Längst kein altes Eisen

Vielen langjährigen Fahrern bereitet ihr Beruf auch nach dem Eintritt ins Rentenalter noch Freude und sie übernehmen freiwillig Touren. Einer von ihnen ist Willi Freese, der seit über 30 Jahren für den Baustofflogistiker Sievert Handel Transporte (sht) aus dem westfälischen Lengerich hinterm Steuer sitzt. "Mit meinen 68 Jahren fühle ich mich noch fit und habe wirklich keinen Bock, zu Hause auf dem Sofa zu liegen. Da steige ich lieber in den Lkw - Fahren macht mir einfach noch Spaß", berichtet der 68-Jährige, der mehr als 40 Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel hat. In Summe sind es etwa 30 Rentner, die derzeit bei sht weiterarbeiten - teils in Voll-, teils in Teilzeit. "Wir machen das vor allem aus der Not heraus - wegen des Kraftfahrermangels", betont sht-Geschäftsführer Rui Macedo. Denn während der Bedarf an Transporten steigt, sinkt die Zahl der Fahrer. Künftig wird sich die Schere weiter öffnen. Einer Dekra-Studie zufolge werden mittelfristig jährlich rund 30.000 Kraftfahrer in den Ruhestand verabschiedet, während nur 10.000 neue nachrücken. Die Alterspyramide mutiert zur Raute Eine Ausbildung in diesem Beruf haben 2018 in Deutschland gerade einmal 3951 junge Leute begonnen. Kleiner Lichtblick: Immerhin sind das 9,4 Prozent mehr als im Vorjahr (2017: 3609), geht aus einer Erhebung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) hervor. Dass unsere Gesellschaft altert, bestätigt Professor Bernd Raffelhüschen, Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Professor für Finanzwissenschaft. "Die Alterspyramide hat einen ordentlichen Bauch. Das sind die geburtenstarken Jahrgänge. Wenn die in Rente gehen, haben wir ein großes Problem. Erst ab 2060 wird sich das Ganze wieder ausgleichen", erläutert er die demografische Entwicklung in Deutschland bis 2040. Vielfalt und Zusammenhalt wichtig "Heben wir nicht deutlicher die Vorteile des Fahrerberufs hervor, legt der Fachkräftemangel unser Geschäft irgendwann komplett lahm", so Macedo. Positive Aspekte des Jobs seien die Abwechslung, die er bringt, sowie der kameradschaftliche Umgang der Kraftfahrer untereinander. Genau das ist es auch, was Willi Freese reizt, im Rentenalter weiterzuarbeiten. "Mehrere Kumpels sind mit mir in Rente gegangen und die kommen alle immer gerne wieder, wenn sie angefragt werden", berichtet der Fahrer. Eingesetzt werden sie bei sht als Urlaubs- sowie Krankheitsvertretungen oder in Einzelfällen mit geringfügiger Beschäftigung auf 450-Euro-Basis. "Das ist klar geregelt und wir sind abgesichert", erklärt Macedo. Schon seit 2015 bietet der Firmenchef diese Optionen älteren Fahrern an, wenn sie das Regelrentenalter von 65 Jahren erreicht oder 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben. Voraussetzung dafür ist bei sht stets der Rentenbescheid. "Bei Frührentnern ist das Vorgehen zu kompliziert, der Verwaltungsaufwand wäre zu hoch. Das machen wir nicht", erklärt Macedo. Denn bei denjenigen, die keine volle Rente beziehen, gelten bestimmte Hinzuverdienstgrenzen. In der Praxis sind die Einsatzzeiten jedoch sehr unterschiedlich - zusätzliche Stunden wirken sich auf die Spesen aus. Und: "Wenn Sozialabgaben entfallen, erhöht sich der Stundenlohn indirekt", so der Firmenchef. Insgesamt sei es "absolut empfehlenswert", Rentner weiterzubeschäftigen - wobei sht sich dabei zu 100 Prozent auf langjährige Kollegen konzentriert. Nicht nur die Verbundenheit der altgedienten Mitarbeiter zum Unternehmen ist groß, sondern umgekehrt