Sesam, öffne dich!

Sesam, öffne dich!Am 1. Juli 2008 tritt das neue Rechtsdienstleistungsgesetz in Kraft. Was die neuen Regelungen für die Branche bedeuten.Ali ist ein armer Mann, als er sieht, wie Räuber einen Berg dazu bringen, sich zu öffnen. Sie rufen: "Sesam, öffne dich!" Als sie weg sind, macht er es ebenso und findet ihre Schätze. So wie im Märchen "Ali Baba und die 40 Räuber" dürfte es am 1. Juli 2008 Inhabern von KFZ-Werkstätten, Bankenberatern, Architekten und anderen Berufsgruppen gehen, die mit dem neuen Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) Zugang zum juristischen Beratungsmarkt erhalten – und sich ein Stück vom Kuchen der Anwälte erhoffen.So könnte es passieren, dass ein Transport- und Logistikunternehmer bei seiner Hausbank über eine Unternehmensnachfolge beraten wird oder der Meister in der KFZ-Werkstatt dem Kunden nach einem Unfall rechtlich beisteht. Das war bislang nur Anwälten vorbehalten. Mit dem neuen RDG wird das Rechtsberatungsgesetz aus dem Jahr 1935 abgelöst und an die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst. Die neuen Regelungen ermöglichen jedoch keine schrankenlose Betätigung juristischer Laien. Das Gesetz erlaubt nur, "außergerichtliche Rechtsdienstleistungen". Umfassend juristisch beraten oder vor Gericht vertreten dürfen weiterhin nur Anwälte.Reichen die Qualifikationen aus?Als Rechtsdienstleistung gilt "jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert". Tätigkeiten, die sich im Auffinden, der Lektüre, Wiedergabe und schematischen Anwendung von Rechtsnormen erschöpfen, sollen nicht unter den Anwendungsbereich fallen. Informiert etwa ein Mieterverein seine Mitglieder in einem Rundschreiben über allgemeine gesetzliche Änderungen oder kündigt ein Energieberater für seinen Kunden einen Versorgungsvertrag, ist das keine Rechtsdienstleistung. Das soll auch gelten, wenn eine KFZ-Werkstatt mit der gegnerischen Versicherung unstreitige Reparaturkosten abrechnet und für den Geschädigten eine allgemeine Schadenspauschale geltend macht. Doch genau darin verbirgt sich Sprengstoff: Woher soll der Meister in einer KFZ-Werkstatt wissen, welche Ansprüche der Geschädigte hat oder welche Fristen er einhalten muss? Oder ob er gegen den Halter, den Fahrer oder die Versicherung vorgeht, kritisiert Rechtsanwalt Volker Römermann aus der Kanzlei Römermann Rechtsanwälte Hamburg/Hannover. " Das setzt natürlich eine rechtliche Prüfung voraus", sagt der Experte und gibt zu bedenken, dass für den Verbraucher das Risiko bestehe, dass Ansprüche nicht gesehen werden und die Werkstatt Gefahr laufe, vom Kunden bei einer falschen Beratung in Regress genommen zu werden. Viele Werkstätten werden daher auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten nicht verzichten.KFZ-Werkstätten sind jedoch nur ein Beispiel für den sich öffnenden Rechtsmarkt. Erlaubt ist generell die Rechtsprüfung durch Nichtjuristen, wenn es sich um Nebenleistungen handelt, die zum Berufs- oder Tätigkeitsbild gehören. So dürfenArchitekten über Fragen des Baurechts oder der SachmängelhaftungBanken über Vermögens- oder UnternehmensnachfolgeDiplom-Betriebswirte, Kaufleute oder Wirtschaftsjuristen über Sanierung oder Insolvenz eines Unternehmensberaten. Was darüber hinaus noch als Nebenleistung anzusehen ist, werden Gerichte entscheiden müssen. Ihr Maßstab wird sein, ob die juristische Qualifikation des