Böse Überraschung

Es geht um viel Geld: Fast zwei Millionen Euro könnte eine Spedition an ihren Auftraggeber, ein Möbelhandelsunternehmen, zurückzahlen müssen. Weitere 1,6 Millionen stehen im Raum. Das alles wegen Schmiergeldzahlungen, die vor gut 20 Jahren ihren Anfang nahmen. Oder ist das alles schon verjährt? Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt, wie schwierig die Verjährungsregeln des Handelsgesetzbuches (HGB) und des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) mitunter auszulegen sind (Urteil vom 8. Mai 2014, Aktenzeichen: I ZR 217/12) und worauf es dabei wirklich ankommt. Der Fall Ein Möbelhandelsunternehmen hatte von 1994 bis 2000 eine Spedition mit dem Transport von Möbeln aus Asien nach Europa beauftragt. Ganz sauber war das Geschäft allerdings nicht gelaufen. Der aufseiten des Möbelhändlers für das Asiengeschäft zuständige Mitarbeiter K. hatte die eigentlich mit der Spedition ausgehandelte Nettofrachtrate eigenmächtig um einen Aufschlag erhöht. Seine Firma zahlte fortan also mehr für die Transporte. Warum? Das Zuviel floss von der Spedition zurück in die Tasche des Mitarbeiters. Im Gegenzug wurde die Möbelspedition großzügig mit weiteren Frachtaufträgen bedacht. Auf diese Weise bereicherte sich K. um 1.886.200 Euro. Zudem gab es konkrete Anhaltspunkte, dass der Schaden noch um weitere 1.678.540 Euro größer gewesen sein könnte. Im Februar 2002 meldete das Unternehmen Insolvenz an. Erst im August 2010 gab der Insolvenzverwalter die Ansprüche des Handelsunternehmens gegen die Spedition wegen zu Unrecht gezahlter Frachtvergütungen frei. Der Möbelhändler klagte nun gegen die Spedition. Er wollte die zu viel gezahlten Frachtraten zurück. Das Verfahren Das Landgericht Hamburg wies die Klage ab. Es war der Ansicht, die Ansprüche seien verjährt. Die Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Hamburg blieb ohne Erfolg. Mit seiner Revision vor dem BGH wollte das Möbelhandelsunternehmen klären lassen, ob es von der Spedition nicht doch Anspruch auf die fast zwei Millionen Euro an zu viel gezahlten Frachtraten hat. Die Streitfrage Wann verjähren Ansprüche? Käme die spezielle frachtrechtliche Verjährungsvorschrift des Paragrafen 439 HGB für vertragliche Ansprüche zur Anwendung, wäre das nach einem Jahr oder spätestens drei Jahren der Fall (siehe Kasten auf Seite 55). Die Streitfrage war allerdings: Muss dafür ein wirksamer Beförderungsvertrag vorliegen? Deshalb stand auch die dreijährige Verjährungsfrist des Paragrafen 195 BGB zur Diskussion. Außerdem waren die Juristen uneins, wann die Verjährungsfrist zu laufen begann. Die Entscheidung Die Richter des Ersten Senats entschieden, dass die Ansprüche des Auftraggebers wegen zu viel gezahlter Frachtraten nicht nach Paragraf 439 HGB verjährt sind. Die spezielle frachtrechtliche Verjährungsvorschrift sei nicht anwendbar, weil sie das Zustandekommen eines wirksamen Beförderungsvertrages voraussetze. Gerade daran fehle es aber, weil die zugrunde liegenden Verträge wegen der Schmiergeldabrede nichtig seien. Daher komme die dreijährige Verjährungsfrist des Paragrafen 195 BGB zur Anwendung. Wann diese zu laufen begann, muss nun erneut das OLG Hamburg klären. Die Begründung Das OLG Hamburg als Vorinstanz hatte noch angenommen, dass es für die Anwendbarkeit von Paragraf 439 HGB nur auf einen unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit Speditions- und Frachtgeschäften ankomme, nicht jedoch auf die Wirksamkeit der Verträge. Dieser Rechtsauffassung traten die BGH-Richter klar entgegen. Zur Begründung stellten sie auf den Wortlaut des Paragrafen 439 HGB ab. Dort heißt es, die Vorschrift gilt für Ansprüche aus einer Beförderung, die "den Vorschriften dieses Unterabschnitts", also den Paragrafen 407 bis 450 HGB, unterliegen. Die Regelung knüpfe damit nicht nur an die tatsächliche Beförderung von Gütern an, so die Richter, sondern erfordere, dass die speziellen frachtrechtlichen Vorschriften anwendbar sind. Diese Voraussetzung sei aber nur bei Vorliegen eines wirksamen Frachtvertrages erfüllt. Daneben warfen die Richter einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des Paragrafen 439 HGB. Der ist nämlich erst im Zuge der Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts im Jahr 1998 ins HGB aufgenommen worden und orientiert sich weitgehend an Artikel 32 Absatz 1 der Internationalen Vereinbarung über Beförderungsverträge auf Straßen (CMR). Dort fallen nichtige Verträge gerade nicht unter den Anwendungsbereich. Die Richter prüften weiter, ob die Verträge über die Beförderung der Möbel von Asien nach Europa wirksam waren. Die Vorinstanzen hatten diese Frage offengelassen. Der BGH kam zu dem Ergebnis: Wegen der Schmiergeldabrede waren die Verträge nichtig. Damit richtet sich die Verjährung nicht nach Paragraf 439 HGB, sondern nach Paragraf 195 BGB, wonach Ansprüche innerhalb von drei Jahren verjähren. Gemäß Paragraf 193 BGB beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis von den Umständen und der Person des Schuldners hat. Das OLG Hamburg war davon ausgegangen, dass die Verjährungsfrist im Jahr 2002 zu laufen begann, weil ein Mitarbeiter des Klägers bereits hier Kenntnis von den Vorfällen erlangt haben soll. Damit wären die Ansprüche Ende 2005 verjährt gewesen. Auch das sah der BGH anders. Die herangezogenen Schriftstücke und Aktenvermerke reichten seiner Meinung nach nicht aus, der Klägerin nachzuweisen, dass sie bereits 2002 von der Schmiergeldzahlung wusste oder hätte wissen müssen. Auch dem Insolvenzverwalter konnte nach Ansicht des BGH ein solches Wissen bislang nicht nachgewiesen werden. Weil das OLG Hamburg nach Ansicht des BGH die Frage, wer wann was gewusst hatte, noch nicht ausreichend ermittelt hat, konnte das oberste deutsche Zivilgericht selbst den Fall nicht entscheiden und verwies die Sache zurück an das OLG Hamburg. Was das Urteil für die Praxis bedeutet Der Bundesgerichtshof hat unmissverständlich klargestellt, dass es für die Anwendbarkeit der speziellen frachtrechtlichen Verjährungsvorschrift des Paragrafen 439 HGB auf einen wirksamen Frachtvertrag ankommt. Liegt der etwa wegen Schmiergeldzahlungen nicht vor, muss auf die allgemeinen Verjährungsvorschriften des BGB zurückgegriffen werden. Hartmuth Sager, Rechtsanwalt in der Hamburger Kanzlei Ahlers & Vogel, erklärt die Bedeutung des Urteils: "Verträge können auf unterschiedliche Weise zustande kommen, nämlich schriftlich, aber auch mündlich und konkludent. Dass ein schriftlicher Vertrag nicht vorliegt, bedeutet daher nicht zwangsläufig, dass gar kein Vertrag zustande gekommen ist. Häufig haben sich die Vertragspartner dann mündlich geeinigt oder führen das Geschäft einfach durch. Auch in diesen Fällen liegt ein Vertrag vor." Damit bliebe es bei der Anwendbarkeit von Paragraf 439 HGB. "Das Urteil des BGH ist daher nur für eine relativ schmale Bandbreite an Konfliktsituationen von Bedeutung, in denen noch nicht einmal ein mündlicher Vertrag zustande gekommen ist. Das sind beispielsweise Fälle wie dieser, in denen wegen Sittenwidrigkeit nach Paragraf 134 BGB weder ein schriftlicher noch ein mündlicher Vertrag wirksam zustande gekommen ist." Wie häufig Schmiergeldzahlungen in der Branche vorkommen, lässt sich kaum belegen. Das Urteil macht aber deutlich, dass immer das Risiko besteht, noch Jahre später mit Rückzahlungsansprüchen konfrontiert zu werden, wenn der Geschäftspartner dabei finanziell geschädigt wird. "Die Entscheidung zeigt aber auch, wie einfach in diesem Fall die Möglichkeit des Betrugs war und wie leicht ein solches Geschäft vonstatten gehen kann", warnt Sager. Geschäftsführer von Speditionen seien daher gut beraten, solche Praktiken in ihrem Unternehmen nicht zu dulden und stets einen guten Draht zu ihrer eigenen Buchhaltung zu unterhalten, wo solche Zahlungen eigentlich auffallen müssten. Das sagt das Gesetz Die Paragrafen im Wortlaut: - Paragraf 439 Absatz 1 HGB:Ansprüche aus einer Beförderung, die den Vorschriften dieses Unterabschnitts unterliegt, verjähren in einem Jahr. Bei Vorsatz oder bei einem dem Vorsatz nach Paragraf 435 gleichstehenden Verschulden beträgt die Verjährungsfrist drei Jahre.- Paragraf 195 BGBDie regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.- Paragraf 199 Absatz 1 BGBDie regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem1. der Anspruch entstanden ist und2. der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. ir