Streit um Mehrarbeit

Nur vier Monate ist ein Kraftfahrer bei einem Unternehmen im Nordosten Deutschlands beschäftigt gewesen. Danach klagte er rund 350 unbezahlte Überstunden ein. Der ehemalige Mitarbeiter gab vor Gericht an, täglich zwischen 12 und 14 Stunden gearbeitet zu haben - wegen des engmaschigen Tourenplans seien keine Pausen drin gewesen. Von seinem Arbeitgeber habe er die Anweisung erhalten, während des Be- und Entladens die Fahrerkarte auf Pause zu stellen. Der ehemalige Chef hielt dagegen, die Touren seien in der normalen Arbeitszeit zu bewältigen gewesen, der Mann habe nur sehr langsam gearbeitet. Schließlich musste ein Kollege aussagen, um den Fall vor Gericht zu klären. Er bestätigte die Version des Lkw-Fahrers, der geklagt hatte. Dessen Ex-Chef musste deshalb alle Überstunden bezahlen (Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. März 2015, Aktenzeichen: 5 Sa 193/14). Frühe Ankündigung ist wichtig Nicht selten streiten sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Transport- und Logistikbranche über Überstunden. Das beginnt bereits bei der Definition: "Unter Überstunden versteht man die über die vertraglich geschuldete Arbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden", erklärt Doris-Maria Schuster, Fachanwältin für Arbeitsrecht in der Kanzlei Gleiss Lutz in Frankfurt am Main. "Überstunden muss der Mitarbeiter aber nur dann leisten, wenn er laut Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung dazu verpflichtet ist. Steht dort nichts drin, kann der Arbeitgeber Überstunden nicht einseitig anordnen", erklärt die Anwältin. Nur in Notsituationen wie bei einem Brand im Betrieb könne der Arbeitnehmer ausnahmsweise auch ohne entsprechende Klausel zur Leistung von Überstunden verpflichtet sein. Mitarbeiter muss nicht alles akzeptieren "Die einzelnen Überstunden selbst ordnet der Arbeitgeber über sein Direktionsrecht an", ergänzt Jens Klarmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Kiel. Damit der Mitarbeiter sich auf die zusätzliche Arbeit einstellen kann, muss der Chef die Überstunden rechtzeitig ankündigen. "Eine Regelung, was unter rechtzeitig zu verstehen ist, gibt es aber nicht. Auch die Rechtsprechung sagt dazu nichts Konkretes, sondern Gerichte entscheiden je nach Einzelfall", so der Jurist. Daher sei die Frist vom Sachverhalt abhängig, sollte aber möglichst lang bemessen sein. Klarmann geht als grobe Faustregel von einer Woche aus. In Notfällen könne sich die Ankündigungsfrist aber verkürzen. Ist der Mitarbeiter grundsätzlich zur Leistung von Überstunden verpflichtet, kann er sich eigentlich nur aus zwei Gründen weigern: "Geht die Arbeitszeit über das gesetzlich zulässige Maß hinaus, kann der Arbeitnehmer ablehnen", so Klarmann. Darunter fällt auch die Nichteinhaltung von Lenk- und Ruhezeiten. Außerdem können persönliche Gründe zur Ablehnung von Überstunden führen. "Das ist etwa dann der Fall, wenn die Ankündigungsfrist sehr kurz war und der Arbeitnehmer sein Kind aus der Kindertageseinrichtung abholen muss", weiß der Arbeitsrechtler. In der Regel geht es um die Vergütung In der Praxis entbrennt Streit allerdings meist wegen der Vergütung von Überstunden. Sieht der Arbeitsvertrag oder der anwendbare Tarifvertrag die Bezahlung von Überstunden vor, muss der Arbeitgeber zahlen. Ansonsten richtet sich die Vergütungspflicht nach Paragraf 612 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach gilt nämlich eine Vergütung nur dann als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. "Bei Arbeitnehmern, deren Gehalt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, ist laut Bundesarbeitsgericht (BAG) eine gesonderte Vergütung von Überstunden nicht zu erwarten", erklärt Schuster. Das gilt auch für leitende Angestellte oder Geschäftsführer. "Bei allen anderen Arbeitnehmern hingegen schon." Das bedeutet, dass der Arbeitgeber Überstunden grundsätzlich bezahlen muss. "Und zwar mit dem üblichen Stundenlohn", sagt die Expertin. "Er kann allerdings auch entscheiden, dass er dem Arbeitnehmer für die geleisteten Überstunden einen Freizeitausgleich gewährt." Eine Ausnahme von der Vergütungspflicht besteht nur dann, wenn eine bestimmte Anzahl an Überstunden mit einer sogenannten Abgeltungsklausel im Arbeitsvertrag wirksam abgegolten wurde. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Denn: "Eine pauschale Abgeltung aller Überstunden im Arbeitsvertrag ist unwirksam", erklärt Rechtsanwalt Klarmann. Die häufig verwendete Formulierung "Erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" ist daher unzulässig. "Eine Regelung, die vorsieht, dass bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden die ersten 20 Überstunden im Monat in der vereinbarten Vergütung mit drin sind, hat das Bundesarbeitsgericht aber für zulässig erachtet", sagt der Jurist. An dieser Maßgabe sollten sich Arbeitgeber orientieren. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "Arbeitsrecht" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Mitspracherecht Der Betriebsrat entscheidet mit Gibt es im Betrieb einen Betriebsrat, wird es mit den Überstunden schwieriger. "Die Anordnung von Überstunden ist mitbestimmungspflichtig", weiß Doris-Maria Schuster, Fachanwältin für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. "Das bedeutet, dass der Betriebsrat bei jeder einzelnen Überstundenanordnung zu beteiligen ist. Der Arbeitgeber muss sie beim Betriebsrat beantragen und der muss sie genehmigen." Zur Vereinfachung empfiehlt Schuster Arbeitgebern, in einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat zu regeln, dass beispielsweise bis zu fünf Überstunden dem Betriebsrat lediglich anzuzeigen sind. Widerspricht dieser nicht, gelten sie als genehmigt. ir BAG-Urteil Überstunden können im Zweifel geschätzt werden Um die Bezahlung von Überstunden vor Gericht einzuklagen, muss der Arbeitnehmer grundsätzlich für jede einzelne Überstunde mit Datum und Uhrzeit nachweisen können, dass er sie geleistet hat. Viele Klagen von Arbeitnehmern scheiterten bislang an diesen hohen Hürden. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun entschieden, dass die Zahl der Überstunden auch gerichtlich geschätzt werden kann (Urteil vom 25. März 2015, Aktenzeichen: 5 AZR 602/13). Im vorliegenden Fall hatte ein Busfahrer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses rund 650 Überstunden eingeklagt. Einig waren sich die Kontrahenten zumindest darin, dass Überstunden angefallen waren, weil der Mitarbeiter die zugewiesene Arbeit gar nicht ohne Überstunden erbringen konnte. Nur über den Umfang stritten die Parteien. Das Gericht entschied: Kann in einem solchen Falle der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen, darf der Richter das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen. ir