auch das Vertrauen der Geschäftsleitung in die Kollegen. Denn sht verzichtet auf eine Befristung der Arbeitsverträge, wie es Juristen dringend anraten (siehe Interview auf Seite 28). "Der Mehrwert ist höher als das Risiko, jemanden ungewollt bis zu seinem Lebensende zu beschäftigen", begründet Macedo. Ein großer Vorteil aus seiner Sicht: Bei Rentnern sei keine Einarbeitung nötig. Viele von ihnen stünden gern noch voll im Berufsleben und seien auch körperlich noch fit. "Gleichzeitig fällt ihre Rente oft mickrig aus, weil die Spesen nicht in die Bemessungsgrundlage einfließen", ergänzt der Firmenchef. "Häufig ist auch die Hausfrau zu Hause genervt, wenn die Fahrer keine Hobbies haben. Das Fahren empfinden sie als Freiheit. Sie freuen sich, gebraucht zu werden", fügt er hinzu. Nach kurzfristiger Rücksprache sei man sich in der Regel schnell einig. Die Kommunikation läuft dabei auf freundschaftlicher Ebene, wie Macedo betont. Nur in Ausnahmefällen fahren die älteren Semester bei sht im Fernverkehr. Sie bekommen meist Touren mit mittlerem Radius und ein bis zwei Entladestellen. "Manche legen auch Wert auf bestimmte Kunden, die ihnen bekannt sind. Vollzeitkräfte setzen wir aber wie jeden anderen Fahrer ein", berichtet der Geschäftsführer. Besonders bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter setzt er gern auf die Oldies. Pro Standort unterstützen ein bis zwei ältere Fahrer zusammen mit einem Eco-Trainer Fahranfänger. Fahrerschulungen für Ältere elementar Willi Freese ist mit seiner Entscheidung zufrieden. "Wir kriegen alles bezahlt, das gibt es bei den wenigsten Firmen", berichtet er. Vor allem die Fahrerschulungen werden mit dem Alter immer wichtiger. Denn mit den Jahren lassen die Sinne, die Beweglichkeit sowie die geistige Frische eines Menschen nach, was unter anderem das Führen eines Fahrzeugs mehr und mehr erschwert, betont der TÜV Rheinland. Wann und in welchem Ausmaß diese Prozesse einsetzen, hängt demnach von der individuellen Leistungsfähigkeit ab. Berufskraftfahrer stehen deshalb in puncto Fahrtauglichkeit unter ständiger Beobachtung. Der Gesetzgeber schreibt für sie jährliche Weiter- und Fortbildungen vor, um sie in Praxis und Theorie auf dem neuesten Stand zu halten. Alle fünf Jahre werden die entsprechenden Formulare geprüft. Aus Sicherheitsgründen muss ein Berufskraftfahrer seinen Führerschein nach diesem Zeitraum neu beantragen. Dass sich der Trend zum Arbeiten im Rentenalter weiter fortsetzen wird, davon sind Experten wie Professor Raffelhüschen überzeugt: "Wer länger lebt, sollte auch länger arbeiten, in Zukunft möglicherweise sogar bis 70", betont der Freiburger Wissenschaftler. Schon heute schlägt sich das in Zahlen nieder: Minijobs beispielsweise sind bei Rentnern zunehmend beliebt. Wie der neueste Bericht der Minijob-Zentrale zeigt, stieg vor allem die Zahl der Minijobber im gewerblichen Bereich, die 65 Jahre und älter sind. "Rentner sind zuverlässig, pünktlich und selten krank", fasst es Dennis Schiller, Disponent der Berliner M und M Expresskurier und Logistik, zusammen. Skurril: Er nutzt bei der Suche nach fahrwilligen Rentnern erfolgreich das Onlineportal "EBay Kleinanzeigen". Online Rentner rechtssicher beschäftigenEinen detaillierten Überblick über die aktuellen Rechtsvorschriften für die (Weiter-)Beschäftigung von Rentnern gibt Anja Vollbrecht, Verbandsjuristin des Arbeitgeberverband Oldenburg e. V., auf VRplus, dem digitalen Angebot der VerkehrsRundschau unter: www.verkehrsrundschau.de/plus/rentner