Kritik an den Zeitfenstern der Verlader

Manche Dinge machen auf den ersten Blick einen positiven Eindruck. Doch blickt man dann genauer hin, entdeckt man doch den einen oder anderen Pferdefuß. Beim 17. Branchenforum Stahllogistik - ausgerichtet vom Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL) - hatten die Zuhörer in Dortmund gleich mehrmals dieses nachträgliche "Aha-Erlebnis". Zum Beispiel, was die derzeitige Auftragslage in der Stahlindustrie betrifft. So haben sich die Auftragseingänge für Walzstahl 2016 um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr verbessert. Auch die Rohstahlproduktion liegt in den ersten vier Monaten 2017 um drei Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Für 2017 prognostizierte Martin Theuringer, Leiter der Wirtschaftsabteilung bei der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) ein Wachstum von immerhin 1,5 Prozent bei der Rohstahlproduktion in Deutschland (42,7 Millionen Tonnen nach 42,1 Millionen im Vorjahr). Klingt gut, oder? Importe aus China nehmen zu "Unsere Stahlwerke sind die letzten fünf, sechs Jahre sehr gut ausgelastet gewesen", sagte dann auch Sebastian Bross, Geschäftsführer Vertrieb und Logistik bei der Salzgitter Flachstahl. "Aber wir haben die letzten fünf Jahre kein gutes Geld verdient, und zwar so richtig kein gutes Geld verdient", spielte er auf die roten Zahlen an, die der Stahlhersteller erwirtschaftet hat. "Mit der Importschwemme billigen Stahls aus Übersee hat der Preisdruck stark zugenommen", lieferte Bross eine Erklärung. Man versuche zwar, sich mit Produktion von Qualitätsstahl von den Importen abzuheben. "Aber diese 30 Prozent, mit denen wir im Wettbewerb stehen mit dem Importstahl, die reichen aus, um die Gewinne, die wir mit den anderen 70 Prozent erwirtschaften, zu kompensieren", sagte Bross. Während vor nicht allzu langer Zeit die Kapazitätsauslastung eines Stahlwerkes ein "wunderbarer Indikator" für die Profitabilität gewesen sei, hat sich dieser Automatismus gewandelt: Gute Auftragslage heißt längst nicht mehr auch eine gute finanzielle Situation. Vordergründig ebenfalls gut sehen die Zeitfenster-Managementsysteme aus, die in der Stahlindustrie immer häufiger zum Einsatz kommen. "Dieses System gilt zunächst mal als eine für beide Partner faire Lösung", sagte ein Spediteur auf dem Forum. Doch das sei nur auf dem Papier so. "Wir können angesichts der Verkehrslage beim besten Willen nicht garantieren, ob der Lkw pünktlich zum vereinbarten Verladungszeitraum erscheint", so der Teilnehmer. Hinzu käme: Je mehr Unternehmen Zeitfenster einrichten würden, desto weniger flexibel wären die Spediteure. Als weitere "Pferdefüße" nannte er fehlendes Personal an den Ladestellen. "Die Systeme müssen gerade angesichts zunehmender Staus flexibler werden", lautete seine Forderung. Applaus der anwesenden Kollegen. Verständnis für die Kritik der Spediteure Eine ehrliche Zustimmung kam vom Salzgitter-Manager Bross: "Ich kann das nachvollziehen", so der Logistiker. "Es klingt immer so gut, ,Ich buche mir das Zeitfenster selbst'. Wenn man dann zwischen mehreren Punkten pendeln muss, ist der Lkw doch wieder eingequetscht", zeigte Bross Verständnis. Eine Lösung kann er sich in der Digitalisierung vorstellen. Über Smartphones könnten die Fahrer ihre aktuelle Position mitteilen. Wenn man mit den Daten intelligenter umgehe, so seine Hoffnung, könne man solche Systeme flexibler machen. Und er bat um Verständnis dafür, dass es an den Verladestellen zu Engpässen kommen könnte. "Wir werden uns angesichts der finanziell angespannten Situation hüten, mehr Krane oder mehr Personal an den Verladepunkten hinzustellen", sagte Bross. Auch bei Klöckner sind Zeitfenster-Managementsysteme im Einsatz (siehe Kasten). Klöckner-Vorstand Karsten Lork äußerte ebenfalls Verständnis für die "Sandwich-Position" der Spediteure. Er sprach von einem "Organisationsproblem" und nannte das Beispiel eines Zulieferers aus Südeuropa. In den ersten drei Wochen eines Monats sei nichts geliefert worden, in der letzten Woche seien dann 50 Lkw gekommen. Rolf Bennemann, Leiter Landverkehr bei der Stute Logistics, fügte hinzu, dass auch andere Branchen mit Zeitfenster-Managementsystemen arbeiten und die Koordination erschweren würden. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Stahllogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Digitalisierungs-Strategie von Klöckner Klöckner-Vorstand Lork: "Einfach anfangen" Die Digitalisierung: Als Transportdienstleister muss man seine eigenen Prozesse daraufhin prüfen. Aber man muss auch darauf reagieren, wie die Auftraggeber aus der verladenden Wirtschaft das Thema angehen, weil sich daraus neue Anforderungen ergeben.Ein solcher Verlader ist Klöckner, einer der größten Stahlhändller weltweit mit einem Umsatz von 5,7 Milliarden Euro und 130.000 Kunden. Karsten Lork, Vorstandsmitglied bei Klöckner und dort unter anderem für das Supply Chain Development zuständig, stellte auf dem Forum die Digitalisierungsstrategie seines Hause vor. "Ziel ist es, die Prozesse transparenter und damit effizienter zu gestalten", sagte Lork. So sollen durch einen zunehmenden Anteil des Online-Geschäftes die Bestände gesenkt werden."Wir haben derzeit eine Bestandsreichweite von 2,2 Monaten. Eine Reduktion um zwei Wochen bedeutet 200 Millionen weniger gebundenes Kapital", schilderte Lork die anvisierten Vorteile. Von den Dienstleistern erwartet er die Fähigkeit, Sendungsdaten per EDI abwickeln zu können, und die Bereitschaft, Warenanlieferungsfenster zu nutzen. Den anwesenden Unternehmern empfahl er für die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie: "Einfach anfangen." "Einfach" in dem Sinn, dass es gerade zu Anfang keine komplexen Projekte sein müssten. Und "anfangen" bedeute, dass man das Thema nicht ewig aufschieben sollte, weil ansonsten andere es machen und es dann zu spät sein könne. cd

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