Robotikrecht

Robotikrecht Roboter vor Gericht Verursacht ein Roboter einen Schaden, ist der Mensch dafür verantwortlich. Jedenfalls ist das bisher so. Doch immer mehr Maschinen entscheiden selbstständig: häufig eine juristische Grauzone. Forscher der Universität Würzburg diskutieren nun, ob es ein Robotikrecht braucht. Wie Ameisen surren 50 gelbe Roboter durch die Lagerhalle auf dem Campus der Dortmunder Universität. Entwickelt wurden sie am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. Der Schwarm fahrerloser Shuttles wuselt unter den Regalen, in den Kommissioniergassen und im Warenausgang des 65 Meter langen Kleinteillagers. Auf dem Rücken jedes Roboters befindet sich ein Kleinladungsträger. Die rollenden Kisten bewegen sich völlig frei ohne Leitlinien und reagieren dynamisch auf ihre Umgebung. Sie suchen sich jeweils den kürzesten Weg zum Ziel, kommunizieren per WLAN miteinander und stimmen sich durch einen Softwareagenten bei der Auftragsdisposition und Routenfindung untereinander ab. In der Regel funktioniert das absolut reibungslos: Doch auf der Fahrt zu einer Kommissionierstation weicht ein Shuttle einem Hindernis aus und bringt dadurch einen Lagerarbeiter zu Fall, der eine Kopfverletzung erleidet. Das Unglücksszenario ist fiktiv. Dennoch zeigt es, vor welchen Herausforderungen der Gesetzgeber angesichts immer leistungsfähigerer und intelligenterer Technik steht. Schon heute treffen viele Roboter selbst Entscheidungen und lernen dazu. Ihr Einsatz wirft Fragen auf, die sich mit dem geltenden Recht oft nicht ausreichend beantworten lassen: Wer wird bestraft, wenn eine autonome Maschine einen Schaden verursacht, der Hersteller, der Programmierer oder derjenige, der die Maschine einsetzt? Welche Rechtsfragen kommen auf Hersteller mobiler Roboter in Bezug auf die Zulassung ihrer autonomen Produkte zu? Und wie kann ein Benutzer mögliche Fehler autonomer Systeme versichern? Am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik der Universität Würzburg untersuchen Wissenschaftler seit 2010, welche Probleme auftauchen, wenn Roboter immer selbstständiger werden – und wie der Gesetzgeber darauf reagieren muss. Dort arbeiten Juristen und Informatiker an dem Forschungsprojekt „Robotik und Recht“. Gesetzgeber hinkt hinterher „Wenn es um Roboter geht, ist aus rechtlicher Sicht derzeit wenig geregelt. Richtlinien zur Orientierung fehlen weitgehend und die Diskussion ist noch ganz am Anfang“, sagt Lehrstuhlleiter Eric Hilgendorf. Das soll nun das Forschungsprojekt ändern. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert die Arbeit des Würzburger Teams mit 200.000 Euro. Ziel ist es, Barrieren für den Markteintritt und den Einsatz von Robotern frühzeitig zu erkennen und deren Überwindung strategisch vorzubereiten. Die Wissenschaftler aus Würzburg sehen dringenden Handlungsbedarf: Die unklare Rechtslage wirke bereits jetzt als Innovationsbremse, sagt Hilgendorf. „Wir behandeln Fragen, die der Industrie auf den Nägeln brennen.