Umzug 2.0

Ein Wohnungsumzug im Jahr 2020: Der Bewohner sagt "Umzug" in sein Smartphone, daraufhin öffnet sich die App einer Möbelspedition. Das Programm fordert den potenziellen Kunden auf, mit dem Handy durch seine Wohnung zu gehen und die Möbel zu filmen. Danach geht der virtuelle Besichtigungstermin im Treppenhaus und vor der Tür weiter, wo der Handynutzer unter anderem die Parkplatzlage filmen soll. Nach rund fünf Minuten ist der Rundgang beendet und die App spuckt ein Angebot aus. Eine Zukunftsvision? Nein. Die Schweizer Umzugsplattform Movu bietet genau das an: Kunden können ein kurzes Handyvideo einschicken und so ihren Umzugsbedarf dokumentieren. Nie wieder lästige Besuchstermine mit Möbelspediteuren - so das Werbeversprechen. Auch in Deutschland sind solche Umzugsplattformen auf dem Vormarsch. Firmen wie Movinga oder Move24 treten mit dem Versprechen an, den Umzug ins Digitalzeitalter zu holen. Der Ablauf: Der Kunde gibt auf einer Website an, von wo nach wo er umziehen will und wie umfangreich sein Hausstand ist. Die Plattform macht ein Angebot, das sofort per Klick angenommen werden kann. Ausgeführt wird der Umzug von einem regionalen Dienstleister, der mit der Plattform kooperiert. Das gehe schnell und sei "bis zu 70 Prozent billiger", verspricht Move24. Mit ihrem Angebot richten sich die Newcomer an Menschen, die ihren Umzug nur am Bildschirm organisieren wollen. Traditionalisten liegen hinten Und darauf ist auch ihr Marketing eingestellt: Die Plattformen liegen - dank bezahlter Werbung und geschickter Seitengestaltung - in den Ergebnislisten der Suchmaschine Google immer ganz oben. Traditionelle Anbieter dagegen müssen sich oft mit den unteren Plätzen begnügen. Entsprechend kritisch stehen sie den Plattformen gegenüber. Für Marcello Danieli gehören sie "schlichtweg verboten". Der Geschäftsführer von Harder Logistics, Neu-Ulm, hält deren Geschäftsmodell für unseriös. Es fände keine Überprüfung der Subunternehmer statt und diese würden obendrein oft zu Dumpingpreisen anbieten. "Wie will man bei Stundenlöhnen von unter 20 Euro wirtschaftlich arbeiten?", gibt Danieli zu bedenken. Der Anbieter Movinga bestreitet nicht, in der Anfangsphase Qualitätsprobleme gehabt zu haben, will diese aber mit einer neuen Strategie lösen (siehe Interview). Von einem Verbot der Internetplattformen will der Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ) nichts wissen. "Wir nehmen diese Anbieter ernst", stellt Geschäftsführer Dierk Hochgesang klar. Er befürchtet, dass Kunden von der Leistung der Plattformen enttäuscht sind und das auf die ganze Branche übertragen. Außerdem sieht er kritisch, dass die Plattformen mit großen Budgets die vorderen Plätze bei den Suchmaschinen einkaufen. So gingen den klassischen Möbelspediteuren potenzielle Kunden verloren - es sei denn, sie seien als Partner von Plattformen tätig und kauften von diesen Adressen von Umzugskunden. Praktiker kritisieren am Umzugsverkauf über das Web, dass die Plattformen sich allein auf die Angaben des Kunden verlassen, wenn es darum geht, den Umfang einzuschätzen. Bislang besuchen Umzugsunternehmer üblicherweise Interessenten, um sich ein Bild von der Lage zu machen - und das aus gutem Grund. "Der Kunde rechnet sich gerne klein", schmunzelt Claudia Rinke, Geschäftsführerin der Franz Schloms Möbelspedition, Hannover. Typische Probleme: Der Kunde bestellt zu wenig Umzugskartons - nicht selten nur die Hälfte der tatsächlich benötigten - vergisst Gegenstände im Keller oder unterschätzt schlichtweg die Komplexität eines Umzugs. "Für den Ab- und Aufbau eines Schranks