Mit Logistik in die Circular Economy

Wie würde sich die Wirtschaft verändern, wenn sich Unternehmen neben dem Absatz von Neuprodukten viel stärker auf deren Langlebigkeit und Reparaturfreundlichkeit fokussieren würden? Produkte würden möglichst lange genutzt und anschließend wiederverwendet werden. Damit entstünden weniger Abfall und eine höhere Kundenzufriedenheit. Setzt sich dieses Prinzip der sogenannten Circular Economy (dt. Kreislaufwirtschaft - die Redaktion) durch, wird so die Zukunft aussehen. Ihr Leitgedanke ist es, Rohstoffe weitgehend abfall- und emissionsfrei möglichst lange im Wirtschaftskreislauf zu halten. Dafür sind langlebige, schadstofffreie und mehrfach nutzbare Produkte und angepasste Geschäftsmodelle nötig. Die Produkte werden nach Beendigung einer Nutzungsphase weiter- oder wiederverwendet oder, möglichst werkstofflich, recycelt. Vor dem Hintergrund begrenzter Rohstoffe und der Herausforderungen von Klimawandel und Umweltschutz soll die Circular Economy also einen Beitrag dazu leisten, eine nachhaltige, CO2-arme, ressourceneffiziente und wettbewerbsfähige Wirtschaft zu schaffen. Durch die Einsparung von Ressourcen und die gesteigerte Ressourceneffizienz soll die Versorgung unabhängiger von Primärrohstoffen gesichert werden. Die besondere Rolle der Logistik Der Logistik kommt in diesem Szenario eine besondere Rolle zu: Sie ist stark in die Prozesse von Produktion, Nutzung und Entsorgung integriert und deshalb mit verantwortlich, einen eigenen Beitrag zum nachhaltigen Wirtschaften zu leisten. Für die Branche werden sich in einer Circular Economy Veränderungen ergeben, wenn mehr Supply Chains nicht mehr linear, sondern zirkulär aufgebaut wären. Schon heute gibt es Ansätze einer Serviceoder Rückführungslogistik. Solche Lösungen werden in Zukunft für mehr Bereiche der Wirtschaft nötig, und dabei werden Distributions- und Entsorgungslogistik entweder verknüpft oder zumindest planerisch und informatorisch aufeinander abgestimmt. Wichtige Voraussetzungen für eine effiziente Kreislaufwirtschaft sind eine verbesserte Datenverfügbarkeit und -nutzung. Denn Digitalisierung versetzt die Logistik in die Lage, größere Datenmengen auch über Materialzusammensetzung, Produktnutzungen und räumlich-zeitliche Verteilung des Aufkommens zu verarbeiten. Dabei werden auch individuelle Lösungen, im Sinne einer heute noch teilweise nicht wirtschaftlichen Kleinmengenlogistik, etwa zum Transport von Altprodukten und Ersatzteilen gute Perspektiven haben. Für Logistikunternehmen eröffnen sich durch die Circular Economy Chancen zur Erweiterung ihres Portfolios. So werden heute schon KEP-Dienste für die Rückführung kleinteiliger und verteilter Warenströme beauftragt, etwa beim Transport von Altkleidern oder Handys im Rahmen von Online-Ankaufsystemen. Auch Geschäftsmodelle einer "Sharing Economy" zur gemeinschaftlichen Nutzung von Produkten gehen teilweise mit einer kleinteiligeren Logistik für den Warenaustausch zwischen den einzelnen Nutzern einher, die sehr oft von den Logistikdienstleistern organisiert wird. Radikales Umdenken erforderlich Die Realisierung einer Circular Economy ist allerdings mit Herausforderungen verbunden. Durch den Rückgang der Absatzmengen und den Mehrbedarf an Reparaturtätigkeiten und Ersatzteilen wird es unter anderem zu Marktverschiebungen und neuen Geschäftsmodellen kommen. Bisher sind viele Geschäftsmodelle vorrangig auf den Absatz von Gütern ausgerichtet. Der Übergang zu neuen Modellen bedeutet in vielen Firmen ein radikales Umdenken, wird aber von Konsumenten immer mehr gefordert. Dabei bedeutet Zirkularität nicht zwingend weniger Geschäft, vielmehr lassen sich von Service bis zum Ersatz einzelner Komponenten in Produkten der Haus-, Gebäude- oder Bürotechnik neue Umsatzpotenziale erschließen. Bei Produkten wie Fahrstühlen oder im Anlagenbau ist der hohe Anteil der Service-Logistik schon Realität. In weiteren, teils sehr verschiedenen Branchen wie der Medizin, Möbel- und Haushaltswarenindustrie oder gar der Fashion-Branche sind Trends der Weiternutzung, gegebenenfalls nach Aufarbeitung, bereits erkennbar. Um eine zirkuläre Wirtschaftsweise zu realisieren, sind angepasste Logistikkonzepte unabdingbar. Die aktuellen Entwicklungen in der Branche