Ein Paar will nach oben

In der Transport- und Logistikbranche ist es bislang wohl der Überraschungscoup des Jahres 2019. Das Berliner Speditions- und Logistikunternehmen Zeitfracht Gruppe übernimmt den insolventen Buch- und Mediengroßhändler Koch, Neff & Volckmar (KNV Gruppe). KNV ist also vorerst gerettet. Nun müssen nur noch die Kartellbehörden dem Kauf zustimmen. Im Zuge einer übertragenden Sanierung übernimmt Zeitfracht damit alle betriebsnotwendigen Vermögenswerte der KNV Gruppe und wird damit künftiger Alleingesellschafter. Der Verkauf an Zeitfracht umfasst alle Bereiche der KNV Unternehmensgruppe mit allen Standorten in Stuttgart, Erfurt und Leipzig. Dazu zählen die Geschäftsbereiche des Buchgroßhandels (Barsortiment), der Verlagsauslieferung und der Logistik. Zudem übernimmt Zeitfracht alle Anteile an der nicht von der Insolvenz betroffenen Leipziger Kommissions- und Großbuchhandelsgesellschaft. Was für eine Wende im Krimi rund um KNV. Schließlich ist der Buchlogistiker, der im Februar 2019 einen Insolvenzantrag stellte, die Schnittstelle zwischen den Verlagen und dem Buchhandel und steht für 50 Prozent des deutschen Buchgroßhandels. "In diesem Segment hat KNV als Buchlogistiker sogar systemische Bedeutung für den deutschen Buchmarkt", betont Tobias Wahl, Insolvenzverwalter von KNV und Partner von Anchor Rechtsanwälte in Mannheim. Sprich: Wenn die Rettung nicht gelungen wäre, sagt er, hätte dies dramatische Folgen für den Buchmarkt gehabt. Spurensuche bei Zeitfracht Um so überraschender kommt für viele - sofern die Kartellbehörden zustimmen -, dass hier Zeitfracht das Sagen haben wird. Höchste Zeit auf Spurensuche zu gehen: Wer steckt hinter der Zeitfracht Gruppe? Kann es ein Kaliber wie KNV überhaupt stemmen? Zudem stellt sich die Frage, wohin will die Geschäftsführung das Unternehmen entwickeln? Plant sie ein neues Netz oder gar einen Integrator (siehe Interview Seite 24)? Gegründet wurde Zeitfracht 1927, seinerzeit als Spedition, in Stendal von Walter Schröter. Es gibt etliche Geschichten, die sich um die Historie der Firma ranken. Fest steht, dass Sohn Horst Walter Schröter nachfolgte, der später auch Mit-Gründungsvater des Deutschen Paket Dienstes (DPD) war. Bekannt ist auch, dass er sich bis zu seinem Tod in 2013 hartnäckig weigerte, seine DPD-Gesellschafteranteile an die französische Post (La Poste) zu verkaufen, so wie es seine DPD-Mitstreiter Anfang 2000 taten. Und so blieb Schröter quasi der letzte deutsche Mohikaner im französischen Staatskonzern. Vielleicht auch deshalb ist, interessantes Detail am Rande, Ex-DPD-Geopost-Geschäftsführer Arnold Schroven im Beirat von Zeitfracht. Erst Schröters Großnichte Jasmin, heute 35 Jahre alt, die Horst Walter Schröter 2011 zu seiner Nachfolgerin bestimmt hatte, entschloss sich nach dessen Tod zum Verkauf von DPD Zeitfracht an La Poste. Die studierte Betriebswirtin führt seit 2015 mit ihrem Mann Wolfram Simon-Schröter, ebenfalls studierter Betriebswirt, die Geschäfte von Zeitfracht. Er gab laut einem Medienbericht mit 28 Jahren seinen Job bei einer Bank auf, weil er eine insolvente Haustechnikfirma aufkaufte, diese sanierte und sie später als Tochter in die Zeitfracht Gruppe einbrachte. Und er habe, sagt Simon-Schröter, den Deal mit La Poste verhandelt. Zur Höhe des Verkaufspreises sagt er nur, dass dieser "deutlich" über den in der Branche kolportierten 60 Millionen Euro gelegen habe. Auffällig ist, wie ambitioniert nach diesem Verkauf Simon-Schröter und seine Frau die Zeitfracht Gruppe auf Wachstum trimmen - insbesondere durch den Kauf prominenter Firmen, etwa der Air-Berlin-Fracht-Tochter Leisure Cargo in 2017. Kurz darauf sicherte sich Zeitfracht mit der Wartungsfirma Nayak die Technik-Tochter der Air Berlin. Auch die Kölner Charterfluggesellschaft WDL-Aviation, die inzwischen Partner von Easyjet ist, gehört zu Zeitfracht. Ambitionierter Expansionskurs Unbemerkt von vielen stieg Zeitfracht so zum zweitgrößten deutschen Flugunternehmen nach der Lufthansa auf, wobei Leisure Cargo Anfang Juni 2019 laut einem Medienbericht Insolvenz in Eigenverwaltung anmeldete. Alles in allem beschäftigt die Zeitfracht Gruppe nach eigenen Angaben 3000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2018 einen Umsatz von über 300 Millionen Euro. Zum Vergleich: 2014 lag dieser bei noch 128 Millionen Euro. Und vergangene Woche gab Zeitfracht die Übernahme der absoluten Mehrheit an der Schifffahrtsfirma Opus Marine bekannt. Trotz alledem zeigt sich Simon-Schröter gelassen: "Zeitfracht hat in den letzten 90 Jahren keinen Verlust gemacht", betont er. "Wir werden weiter mit offenen Augen das Marktgeschehen beobachten." Sprich: Die Kriegskasse ist offenbar gut gefüllt. Auch was das Thema "Integration" angeht, sieht Simon-Schröter keine Probleme. "Wir werden sehr zurückhaltend agieren und uns wenig in das Tagesgeschäft der KNV einmischen", betont er. "Allerdings werden wir die KNV in bestimmten Bereichen, etwa in der Buchhaltung, im Controlling und in den Line Hauls, entlasten. In die Kernbereiche mischen wir uns nicht ein." "Entscheidend ist, dass der KNV-Geschäftsbetrieb weiterläuft und die Lkw weiter rollen", sagt KNV-Insolvenzverwalter Wahl. Denn der Großhändler hat ständig 590.000 lieferbare Titel von über 5000 Verlagen am Zentrallager vorrätig. Insgesamt werden 5600 Buchhandelsfilialen beliefert, davon 4200 in Deutschland. "Zeitfracht war also in jeder Hinsicht der beste Bieter, der mich als Insolvenzverwalter und die Gläubigerausschüsse überzeugt hat", betont er. "Beide Unternehmen passen sehr gut zu einander. Es ist wirklich sinnvoll, wenn sich die beiden zusammen tun." Zumal Zeitfracht dank seines logistischen Know-how bestimmte Services für KNV künftig in Eigenregie erbringen könne. Mehr zum Thema im Dossier Kontraktlogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze 1927 zunächst als Spedition in Stendal gegründet, übernimmt die Zeitfracht Gruppe nun den insolventen Buch- und Mediengroßhändler Koch, Neff & Volckmar. Zeitfracht ist in den vergangenen Jahren durch Zukäufe massiv gewachsen und heute in den Bereichen Spedition, Transport und Logistik (insbesondere Straßen- und Luftfracht), Buchgroßhandel, Immobilien, Handwerk, Technik und Planung sowie Luftverkehr und Schifffahrt tätig.