Auch Mittelständler sind betroffen

Das Ende der zentralen Disposition?Nach über eineinhalb Jahren ist vergangenen Montag der Betz-Prozess zu Ende gegangen. Was die Erkenntnisse aus dem Verfahren für die Branche bedeuten können. Die Akte Betz war dick: 560 Seiten umfasste allein die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe reichten von Bestechung über Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung bis hin zu Sozialversicherungsbetrug. Ein Hauptvorwurf: Der unerlaubte Einsatz bulgarischer Fahrer zwischen 1999 und 2002 im Gebiet der EU, ohne für diese in Deutschland Sozialabgaben zu zahlen. "Das ist ein gigantisches Verfahren. Was den Aufwand anbelangt, ist es eines der größten Verfahren der letzten Jahre am Landgericht Stuttgart", sagt Hans-Jürgen Wenzler, Richter am Landgericht Stuttgart und Pressesprecher des Gerichts. Das Urteil vom vergangenen Montag soll nach über hundert Verhandlungstagen einen Schlusspunkt setzen (Anm. d. Red.: Urteilsverkündung nach Redaktionsschluss. Urteil siehe S. 13). Das überraschende Prozessende wurde durch eine Verständigung der Verfahrensbeteiligten ermöglicht. Andreas Bunz, Geschäftsführungsmitglied der Willi-Betz-Gruppe, ist erleichtert über das Ende des Verfahrens: "Bei einer Verlängerung des Prozesses durch mehrere Instanzen hätten wir vielleicht mehr erreicht, allerdings hätten auch die hohen Belastungen weiter angedauert" (siehe Interview auf S. 42). Thomas Betz, Mitgeschäftsführer der Spedition Willi Betz, hat die Vorwürfe laut Wenzler in den Kernpunkten eingeräumt. Nach der erzielten Verständigung sind für ihn Strafobergrenzen von fünf Jahren Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe von 2,16 Millionen Euro vorgesehen; das Unternehmen Betz muss Zahlungen von rund 34 Millionen Euro leisten. Zudem wurde schon vor der Urteilsverkündung erwartet, dass Thomas Betz nach dem Urteilsspruch aus der Haft entlassen wird. Sie hat ungewöhnlich lange gedauert – zweieinhalb Jahre saß der 49-Jährige in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. "Die Masse an Vorwürfen und die Menge an Details Punkt für Punkt in einer Beweisaufnahme zu klären kostet viel Zeit", erklärt Wenzler den oft kritisierten langen Zeitraum.Oskar Vogel, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Spedition und Logistik Baden-Württemberg (AVSL), in dem auch die Firma Betz Mitglied ist, hat kein Verständnis für die lange Haftdauer. "Da kommt kein Jurist ganz mit, warum Thomas Betz so lange einsitzen musste." Unverständnis auch bei Volker Rieble, Professor für Arbeitsrecht an der Universität München und einer der Verfasser des Rechtsgutachtens zur Sozialversicherungspflicht, das die Willi-Betz-Gruppe im Rahmen des Prozesses in Auftrag gegeben hatte. "Hier wurde offensichtlich versucht, Thomas Betz in der U-Haft weich zu kochen", kritisiert Rieble.Auch Mittelständler sind betroffenDer Hauptvorwurf der Anklage betraf den Einsatz von Fahrern aus Bulgarien – damals noch nicht EU-Mitgliedstaat – in der EU und deren Disposition von der deutschen Zentrale aus, ohne dass in Deutschland Sozialabgaben gezahlt wurden. Diese hat das Unternehmen für die bei der Betz-Tochterfirma Somat beschäftigten Fahrer vielmehr in Bulgarien gezahlt. Davon, wie der Einsatz osteuropäischer Fahrer in der EU und deren zentrale Disposition nach deutschem Recht einzuordnen ist, hängt es ab, ob Sozialabgaben in Deutschland fällig sind oder nicht. "Ähnliche Konstruktionen nutzen auch andere Speditionen. Daher ist natürlich interessant, ob das rechtlich geht oder nicht", erklärt Oskar Vogel. Die Problematik betreffe nicht nur große internationale Speditionen, sondern auch mittelständische Unternehmen, die mit der EU-Erweiterung in Polen, Rumänien oder Bulgarien eine Niederlassung aufgemacht hätten, so Vogel. Laut dem Fachanwalt für Arbeitsrecht ist die Gretchenfrage, ob durch die zentrale Disposition ausländischer Fahrer in einer gewissen Häufigkeit letztlich ein Arbeitsverhältnis in Deutschland begründet wird. Staatsanwaltschaft und Gericht haben das offenbar so gesehen. Der Hauptvorwurf der Anklage war laut Wenzler, dass die Firma Betz Arbeitnehmer unter Umgehung der deutschen Steuer- und Sozialversicherungsvorschriften beschäftigt haben soll. Wenn die Fahrer den Anweisungen aus der Reutlinger Zentrale unterlägen, seien es faktisch Fahrer – egal was vereinbart worden sei –, die nach deutschem Recht zu behandeln sind. "Die Staatsanwaltschaft und das Gesetz verlangen, dass man einen Blick auf die tatsächlichen Abläufe wirft", sagt Wenzler.Riskant: Frachtvertragliche WeisungenDie Verfasser des Rechtsgutachtens, darunter Volker Rieble, waren anderer Auffassung als die Staatsanwaltschaft. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es sich im Fall Betz um eine Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, die vorübergehend und rechtmäßig im Sinne des Konzern-privilegs erfolgte und dass die Beschäftigungsverhältnisse dem bulgarischen Sozialversicherungsrecht unterlagen. Auch der AVSL hat in der Vergangenheit laut Geschäftsführer Vogel immer die Auffassung vertreten, dass durch ein rein frachtrechtliches Weisungsrecht – also das Disponieren des Fahrers die Tour betreffend – dieser nicht ein deutscher Arbeitnehmer wird. "Natürlich darf man nicht darüber hinaus dem polnischen Fahrer sagen, dass man auch Bezahlung oder Urlaubswünsche in der deutschen Zentrale regelt", so Vogel, "da darf nichts verwischt werden. Das passiert leicht mal in der Praxis." Der AVSL weist nun aufgrund des Verfahrens darauf hin, dass auch schon frachtvertragliche Weisungen eine Sozialversicherungspflicht nach deutschem Recht begründen können. Speditionen sollten daher ihre Disposition auf eine rechtlich sichere Basis stellen (siehe Kasten auf S. 41). "Freibrief" E-101-BescheinigungEine weitere Absicherung ist laut AVSL, sich eine E-101-Bescheinigung ausstellen zu lassen, die bestätigt, dass für Arbeitnehmer das Sozialversicherungsrecht des Herkunftslandes gilt. Allerdings weist Vogel darauf hin, dass trotz dieses "Freibriefes" auch geprüft werde, ob es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung handelt. Dies sei – im Gegensatz zum Straftatbestand Sozialversicherungsbetrug – nur eine Ordnungswidrigkeit. Jedoch könne die Behörde im Bußgeldverfahren den Vorteil, den ein Unternehmer zum Beispiel dadurch hatte, dass er in Deutschland billigere polnische Kräfte eingesetzt und nur in Polen Sozialabgaben gezahlt habe, im Wege des so genannten Verfalls abschöpfen (mehr Informationen zu dem Thema unter www.verkehrsrundschau.de). Sollte die zentrale Disposition von Fahrern aus den neuen EU-Mitgliedstaaten nicht möglich sein, hätte dies weit reichende Folgen für die Branche. Denn sie ermöglicht effektives Arbeiten. "Am saubersten ist es, dezentral zu disponieren – jede Niederlassung macht ihre Disposition. Aber das ist natürlich eigentlich nicht Zweck der Übung", meint AVSL-Geschäftsführer Vogel. Die Speditionen wollten gerade was die Auslastung betreffe effektiv arbeiten und Fahrer für die Touren austauschen können. Das sei der Grund für die zentrale Disposition. "Nur dann lohnt es sich", sagt Vogel. Auf dem Bildschirm in Deutschland habe man zum Beispiel alle Touren auch der polnischen oder bulgarischen Niederlassung. Bei neuen Aufträgen sehe man leicht, für wen die Tour am besten passt. "Natürlich wäre es aus Sicht des Logistikdienstleisters schön, wenn man zentral disponieren könnte", meint auch Michael Kubenz, Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) und geschäftsführender Gesellschafter der Speditions- und Logistikgesellschaft Kube & Kubenz. Wenn das aber rechtlich nicht machbar sei, müsse man eben den Weg über lokale Dispositionen gehen und Aufträge an das entsprechende Land weitergeben, wo dann disponiert werde. "Effizient kann man das eigentlich nur softwareunterstützt machen. Das heißt, dass diese Aufträge automatisch von einer Stelle in die andere gegeben werden, damit etwa keine Fehler bei der Übermittlung eintreten können", sagt Kubenz. Kosten durch weitere Schnittstellen Aufgrund weiterer Schnittstellen wären damit jedoch auch höhere Kosten verbunden. Die Disposition der Fahrzeuge am polnischen Standort von Kube & Kubenz organisiert das Unternehmen dezentral. "Polnische Fahrzeuge werden durch unsere polnische Niederlassung disponiert und auch von dort eingesetzt. Wir geben nur den Auftrag an unsere polnische Schwestergesellschaft, die dann völlig separat und eigenständig auch im Kontakt mit den Fahrern handelt", so Kubenz. ❙❚■ Kathrin PetersenFrachtvertragliche Weisungen können die Sozialversicherungspflichtigkeit nach deutschem Recht