Tacho-Experte im Interview: „Lkw-Kontrollen müssen qualitativ besser werden“

Sie haben 23 verschiedene Tachosoftware-Lösungen auf das korrekte Erkennen von Verstößen getestet. Mit welchem Ergebnis? Es gibt einfach keine Auswertungssoftware, die in der Lage ist, alle Daten zu 100 Prozent korrekt zu bewerten. Wir haben in unserem Test Daten eines Fahrers herangezogen, der es in einem Monat geschafft hat, zig Verstöße unterschiedlichster Art zu generieren. Die Auswertungen der über 20 getesteten Softwarelösungen sind völlig uneinheitlich ausgefallen, nur die Ergebnisse einer Lösung erwiesen sich als annähernd korrekt. Bei welcher Art von Verstößen arbeiten die meisten Lösungen zuverlässig, bei welchen weniger? Bei den Standards liegen die meisten Softwares schon ähnlich richtig. Das betrifft die klassischen Lenkzeiten bis zur Pause oder die wöchentlichen Lenkzeiten. Bei der wöchentlichen Ruhezeit wird es schon schwieriger, das liegt vor allem daran, dass der Zeitraum teils unterschiedlich interpretiert wird. Ein Busfahrer arbeitet ja nicht unbedingt von Montag bis Freitag, sondern fängt auch mal mitten in der Woche an und nimmt seine Wochenruhezeit dann eben nicht am Samstag und Sonntag. Softwares, die strikt nach Kalenderwoche auswerten, kriegen da schnell Probleme. Das eigentlich Erschreckende ist aber, dass sehr schwerwiegende Verstöße wie falsche Nachträge, Fahren ohne Karte, Verwendung einer fremden Fahrerkarte oder die falsche Betätigung des Zeitgruppenschalters bei einer automatisierten Auswertung nicht berücksichtigt werden. Was macht denn eine gute Auswertungssoftware aus? Sie sollte in der Lage sein, folgende Punkte zu überprüfen: Lenk- und Ruhezeiten, Arbeitszeitgesetz, Abfahrtkontrolle und Zeitgruppenschalter, Nachträge, Landeingabe, unerlaubte Entnahme der Fahrerkarte sowie Fahren ohne Fahrerkarte und Verwendung fremder Fahrerkarten. Vor allem aber muss die Software es ermöglichen, dass man einen beliebig definierten Zeitraum nachvollziehbar und optisch übersichtlich als Zeitstrahl aufbereitet mit dem eigenen Auge nachkontrollieren kann. Jürgen Fortenbacher, Personenzertifizierter Sachverständiger für Fahrpersonalrecht und Digitale Fahrtenschreiber, beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit dem Thema Digitaler Tachograph. Er hat mittlerweile mehr als 10.000 Fahrer im Umgang mit dem digitalen Fahrtenschreiber geschult, unterstützt mit seiner Firma Tacho-Institut in Bad Waldsee Unternehmen bei der Auswertung und Analyse von Tachodaten und der Vermeidung von Bußgeldbescheiden. Wie sollen Fuhrparkleiter eine manuelle Nachkontrolle denn leisten – Digitalisierung und Automatisierung bringen doch eine ganz wichtige Entlastung? Das mag sein. Fuhrparkverantwortliche und erst recht Kontrollbehörden sollten sich wegen einer Zeitersparnis aber nie blind auf eine Auswertungssoftware verlassen und stets nachkontrollieren – und zwar täglich. Schließlich geht es bei Verstößen auch ganz schnell um Bußgelder, die bei einer unhinterfragten Übernahme einer Auswertung auch um ein Vielfaches höher ausfallen können, als eigentlich legitimiert. Nur ein Beispiel: Ein Fahrer hat aus Versehen Arbeitszeit anstatt Ruhezeit nachgetragen. Die Software kam zu dem für sie völlig logischen Schluss, dass der Fahrer drei Tage ohne eine Minute Pause durchgearbeitet haben muss. Da lag dann ein Bußgeldbescheid von 3000 Euro auf dem Tisch. Hätte sich der Sachbearbeiter die Mühe gemacht, den Kilometerstand des Lkw anzusehen oder einfach nur die Tatsache berücksichtigt, dass Lkw in der Regel am Wochenende gar nicht fahren dürfen, wäre es gar nicht zu sowas gekommen. Sie bringen hier die Kontrollbehörden ins Spiel. Arbeiten die eigentlich mit einer bestimmten Software oder sind verschiedene im Einsatz? Teils, teils. Das BALM arbeitet bundesweit mit einer Software, die europaweit in 25 europäischen Ländern als Kontrollsoftware eingesetzt wird. Auf Bundeslandebene gibt es Unterschiede, da die Polizei föderalistisch aufgestellt ist. Auch für die Kontrollorgane gilt: die dort eingesetzte Software muss eine gut nachvollziehbare manuelle Kontrolle ermöglichen. Früher hatten die Kontrolleure eine analoge Tachoscheibe in der Hand und wussten trotzdem ganz genau, wie lange ein Fahrer fahren darf und wie lang seine Pause sein muss. Ich stelle leider fest, dass in so mancher Behörde das Fachwissen gar nicht mehr vorhanden ist und man sich auch hier auf die automatisierte Auswertung verlässt. Es wird vielerorts gefordert, dass in Hinblick auf die Regeln des EU-Mobilitätspakets viel mehr kontrolliert werden sollte. Die Behörden sind ohnehin schon unterbesetzt. Wie soll das funktionieren? Die Kontrollen müssen nicht mehr werden. Die Kontrollen müssen qualitativ besser werden. Vielleicht bringt das automatische Auswerten einer Fahrerkarte das Ergebnis, dass keine Verstöße vorhanden sind und der Fahrer darf weiterfahren. Obwohl er nur die Lenkzeiten aufzeichnet, aber nie auf Arbeitszeit stellt, gleichzeitig einen Mitnahmestapler hinten drauf hat und sehr müde ausschaut. Sowas kommt dabei raus, wenn die Fahrerkarte schnell im Kontrollfahrzeug überprüft und der Massenspeicher links liegen gelassen wird. Das macht mich manchmal schon ziemlich wütend. Mittlerweile wird laut BALM auch flächendeckend mittels DSRC-Sensorik (Dedicated Short-Range Communications, Anm. der Redaktion) im Vorbeifahren kontrolliert – mit dem Ziel, dass Fahrzeuge nur dann aus dem Verkehr gezogen werden, wenn ein konkreter Verdacht auf Verstöße besteht. Geht das Konzept aus Ihrer Sicht auf? Nein, ich habe mir jedenfalls mehr erhofft. Wer am Montag Unregelmäßigkeiten bei den Lenkzeiten hat, muss in einer DSRC-Kontrolle am Dienstag nicht zwingend auffallen. Selbstverständlich erkennen Kontrolleure im Vorbeifahren das Fahren ohne Fahrerkarte. Aber können sie beim schnellen Knopfdruck am Straßenrand aufdecken, dass er vielleicht eine zweite Fahrerkarte benutzt? Nein. DSRC kann schon mal einen Zufallstreffer liefern, aber es ist nicht das Allheilmittel. Ich habe mal einen Kontrolleur getroffen – sogar einen ziemlich jungen. Der sagte, für ihn sei DSRC nur ein zusätzliches Mittel - er mache seine Kontrolle wie bisher nach Gefühl. Muss ich sagen, finde ich super.