bieten dafür schon Lösungsansätze. Ein Trend ist die mit dem Aufstieg des Onlinehandels verbundene Atomisierung von Sendungen. Durch die vielen einzeln verschickten Güter sind neue Transportbeziehungen zwischen Produzenten über die Strukturen des Onlinehandels zu privaten Endnutzern entstanden. Letztere werden überwiegend durch KEP-Dienste erreicht. So ergeben sich neue Potenziale: KEP-Fahrzeuge sind etwa für die Rückführung von Gütern nutzbar, da sie in der Regel voll ihr Depot verlassen und mit verfügbarer Kapazität zurückkehren. Schon heute werden KEP-Netze für solche Zwecke genutzt, etwa für die Rücknahme von Tonerkartuschen oder die Rücksendung von Elektro-Altgeräten zu Herstellern, Händlern oder Drittanbietern. Neues Geschäftsfeld in der Logistik Aber nicht nur KEP-Dienste, sondern auch Logistikdienstleister, die in der Ver- oder Entsorgung tätig sind, werden von der zirkulären Wirtschaft profitieren, sofern sie die physischen und informatorischen Anforderungen erfüllen und dabei Versorgungs- und Rückführungstransporte, wo immer möglich, intelligent verknüpfen. Der Trend zur Zusammenarbeit von Menschen und Technik in industriellen Systemen (Industrie 4.0) ermöglicht auch für die Sortier- und Verteilsysteme der Circular Economy die effizientere Bewältigung von Aufgaben bei gleichzeitig humanzentrierter Arbeitssystemgestaltung. Bislang ist die Logistik wie die Entsorgungsbranche noch oft durch vergleichsweise hohe physische Belastungen der Beschäftigten gekennzeichnet. Diese Belastung kann durch den Einsatz technologischer Hilfsmittel verringert werden, wenn diesen eine sinnvolle Mensch-Technik-Schnittstelle zugrunde liegt. Neben Handhabungshilfsmitteln und Assistenzsystemen gehören dazu insbesondere Technologien wie Augmented und Virtual Reality, die Mitarbeiter bei der Demontage und Rückgewinnung von Material und Baugruppen aus Geräten unterstützen können. Die Entwicklung einer Circular Economy wird oft noch dadurch gehemmt, dass die produzierten Güter meist komplex und nicht vorrangig auf Reparaturfreundlichkeit und damit passend für einen Einsatz in einer Kreislaufwirtschaft gestaltet sind. Neue Designkriterien, Materialsysteme und auch Produktionsverfahren sind hier wichtig. Die Baubranche spielt für das Verkehrsaufkommen eine wichtige Rolle und stellt ein bedeutendes Potenzial für lokale Kreisläufe dar. Das Fraunhofer IML verfolgt diesen Ansatz gemeinsam mit weiteren Fraunhofer-Instituten im Verbundprojekt "BauCycle". Dabei forschen die Wissenschaftler an der Produktion hochwertiger Güter aus mineralischen Sekundärrohstoffen. Mit den Verfahren können recycelte Materialien in großen Mengen wirtschaftlich verwendet werden. Paradigmenwechsel in der Supply Chain Eine weitere große Herausforderung bei der Realisierung einer Circular Economy ist es, die Zusammenarbeit aller Akteure über verschiedene Wertschöpfungsstufen hinweg zu organisieren. Aktuell sind Supply Chains stark auf die Produktion und Distribution von oft kurzlebigen Produkten ausgerichtet. Sie sehen nur sehr bedingt Rückflüsse zu Reparaturzwecken vor. In einer Circular Economy wird sich daher ein Paradigmenwechsel vom Supply Chain Management hin zum Management von Circular Supply Chains vollziehen. In der Circular Economy fokussieren sich die Beziehungen zwischen Produzent, Zulieferer und Logistikdienstleister nicht mehr primär auf die Produktionsprozesse, das Endprodukt und seine Distribution, sondern auf den gesamten Lebenszyklus der Produkte und eine mögliche Kreislaufführung. Dies führt zu Veränderungen in den Beziehungen der unterschiedlichen Akteure und Wettbewerber. Auch Produktnutzer sind in der Circular Economy nicht mehr einfach Kunden, sondern nehmen eine partnerschaftliche Rolle im kollaborativen Netz ein, da der Kunde Lieferant wichtiger Informationen und Sekundärmaterialquelle ist. Eine engere Zusammenarbeit und die Koordination der unterschiedlichen Akteure und Prozesse erfordern viel Informationsaustausch entlang der Supply Chain. Bei der Organisation der zirkulären Supply Chain ist die Logistik entscheidend, da sie die Verknüpfung der verschiedenen Wertschöpfungsstufen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg ermöglicht. Um die mögliche Umsetzung einer Circular Economy