begründen. Im Klartext: Folgt das Landgericht Stuttgart dieser Auffassung, sind Speditionen, die LKW einer Auslandsniederlassung von Deutschland aus disponieren, gut beraten, Organisation und Disposition auf eine rechtlich sichere Basis umzustellen.Ganz sicher geht das Unternehmen laut dem Arbeitgeberverband Spedition und Logistik Baden-Württemberg (AVSL) nur, wenn esdie Niederlassung im Ausland rechtlich selbstständig einrichtet mit eigenen Räumen, eigenem Personal und Büroeinrichtung;alle arbeitsrechtlichen Entscheidungen bezüglich des ausländischen Personals der dortigen Niederlassungsleitung überlässt und eine glaubhafte eigene Disposition in der ausländischen Niederlassung vorweisen kann.Absicherung durch Bescheinigung E 101 Die Bescheinigung E 101 bestätigt, dass für die Arbeitnehmer das Sozialversicherungsrecht des Herkunftslandes gilt, also dass sie bei dem ausländischen Unternehmen angestellt sind und dass das Beschäftigungsverhältnis nicht extra zur Entsendung, zum Beispiel nach Deutschland, zu Stande kam. Auch wenn keine Zweifel bestehen, dass sich das Unternehmen rechtswidrig der deutschen Sozialversicherungspflicht entzogen hat, würde dieses Dokument die deutsche Strafjustiz daran hindern, deutsches Recht zu Grunde zu legen (BGH, Urteil vom 24.10.2006, Az: 1 StR 44/06). Die Bescheinigung wird nur auf Antrag ausgestellt und kann auch für zurückliegende Zeiträume nachträglich erlangt werden.Fazit: Sicher gehen Unternehmen mit einer Niederlassung im Ausland laut AVSL nur mit einer dezentralen Disposition. Unternehmen, die dennoch zentral von Deutschland aus disponieren wollen, sollten sich unbedingt rechtlich absichern. Bei Niederlassungen außerhalb der EU beziehungsweise des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) ist laut AVSL eine zentrale Disposition nicht risikolos möglich. Bei Niederlassungen innerhalb der EU beziehungsweise des EWR sollten Unternehmen sich eine E-101-Bescheinigung ausstellen lassen. EU-Mitgliedstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frank-reich, Griechenland, Irland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, Großbritannien und Republik Zypern. Hinzu kommen durch den EWR: Island, Liechtenstein und Norwegen.Erleichterung über das VerfahrensendeAndreas Bunz, Mitglied der Geschäftsführung der Willi-Betz-Gruppe, erklärt, warum man sich entschlossen hat, das Verfahren abzukürzen und wie die Geschäftspartner von Betz darauf reagieren.Wie hoch schätzen Sie den finanziellen Schaden und wie hoch den Imageschaden für die Firma Betz durch den Prozess?Andreas Bunz: Wir haben offen mit unseren Geschäftspartnern kommuniziert und dadurch das Vertrauen erhalten können. Das belegen auch unsere Geschäftszahlen: In den letzten sechs Jahren konnten wir den Umsatz verdoppeln. Nun sind wir gemeinsam mit unseren Kunden und Mitarbeitern erleichtert, dass das Verfahren ein Ende hat. Es ist allen bekannt, dass es sich um nur einen sehr kleinen Ausschnitt unseres Geschäfts und um sehr lang zurückliegende Vorwürfe handelt. Für die Risiken aus dem Verfahren haben wir entsprechend finanziell vorgesorgt. Wird das Unternehmen seine Dispositionsstrategie ändern?Die Rahmenbedingungen im Transportgewerbe haben sich in den letzten Jahren geändert. So wurde vor allem durch die EU-Osterweiterung eine größere Rechtssicherheit geschaffen. Unsere Dispositionsstrategie hat sich diesen Veränderungen angepasst und wird ständig weiterentwickelt – natürlich auch unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Fragestellungen. Was sagen Ihre Kunden zum Prozessverlauf und zum Geständnis?Unserer Geschäftspartner begrüßen ausnahmslos das zügige Ende des Verfahrens. Sie verstehen, dass wir der Aufforderung des Richters zu einer Abkürzung dieses Mammut-Prozesses verbunden mit einem endgültigen Schlussstrich gefolgt sind. Bei einer Verlängerung des Prozesses durch mehrere Instanzen hätten wir vielleicht mehr erreicht, allerdings hätten auch die hohen Belastungen weiter angedauert. kap

Auch Mittelständler sind betroffen

Aufkommen im vierten Quartal 2024 im Vergleich zum Vorquartal

Transfrigoroute-Branchendialog

MEISTGELESEN

Eine Meteor-Sattelzugmaschine von Volkswagen im VR-Lkw-Test

Ford Trucks präsentiert den verbesserten F-Max

Millionen-Betrug um Spedition Ricö vor Gericht

WEITERLESEN

NEWSLETTER