Maße und Gewichte an. Zudem verlangt sie ausdrücklich Augenmaß in der Klimaschutzpolitik – aktuell bei leichten Nutzfahrzeugen. Es gibt hier einen schrittweisen Mentalitätswechsel, der sich hoffentlich auch langfristig durchsetzen wird. Das Nutzfahrzeug und der Logistiksektor können so wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch einen höheren Stellenwert erhalten. Ein weiterer Beweis für die Bedeutung dieses Bereichs ist die Besetzung des Amtes des Logistikbeauftragten mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Andreas Scheuer.Mit der Aussetzung der Mauterhöhung ist auch die Mautreduzierung für Euro-5-LKW weggefallen. Wer in moderne Fahrzeuge investiert hat, wurde sozusagen bestraft.Die Maut für Euro 3 nicht zu erhöhen, ist im Vergleich – auch aus Sicht der Kunden unserer Hersteller – das bessere Ergebnis. Wir setzen uns jetzt dafür ein, dass es keine vorzeitige Mautklasse für Euro 6 gibt. Sie würde unnötigerweise die sehr schadstoffarmen Euro-5-Fahrzeuge abstufen. Ich bin zuversichtlich, dass die guten Argumente, die wir haben, auch von der Politik gehört werden.Die Industrie hat sich dafür eingesetzt, Euro 6 erst später einzuführen. Warum ist das nicht gelungen?Auf dem Höhepunkt der Krise wäre es sinnvoll gewesen, die Unternehmen durch eine spätere Einführung von Euro 6 zu entlasten. Es ist vielleicht eine Systemeigenschaft von Politik – vor allem von Umweltpolitik –, einmal getroffene Entscheidungen praktisch nicht mehr korrigieren zu können. Aber unsere Unternehmen haben ihre Anstrengungen nie nur am politischen Entscheidungsprozess ausgerichtet, sondern ihre Investitionsprogramme stetig fortgeführt. Der Entwicklungszug rollt mit Volldampf Richtung Euro 6. Wenn Euro 6 da ist, sollte die Politik das Transportgewerbe bei der Anschaffung neuer Fahrzeuge unterstützen. Werden wir auf der IAA Euro-6-Fahrzeuge sehen?Offiziell hat sich noch kein Hersteller dazu geäußert, aber ich gehe zum jetzigen Zeitpunkt nicht davon aus. Was hören Sie von Ihren Mitgliedern zum Thema Verbrauchssteigerung bei Euro 6?Die Reduktion der Stickoxide oder Partikel hat nach derzeitigem Stand der Technik den Preis einer leichten Erhöhung bei den CO2-Emissionen. Das wäre für die Politik übrigens ein zusätzlicher Grund gewesen, mit Euro 6 noch zu warten. Ohne diese neue Schadstoffgesetzgebung, hätten wir bei der CO2-Verminderung noch schneller vorankommen können. Insgesamt gehen die Anstrengungen beim Thema Kraftstoffeffizienz aber ungebremst weiter. Wir konnten in den vergangenen 30 Jahren ein Drittel Kraftstoff einsparen. Es ist realistisch, in den kommenden zehn Jahren noch einmal bis zu 20 Prozent Reduktionspotenzial zu heben.Wie soll das gelingen?Motor und Antriebsstrang bieten – trotz enormer Verbesserungen in den vergangenen Jahrzehnten – weitere Reduktionspotenziale. Wir sehen darüber hinaus noch mehr Möglichkeiten im Bereich von aerodynamischen Fahrzeugkonstruktionen, auch bei Anhängern und Aufbauten sowie beim verminderten Rollwiderstand. Um diese Potenziale untersuchen und darstellen zu können, haben wir in der VDA-Forschungsvereinigung Automobiltechnik das Projekt ,Energieeffizienter Lastzug‘ ins Leben gerufen. Auch im Zusammenhang mit Fahrzeugmaßen und -Gewichten können noch Verbrauchsreduktionspotenziale erschlossen werden.Die Bundesregierung plant einen Feldversuch mit längeren und schwereren Fahrzeugen. Der VDA und rund ein Dutzend anderer Verbände sind in einem Arbeitskreis engagiert, der diesen Feldversuch unterstützen möchte. Was ist das Ziel?Bei diesem Thema müssen die rechtlichen Vorgaben an die moderne Nutzfahrzeug-Technik angepasst werden. Sie sind momentan noch eine Zwangsjacke für die Hersteller. Wir brauchen flexiblere Abmessungen und Gewichte und haben dazu einen Dialog mit dem Gesetzgeber begonnen.Wie weit sind Sie damit?Wenn man die Diskussionen der vergangenen Jahre betrachtet, haben wir bereits einen Quantensprung gemacht. Die Bundesregierung hat sich dieses Projekt in den Arbeitsplan geschrieben. Dass es 2011 einen Feldversuch geben wird, hängt entscheidend damit zusammen, dass man die Debatte