in Bezug auf Kunststoffprodukte zu erforschen, gründeten mehrere Fraunhofer-Institute 2018 das Fraunhofer Cluster of Excellence "Circular Plastics Economy" (siehe Seite 18). Die Forschung zeigt, dass die logistischen Trends in der Circular Economy unterschiedliche Auswirkungen auf Akteure und Umwelt haben. In Grafik 2 sind beispielhaft einige Trends und damit verbundene Erwartungen hinsichtlich positiver oder negativer Effekte auf CO2-Emissionen aufgelistet (siehe Seite 18). Die Umsetzung zirkulärer Supply Chains kann zum Teil, etwa durch eine zunehmende Zahl von Rückführungs-Logistikprozessen, zu höheren CO2-Emissionen führen. Diese Prozesse sind aber nötig, um CO2-Emissionen und Ressourcenverbräuche an anderer Stelle zu senken. Gleichzeitig sind die logistischen Trends und ihre Folgen an einigen Stellen noch nicht ausreichend abschätzbar und müssen weiter erforscht werden. Dabei sollten auch die "Rebound-Effekte" beachtet werden: Als Rebound-Effekt wird bezeichnet, wenn eine Effizienzsteigerung einer Technologie zu einer verstärkten Nutzung dieser Technologie führt und somit der Ressourcenbedarf erhöht statt verringert wird. Logistische Prozesse müssen in Zukunft also zielgerichtet hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Ressourcenproduktivität und die Ressourceneffektivität ausgerichtet werden. Logistik kann also durch die Weiterentwicklung der Kompetenzen für ein Management der Material- und Informationsflüsse Wege von der linearen zu einer stärker zirkulären Wirtschaft maßgeblich mitgestalten. Circular-Economy-Forschungsprojekt für Kunststoffprodukte Um die mögliche Umsetzung einer "Circular Economy" (Kreislaufwirtschaft) in Bezug auf Kunststoffprodukte zu erforschen, gründeten mehrere Fraunhofer-Institute im Jahr 2018 das Fraunhofer Cluster of Excellence "Circular Plastics Economy". Neben dem Fraunhofer IML sind weitere Institute beteiligt und bündeln in dem Cluster ihre Kompetenzen. Namentlich sind das die Fraunhofer Institute für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT, Angewandte Polymerforschung IAP, Chemische Technologie ICT, für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF und für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV. Die Forscher entwickeln unter anderem einen sogenannten digitalen Zwilling für Kunststoffprodukte.Hintergrund ist: Derzeit werden für die Kreislaufführung relevante Produktinformationen zwischen den unterschiedlichen Teilen der Supply Chain oft nicht weitergegeben oder nicht nachvollziehbar dokumentiert. Vor allem mit dem Beginn der Produktnutzungsphase geht häufig die Verknüpfung zu vorhandenen Informationen verloren, und es werden außerdem im Laufe der Nutzung keine weiteren Informationen, zum Beispiel hinsichtlich Änderungen des Produktzustands, erfasst und dokumentiert. Der digitale Zwilling ermöglicht es, dadurch entstehende Informationslücken zu schließen, indem er produktspezifische Daten entlang des gesamten Produktlebenszyklus erfasst. Diese werden allen Beteiligten in der Circular Economy gemäß ihrer jeweiligen Zugriffsberechtigung und Funktion in der zirkulären Supply Chain zur Verfügung gestellt, um eine bessere Kreislaufführung des entsprechenden Produkts zu ermöglichen.Die Institute IML und UMSICHT unterstützen Firmen zudem, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und ihre Produkte und Prozesse zirkulär und damit nachhaltiger zu gestalten. Dabei werden nicht nur ökologische Aspekte, sondern gleichermaßen wirtschaftliche Anforderungen des Unternehmens und die Bedürfnisse seiner Kunden in die Entwicklung einbezogen. Autor - Professor Uwe Clausen, Institutsleiter am Fraunhofer IML und am Institut für Transportlogistik TU Dortmund Professor Uwe Clausen ist Leiter des Instituts für Transportlogistik der TU Dortmund und in Personalunion Institutsleiter am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik sowie Vorsitzender der Fraunhofer Allianz Verkehr. Er studierte Informatik an der Universität Karlsruhe (jetzt KIT) und promovierte zur Verkehrsnetzoptimierung an der TU Dortmund. Seine berufliche Karriere startete er als Logistikleiter bei Deutsche Post DHL und als European Operations Director bei Amazon.com.

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