“ In den geltenden Paragrafen kommen autonome Maschinen bisher nicht vor, was deren Einsatzgebiete stark einschränke. Roboter auf dem Vormarsch In Deutschland sind derzeit über 130.000 Industrieroboter im Einsatz. Rund 40 Prozent der Logistikunternehmen setzen laut einer Umfrage des Instituts für Produktion und Logistik an der Universität Bremen bereits Robotersysteme ein – Tendenz steigend. Weil sich die sensorische Wahrnehmung der Roboter zunehmend verbessert, werden die Entscheidungsprozesse der Maschinen komplexer und für den Menschen schwieriger intuitiv vorhersehbar. Das hat Folgen. Zum Beispiel für die Fragen der zivil- und strafrechtlichen Haftung, die Versicherung von Robotern beziehungsweise gegen die von ihnen verursachten Schäden sowie den Bedarf an neuen Sicherheitsregelungen. „Früher war die Angelegenheit klar: Der Mensch hat die Entscheidung getroffen; die Maschine hat sie bestenfalls ausgeführt“, erläutert Hilgendorf. Inzwischen gebe es aber längst Zwischenstufen, bei denen diese strikte Trennung nicht mehr funktioniert. „Hier stellt sich die Frage nach Schuld und Verantwortung ganz neu“, betont er. „Schon heute gibt es Roboter, die in der Lage sind, Wege autonom zurückzulegen und dabei innerhalb eines gewissen Rahmens Entscheidungen selbst zu treffen“, ergänzt Susanne Beck. Die Juristin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Hilgendorf und arbeitet an dem neuen Forschungsprojekt. Allein bei der Frage, wie ein selbststeuerndes Fahrzeug versichert sein muss, sei man von einer befriedigenden Antwort noch weit entfernt: „Das läuft momentan wie bei einem Mofa – ohne dass dabei berücksichtigt wird, dass der Roboter autonom fährt“, erklärt Beck. Eine Lösung, die weder den Hersteller noch den künftigen Besitzer zufriedenstellen kann. Automatisierung der Logistik steigt Der Einsatz von Assistenzsystemen und Robotern ist in Produktionsanlagen und Umschlagplätzen längst selbstverständlich. Ein prominentes Beispiel ist Amazon: Im Frühjahr nahm der Onlineeinzelhändler rund 775 Millionen Dollar in die Hand, um einen Hersteller von mobilen Lagerrobotern zu kaufen. Das US-Unternehmen Kiva Systems ist auf Technologien spezialisiert, durch die sich der Materialfluss automatisieren lässt. Die flachen Roboter fahren die Waren auf Regalen zu den Mitarbeitern und zeigen ihnen an, welche sie herausnehmen und kommissionieren sollen. Inzwischen erobern autonome Systeme weitere Anwendungsbereiche: So hat die Deutsche Post DHL einen Paketroboter mit Greifarm entwickelt, der Überseecontainer mit Stückgütern selbstständig entlädt und sie auf ein Rollband legt, das die Packstücke dann in das Logistikzentrum transportiert. In Lehrte bei Hannover tüfteln Ingenieure indes an autonomen Fahrzeugen, die sich auch außerhalb von Produktions- und Lagerhallen zwischen Gabelstaplern, Lastwagen und Fußgängern sicher bewegen können. Ohne Fahrer sollen diese Roboter über ein Firmengelände sausen, statt wie bisher mit Schrittgeschwindigkeit durch ein abgeschlossenes Areal zu zuckeln. Die Firma Götting entwickelt die Sensoren für die Fahrzeuge. „Wegen der unsicheren Rechtslage wissen wir nicht, ob wir unsere Entwicklung später auch verkaufen können“, sagt Projektleiter Sebastian Behling. Wissenschaftler arbeiten an Grünbuch Dass ein Roboter vor Gericht verurteilt wird, hält Hilgendorf für ausgeschlossen: „Nur wer schuldfähig ist, wird auch bestraft“, sagt der Rechtsexperte. Roboter gehörten nicht dazu – weder erkennen Maschinen ihre Fehler, noch lernen sie daraus. Dennoch bedürfe es eines klaren gesetzlichen Rahmens, damit rechtliche Unsicherheiten für Unternehmen nicht zur Innovationsbremse werden. Nur wenn es gelänge, die Rechtsnormen an den technischen Fortschritt anzupassen, könne man einen Beitrag zum Abbau von Innovationsbarrieren leisten, sagt Hilgendorf. Er geht davon aus, dass künftig einzelne Paragrafen angepasst werden müssen. „Das Straßenverkehrsrecht