wieder entemotionalisieren konnte. In der Vergangenheit gab es doch Widerstände der Bahn und des ADAC?Natürlich gibt es unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliche Argumentationsschwerpunkte. Aber die Automobilclubs verhalten sich hier konstruktiv, ebenso die Bahn. Mit beiden Gruppen sind wir im Gespräch – wie auch mit Vertretern des Gewerbes, der Hersteller und des Handels. Jetzt geht es darum, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den Beteiligten die Parameter für diesen Feldversuch definiert.Eine andere Front, an der Sie gerade aktiv sind, sind die Kohlendioxid-Grenzwerte für leichte Nutzfahrzeuge.Der Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission ist wenig zufriedenstellend. Sie hat sich hier sehr populistisch aufgestellt. Unsere Unternehmen arbeiten beständig daran, die Fahrzeuge noch grüner zu machen. Aber man muss kein Ingenieur sein, um zu wissen, dass von 2016 bis 2020 der CO2-Wert nicht von 175 auf 135 Gramm gesenkt werden kann. Das ist eine Fantasiezahl, die die Produkt- und Entwicklungszyklen ignoriert. Wir sind guter Hoffnung, dass Parlament und Rat mehr Augenmaß in die Debatte bringen werden. Wie stellt sich die wirtschaftliche Situation Ihrer Mitglieder momentan dar?Es geht in langsamen Schritten wieder nach oben. Im April hatten wir bei den Zulassungszahlen von Nutzfahrzeugen im Inland zehn Prozent plus. Seit zwei Monaten verzeichnen wir damit wieder Zuwächse. Beim Export und bei der Produktion hellen sich die Daten deutlich schneller auf. Aber machen wir uns keine Illusionen. Der Wiederaufstieg wird lang und steinig, insbesondere bei schweren Nutzfahrzeugen und bei den Anhängern und Aufbauten. Die Zahlen der Transporter deuten darauf hin, dass wir in absehbarer Zeit wieder auf die Durchschnittswerte der vergangenen Jahre kommen. Hier werden wir also schneller zur alten Stärke zurückfinden. Welche Inhalte und Innovationen gibt es auf der IAA im Herbst zu sehen?Ein wichtiges Thema wird nachhaltige Logistik sein. Der grüne LKW wird auf der Messe eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig stehen Wirtschaftlichkeit, Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit ganz oben. Das sind die dominierenden Trends, die wir auch über zahlreiche Fachveranstaltungen und die Innovationsbühne abbilden wollen. Werden wir auf der IAA mehr Anbieter aus China sehen?Die Präsenz chinesischer Hersteller wird nicht signifikant ansteigen. Das bleibt eine Domäne der deutschen und europäischen Nutzfahrzeugindustrie. Neben dem Kaufpreis spielen auch Eigenschaften wie Zuverlässigkeit, Wertbeständigkeit und Sicherheit eine zentrale Rolle für den Kunden. Das alles spricht für die europäischen Hersteller. ❙❚■ Birgit Bauer, Serge VoigtBlick auf den Gendarmenmarkt: Im März 2010 ist der VDA von Frankfurt/Main nach Berlin gezogen. Serge Voigt und Birgit Bauer (VerkehrsRundschau) bei der Hausbesichtigung mit Kay LindemannLindemann: CO2-Fantasiezahl für TransporterVitaKay Lindemann Die Verkehrspolitik ist die große Leidenschaft des promovierten Juristen. Anfang 2010 wurde Lindemann (38) Mitglied der Geschäftsführung des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Der sportbegeisterte und an zeitgenössischer Kunst interessierte Rechtsanwalt hat in Göttingen, Bonn und Buckingham studiert. Im Jahr 2002 ging Lindemann zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und leitete später die Abteilung Energie, Verkehr und Telekommunikation. 2008 wechselte er zum VDA und war für die politische Koordination des VDA in Berlin und Brüssel zuständig. Als Mitglied der VDA-Geschäftsführung zählen seit 2010 zu seinem Verantwortungsbereich die Nutzfahrzeuge, die Betreuung der Herstellergruppe II (Anhänger, Aufbauten und Container) sowie die Bereiche Wirtschaftspolitik, Märkte, Klimaschutz, Verkehrspolitik und Europapolitik mit dem Büro Brüssel.Das Nutzfahrzeug hat Sex-Appeal – zumindest auf den zweiten Blick, findet Kay LindemannKay Lindemann ist für die Nutzfahrzeugbranche verantwortlichInterviewInterview

Euro 5 nicht vorzeitig

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