Missstände bei Lkw-Fahrern: Skandalöse Zustände

Während der ersten Corona-Welle waren sie die großen Helden und wurden als "systemrelevant" betitelt: Lkw-Fahrer. Wie die "Könige der Straße" werden sie deshalb aber in den vielen Fällen nicht behandelt - eher im Gegenteil: "Wie mit den Fahrern während der Corona-Pandemie umgegangen wird, ist meiner Meinung nach ein Skandal", empört sich Georg Steinmetz, Fernfahrer-Seelsorger beim Bistum Augsburg. "Sie durften am Anfang ja nicht einmal auf die Toilette gehen, nicht duschen und sich auch keinen Kaffee holen." In seinem Beruf ist der 60-Jährige häufig auf Rastplätzen und Autohöfen unterwegs. Dort spricht er mit den Fahrern über ihren Job, die Familie und die oft lange Zeit weg von zu Hause. Immer häufiger tut er sich allerdings schwer mit der Kommunikation, die meisten Fahrer verstehen kaum oder gar kein Deutsch. "Man kann sagen, das Verhältnis ist inzwischen 80 Prozent ausländische und 20 Prozent deutsche Fahrer", bestätigt Hansjörg Schuster, Polizeihauptkommissar in Augsburg in der Abteilung Schwerverkehr, den Eindruck. Schuster macht seinen Job schon seit 17 Jahren und hat die Veränderung daher in seinem Berufsalltag gut mitbekommen. Begonnen hat alles mit der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 und der damit einhergehenden Niederlassungs- und Gewerbefreiheit. Immer mehr Fahrer aus Osteuropa transportieren seitdem Güter auf deutschen Straßen und auch für deutsche Speditions- und Transportunternehmen. "Das Lohnniveau eines Lkw-Fahrers aus Ländern wie Bulgarien oder Rumänien liegt nicht mal bei der Hälfte dessen, was ein deutscher Fahrer verdient", sagt Schuster. Und die Lage verschärft sich: Inzwischen sei überhaupt keine Zuordnung aufgrund des Nationalitätenkennzeichens mehr möglich. So kämen etwa viele Fahrer polnischer Lkw auch aus Drittstaaten wie Belarus, Georgien oder Usbekistan. Lohndumping und fehlende Infrastruktur Diese Entwicklung bekommt auch Oskar Brabanski mit. Der 32-Jährige ist Regionalleiter Südost für das Beratungsnetzwerk "Faire Mobilität", das unter anderem rechtliche Beratung und Unterstützung für Menschen aus Osteuropa anbietet, die in Deutschland arbeiten. Brabanski spricht fließend polnisch, doch oftmals kann er sich mit den Fahrern von Lkw mit polnischem Kennzeichen trotzdem nicht mehr unterhalten. Er prangert an, dass Lohndumping und die unzureichende Infrastruktur zu immer größeren Problemen werden: "Von den Fahrern aus Osteuropa bekommt fast niemand den deutschen Mindestlohn", behauptet Brabanski. Beliebt sei das sogenannte Spesenmodell: Viele ausländische Fahrer bekämen den Mindestlohn des Heimatlandes und zusätzlich Spesen. "Insgesamt kriegen sie dann meist ein für das Heimatland relativ gutes Einkommen von 1500 bis 1700 Euro netto. Aber eigentlich sind die Spesen ja dafür gedacht, all ihre Ausgaben zu decken - und sie werden nicht auf die Kranken oder Rentenversicherung angerechnet." Fahrer, die krank, arbeitslos oder auch im Urlaub sind, hätten bei dieser Art der Bezahlung, die sowohl gegen das deutsche Mindestlohngesetz als auch gegen die EuGH-Rechtsprechung verstoße, "ein Problem". Weiter kritisiert Brabanski die oftmals unzureichende Infrastruktur großer Konzerne wie Amazon. "Sie bauen Lager in Industrie- oder Wohngebieten, kümmern sich aber nicht um die notwendigen Rastplätze." Stattdessen würden öffentliche Parkplätze belegt. "Wir haben Fahrer angetroffen, die zwei Tage in einem Industriegebiet gehaust haben, bevor sie wieder losfahren konnten." Ein besonders eindrückliches Beispiel für die herrschenden Missstände sei der Fall eines philippinischen Fahrers gewesen, der acht Monate ohne Pause auf deutschen Straßen unterwegs war. "Kochen, wohnen, essen - alles auf sechs Quadratmeter." Fahrer, die am Ende sind Dass der Druck auf Fahrer immer mehr wächst, bekommt auch Hauptkommissar Schuster mit: "Heutzutage muss alles just in time geliefert werden können. Diese engen Zeitfenster führen zu enormem Stress." Fahrer würden teilweise von sich aus die Verkehrspolizei darum bitten, kontrolliert zu werden, weil sie nicht mehr fahren können. "Bei manchen Speditionen muss der Lkw auf Biegen und Brechen rollen", so Schuster. Natürlich herrschen nicht überall solche Bedingungen. Aber Fälle wie diese stellen ein großes Ärgernis für kleine oder mittelständische Speditionen in Deutschland dar, die ihre Fahrer zu fairen Bedingungen beschäftigen. "Das verzerrt den Wettbewerb extrem. Unternehmen, die redlich unterwegs sind, haben fast keine Chance mehr, ihre Leistung zu angemessenen Preisen anbieten zu können", kritisiert Seelsorger Georg Steinmetz. Er bekommt das aus der eigenen Familie mit, denn sein Schwager besitzt ein Fuhrunternehmen mit 20 Lkw. Missstände werden angezeigt Damit sowohl ausländische als auch deutsche Fahrer besser behandelt werden, hört er ihnen bei seinen Besuchen auf Rastplätzen und Autohöfen nicht nur zu, sondern wird auch aktiv. So haben die Bundeskommission der Betriebsseelsorge und die Arbeitsgemeinschaft der Fernfahrerseelsorge in der ersten Corona-Welle einen Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) geschrieben. Thematisiert wurde vor allem, dass die Rasthöfe und Sanitäranlagen für Lkw-Fahrer lange Zeit geschlossen waren. Auch die Probleme an den Laderampen wurden angesprochen. "Fernfahrer sind ja in der Regel kaum gewerkschaftlich organisiert", so Steinmetz. Wichtig ist es daher aus seiner Sicht, dass es eine Lobby gibt, die sich für die Fahrer einsetzt. Dabei gelte: "Nur wenn wir erzählt bekommen, was in der Branche falsch läuft, können wir auch politisch aktiv werden und das weitergeben." Auch an die Verbraucher hat er einen Wunsch: "Die Leute müssen ihre Meinung über Lkw-Fahrer ändern: Das sind nicht die Deppen, die Elefantenrennen machen und die Straße verstopfen. Das sind Menschen, die unter einem extremen Druck stehen." Mehr zum Thema finden Sie unter #Berufskraftfahrer www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Dubiose Gehaltsmodelle, Personal, das bis zur Erschöpfung fahren muss, und Großkonzerne, die zu wenig in notwendige Infrastruktur investieren - besonders ausländische Lkw-Fahrer werden teilweise extrem ausgenutzt. Über Härtefälle auf deutschen Autobahnen berichten die Verkehrspolizei, das Netzwerk Faire Mobilität und ein Fernfahrer-Seelsorger.

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