braucht man häufig einen Möbelschreiner mit Erfahrung", nennt Danieli ein Beispiel. AMÖ-Geschäftsführer Hochgesang sieht das ähnlich und verweist auf den aufwendigen Umzug von Küchen. Preise für Qualität nicht auskömmlich Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass nur wenige Möbelspediteure eine Partnerschaft mit Movinga oder Move24 eingehen. "Nein, das würde ich derzeit nicht machen", sagt Geschäftsführerin Rinke von Schloms. Sie hat sich angeschaut, was Kunden im Internet über die Plattformen schreiben, und ist nicht überzeugt, dass sie den Qualitätsumschwung schon geschafft haben. "Außerdem können die im Internet kursierenden Preise für einen zertifizierten Möbelspediteur nicht auskömmlich sein", so Rinke. Eines ist allen Marktteilnehmern allerdings klar: Die Plattformen werden nicht verschwinden und alle Umzugsprofis sind gut beraten, sich darauf einzustellen. "Wir müssen den Kunden besser über das Internet erreichen", räumt AMÖ-Chef Hochgesang ein. Heutzutage könnten Hauskäufer mit wenigen Klicks einen sechsstelligen Baukredit bekommen, da müsse auch ein Umzug so einfach buchbar sein. Er rät den Dienstleistern, den Kunden neue digitale Interaktionsmöglichkeiten zu bieten - wie eine Smartphone-App, über die man Fotos von seinem Hausstand an die Möbelspedition übertragen kann. Ein Anbieter ist hier zum Beispiel Moverscan. Die Möbelspedition Schloms offeriert ihren Kunden einen solchen Service bereits. Doch der Traditionsbetrieb setzt auch weiter auf den Faktor Mensch, um die rein digitale Konkurrenz auf Distanz zu halten. Die Vertriebsabteilung ruft Kunden wenn möglich an, fragt nach und berät zum Beispiel bei Versicherungsfragen. "Da punkten wir", so Geschäftsführerin Rinke. Die Kunden schätzten es, dass jemand wisse, wie wichtig zum Beispiel die von der Oma geerbte Kommode sei. Dass manche Menschen keinen persönlichen Besuch vom Spediteur wünschen, sondern lieber ein Handyvideo einschicken, kann Rinke verstehen. "Eine Wohnungsbesichtigung ist sehr intim - oder wie oft lassen Sie jemanden in Ihr Schlafzimmer?" Den Hausstand per Video zu begutachten, sei zwar nicht optimal, aber besser als gar keine Besichtigung, so Rinke. Bei Harder Logistics setzt man darauf, dem Kunden das Leben so leicht wie möglich zu machen. "Sie müssen die komplette Lösung anbieten, nur so kommen sie raus aus der Preisdiskussion", ist Geschäftsführer Danieli überzeugt. Das kann so aussehen: Mieter, die umziehen wollen, können bei Harder ein Komplettpaket buchen, bei dem die Räume nach Auszug automatisch renoviert werden. Allerdings haben die klassischen Möbelspediteure nicht nur bei der Kundengewinnung über das Netz Aufholbedarf. Auch in der Abwicklung stecken sie vielerorts noch im Analogen fest. Papier, soweit das Auge reicht. Was sich hier alles digitalisieren lässt, zeigt Movinga. Schäden per Smartphone melden Partner der Plattform werden über eine Handy-App zum Kunden geleitet. Der Fahrer sieht auf dem Display, welche Arbeiten anstehen und wie lange sie wohl dauern. Nach dem Umzug geht der Dienstleister mit dem Kunden einen elektronischen Fragebogen durch: Wurde alles wunschgemäß abgewickelt? Gab es Schäden? Wenn ja, können sie per Handy-Kamera direkt dokumentiert und an Movinga gemeldet werden. Am Schluss setzt der Kunde mit seinem Finger die Unterschrift unter das Dokument. Alles komplett papierlos. Diesen Umzug 2.0 schaffen selbst große Möbelspeditionen nur selten. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Möbellogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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