nichtanwaltlichen Dienstleisters ausreicht. Diese ist etwa beim KFZ-Meister an den Basisqualifikationen des KFZ-Handwerks zu messen. Die Anwaltschaft sieht dem Gesetz gelassen entgegen. "Als Bedrohung für den anwaltlichen Berufsstand sehe ich die Öffnung des Beratungsmarktes nicht an", erklärt die Pressesprecherin der Bundesrechtsanwaltskammer Peggy Fiebig. "Wir werden aber sehr wohl beobachten, ob die Grenzen des Gesetzes eingehalten werden."Eine weitere Lockerung sieht das RDG für unentgeltliche Rechtsberatung im Familien- und Freundeskreis und durch karitative Einrichtungen vor. Hier gilt: Damit die Beratung ein gewisses Niveau behält, muss eine juristisch qualifizierte Person beteiligt sein oder die beratenden Mitarbeiter anleiten. Wer sich nicht daran hält, dem kann die Beratung untersagt werden.Große Mitgliedervereine profitierenFür besondere Bewegung in der Branche dürfte die neue Regelung sorgen, nach der nun auch Vereine ihre Mitglieder rechtlich beraten dürfen. Das war bisher nur berufsständischen Vereinigungen wie etwa Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden oder Mietervereinen vorbehalten. So durften schon bisher die Landesverbände des BGL ihren Mitgliedern in Rechtsfragen beistehen. "Für uns wird sich daher nicht viel ändern", erklärt Marcus Hover, Sprecher des Verbandes Güterkraftverkehr und Logistik Nordrhein. Profitieren werden vor allem große Mitgliedervereine wie Automobilclubs. Der ADAC arbeitet bereits jetzt mit über 650 Vertragsanwälten zusammen. "In Zukunft können aber viele Beratungsanfragen direkt von unseren Hausjuristen in unserer Zentrale beantwortet werden", erklärt Ulrich May, Leiter der Interessenvertretung Recht beim ADAC. Echte Mandate, die über eine reine Beratung hinausgingen, würden weiterhin an die Vertragsanwälte abgegeben. Der TÜV Süd ist im März mit dem neuen Service "Schadenberatung aktiv" an den Start gegangen. Er bietet Werkstätten bei der Schadensabwicklung professionelle juristische Fachberatung an (siehe Kasten).Auf die Qualität solcher Angebote wie des TÜV kann man sich verlassen. Ob auch andere, die auf den Beratungsmarkt drängen, das rechtliche Know-how haben, werden erste Erfahrungen mit dem neuen Gesetz zeigen. Manch einem könnte es sonst ergehen wie Ali Babas Schwager. Dieser wollte auch an den Schatz. Doch als er in den Berg gelangte, hatte er den Zauberspruch vergessen und kam nicht mehr heraus. Die Räuber machten kurzen Prozess mit ihm.❙❚■ Ina Reinsch, freie JournalistinAb dem 1. Juli 2008 dürfen Werkstätten ihre Kunden nach einem Verkehrsunfall im Rahmen der Schadensabwicklung rechtlich beraten. Der TÜV Süd ist im März 2008 mit dem Konzept "Schadenberatung aktiv" an den Start gegangen. Er bietet Werkstätten rechtliche Fachberatung per Telefon. Werkstattmitarbeiter können sich bei Fragen direkt an einen von etwa 25 auf Schadensrecht spezialisierten Rechtsanwälten wenden. Der TÜV Süd ist dazu eine Kooperation mit einer großen rheinländischen Kanzlei eingegangen. "Die Resonanz ist gut", sagt Udo Litz, Branchenmanager bei der TÜV Süd Auto Service GmbH. Für Werkstätten könnte der Service, der im ersten Jahr der Mitgliedschaft 49,95 Euro kostet, ein gutes Mittel der Kundenbindung werden. Doch auch die Kunden können von dem für sie kostenlosen Service profitieren: durch kompetente Rechtsberatung in der Werkstatt.

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