ist genauso betroffen wie der Datenschutz“, sagt er. Ein neues Zivil- und Strafrecht brauche es aber nicht, meint der Würzburger Jurist. Seiner Ansicht nach wäre eine Versicherungspflicht für Roboter eine passendere und einfachere Lösung. Noch in diesem Jahr will das Team aus Juristen und Informatikern der Europäischen Union Vorschläge machen. Ein sogenanntes Grünbuch als Diskussionsgrundlage für künftige Richtlinien ist in Planung. „Natürlich wird am Ende der drei Jahre Forschung nicht ein Katalog von Gesetzen stehen, der alle juristischen Probleme löst“, erläutert Beck. Das sei auch kaum zu erwarten, weil die Technik vielfach noch in den Kinderschuhen steckt und die Entwicklung der kommenden Jahre kaum abzusehen ist. „Uns geht es in erster Linie darum, die Probleme aufzuzeigen und eine Diskussion in Gang zu setzen“, sagt sie. ❙❚■ André Gieße Der Gesetzgeber kann mit dem rasanten Fortschritt oft nicht mithalten Robotikrecht „Bisher haftet der Betreiber oder Halter des Roboters“ Thomas Wieske ist Professor am Institut für Logistikrecht und Riskmanagement der Hochschule Bremerhaven. Er weiß um die rechtlichen Folgen, wenn ein autonomes System einen Fehler macht. Herr Wieske, wer haftet eigentlich im Moment, wenn eine Kommissioniermaschine im Lager oder ein Fahrerassistenzsystem im LKW einen Fehler macht? Thomas Wieske: Zunächst einmal wäre der Betreiber der Anlage beziehungsweise der Halter des Fahrzeugs verantwortlich. Auf der nächsten Ebene stellt sich die Frage, wen der Betreiber beziehungsweise Halter in Regress nehmen kann: Den Bediener des Systems beziehungsweise den LKW-Fahrer, den Hersteller oder sogar den Programmierer, weil er das System falsch eingestellt hat? Die Haftung richtet sich zivilrechtlich in erster Linie nach den Paragrafen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Ansprüche auf Schadenersatz könnten sich aber aus dem Produkthaftungsgesetz und dem Straßenverkehrsrecht ergeben. Strafrechtlich verfolgen lassen sich nur Personen, sofern man diesen eine bestimmte Schuld vorwerfen kann. In welchen Fällen kann man den Betreiber beziehungsweise den Halter nicht eindeutig verantwortlich machen? Wenn jemand versucht, den Roboter zu missbrauchen oder zu überlisten. Zum Beispiel, indem er ihn falsch einstellt, um die Geschwindigkeit zu erhöhen oder bestimmte Sicherheitszyklen zu umgehen. Denkbar sind auch unvorhergesehene Ereignisse wie extremes Wetter. Das Risiko liegt hier erneut beim Betreiber oder Halter des Systems. Er muss solche Unwägbarkeiten einkalkulieren und Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wie können Unternehmen, die Roboter einsetzen, ihre rechtlichen Risiken reduzieren? Zum einen ist es wichtig, dass man das System regelmäßig wartet. Zum Beispiel, indem man die Sensoren reinigt und auf ihre Funktionstüchtigkeit prüft. Zum anderen ist entscheidend, dass man es vertragsgemäß einsetzt. Darüber hinaus ist es ratsam, Roboter beziehungsweise Assistenzsysteme zu versichern. Mit dem Auftraggeber sollte ein Lagerhalter Haftungsbegrenzungen vereinbaren, zum Beispiel durch ADSp oder – im Zusammenhang mit logistischen Zusatzleistungen – die Logistik-AGB. Zu guter Letzt sollte man entsprechende vertragliche Vereinbarungen treffen mit dem Hersteller und demjenigen, der das System installiert, damit ein vernünftiger Haftungsausgleich zwischen beiden Parteien stattfindet. ag Interview Thomas Wieske

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