Interview: "Bei den Dienstleistern läuft noch wenig automatisiert ab"

Sie nutzen in Ihren Potenzial-Analysen das sogenannte Prozessreifegrad-Modell. Was verbirgt sich dahinter konkret, und vor allem was lässt sich damit zeigen? Das Prozessreifegrad-Modell wurde ursprünglich in den USA entwickelt und wird seit Jahren auch in Europa eingesetzt. Hiernach werden Prozesse auf einem Raster zwischen 1 und 5 bewertet. Wobei 1 die niedrigste Stufe darstellt: Hier laufen die Prozesse eher auf Zuruf, da ist wenig strukturiert und funktioniert letztlich nur, weil die Mitarbeiter sich in ihrem Thema auskennen. Die Stufe 2 kennzeichnet, dass es gewisse Verantwortlichkeiten und Abteilungen gibt, aber es wird wenig dokumentiert und optimiert. Stufe 3 bietet bereits gewisse Strukturen und Standards, zum Beispiel in einem Organisationshandbuch, wie man es aus den DIN-ISO-Normen kennt, mit relativ klar definierten Verantwortlichkeiten und Prozessen. In der Stufe 4 werden die Prozesse aktiv etwa mittels definierter Messgrößen (KPI) gemanagt und auf Effizienz nachkontrolliert. Stufe 5 ist letztlich die hohe Kunst. Das ist gelebtes Prozessmanagement, bei dem man sich im Grunde jeden Tag hinterfragt, ob die Prozesse überhaupt noch so richtig sind. Besser geht es nicht. Und auf welcher Stufe sehen Sie die Transport- und Logistikbranche? Das hängt ganz von dem einzelnen Tätigkeitsbereich in der Logistik ab. In der Kontraktlogistik und im Bereich Warehousemanagement verfügen die Unternehmen, auch die Spediteure, in der Regel über einen Prozessreifegrad zwischen Stufe 3 und 4. Anders ist es im Bereich der Transportlogistik, also in der klassischen Spedition - egal ob dies Luft-, See- und Landtransporte betrifft. Dort liegt die durchschnittliche Prozessreife zwischen 2 und 3. Sprich: Was es in der Kontraktlogistik, auch auf Druck der Verlader, schon in puncto Prozessgüte gibt, gibt es in der Transportlogistik noch nicht. Nun gewinnt ja das Thema Industrie 4.0 bei immer mehr Auftraggebern an Bedeutung. Wie wichtig ist es für Spediteure und Transporteure vor diesem Hintergrund, an ihrer Prozessqualität zu arbeiten? Sehr, sehr wichtig. Denn Industrie 4.0 funktioniert nur, wenn die Dienstleister über den gleichen Prozessreifegrad verfügen wie ihre Auftraggeber in Industrie und Handel. Noch hinken da aber viele Transporteure und Spediteure den Verladern hinterher - auch in Kernbranchen wie Automobil- und Chemie/Pharmalogistik. Während die Auftraggeber meist über eine Prozessreife der Stufe 4 verfügen, läuft bei den Dienstleister noch vieles manuell und wenig automatisiert ab. Das ist problematisch. Denn je stärker die Prozessqualität der Dienstleister von der der Verlader abweicht, desto schwieriger lassen sich die Prozesse beider Seiten synchronisieren. Was kann ein Spediteur tun, der die Qualität seiner Prozesse verbessern möchte, auch und gerade um die Effizienz seiner Mitarbeiter zu steigern? In den vergangenen zwei Jahren haben die Spediteure viel in das Thema Prozessoptimierung investiert - auch die kleineren Betriebe. Gerade im Bereich Transport-Management-Systeme, einschließlich der vor- und nachgelagerten Prozesse, passiert da viel. Das betrifft vor allem die Auftragsübermittlung; jeder sucht nach Lösungen, wie er Auftragsdaten frühzeitiger in System bekommt, um Kapazitäten besser planen zu können. Hier helfen die neuen Portale und Apps tatsächlich weiter - im Übrigen auch, was die nachgelagerten Prozesse betrifft, sprich die Übermittlung empfängerseitiger Daten.