„Liberalisierung finde ich gut“

Interview„Liberalisierung finde ich gut“Nicolette van der Jagt ist seit Anfang des Jahres neue General-direktorin von Clecat. Einen liberalisierten Markt mit gleichen Regeln für alle sieht sie als Schlüssel für ein florierendes Gütertransportgewerbe in Europa. Im Interview mit der VerkehrsRundschau erklärt sie, warum.Frau van der Jagt, was haben Sie mit Clecat vor?Nicolette van der Jagt: Mein Vorgänger Marco Sorgetti hat Clecat als Interessenvertretung der Spediteure ins Bewusstsein der EU-Entscheidungsträger gebracht. Bei der EU-Kommission und dem EU-Parlament weiß man jetzt, wer Clecat ist. Ich möchte den nächsten Schritt gehen und Clecat über den Brüsseler Kreis hinaus stärker in Europa bekannt machen. Dazu gehört auch, neue Mitglieder zu werben. Aus einigen EU-Mitgliedsstaaten, wie zum Beispiel Irland, Österreich oder Litauen, gehört noch kein einziges Unternehmen zu uns. Um attraktiv zu sein, müssen wir auch an unserer Außendarstellung arbeiten, das Profil der Organisation modernisieren. Und Sie müssen gute Arbeit leisten.Ja natürlich. Probleme gibt es dank der Krise ja genug. Jeder spürt die Krise. Es gibt weniger Güter zu transportieren, dadurch kommt weniger Geld in die Kassen, dadurch können die Verbände und Unternehmen weniger dafür tun, um an einer nachhaltigen Zukunft zu arbeiten.Was werden Sie tun, um das zu ändern?Zurzeit kann ich dazu noch nicht viel sagen. Ich bin erst seit Anfang des Jahres im Amt, da habe ich noch keinen fertig ausgearbeiteten Business-Plan.Sie haben noch keine Projekte? Das kann doch nicht sein!Es gibt rund 60 EU-Dossiers, die Themen behandeln, die unsere Mitglieder betreffen. Das müssen wir alles überblicken. Zum Beispiel läuft gerade eine Befragung zum Thema Kabotage. Das ist ein wichtiges Thema, dazu werden wir unsere Meinung sagen.Die wie aussieht?Wir wollen einen freien Markt, die bestehenden Beschränkungen sollen aufgehoben werden.Bei diesem Thema stehen Sie also vollan der Seite von EU-Verkehrskommissar Kallas?Ja, vollkommen. Wir unterstützen ihn auch bei seinem Vorhaben, den Markt für die Hafendienstleistungen völlig zuöffnen.Was bedeutet das?Wir wissen noch nicht genau, welche Ideen die Kommission vorbereitet. Aber grundsätzlich soll es neuen Anbietern von Dienstleistungen einfacher möglich sein, auf den Markt zu kommen. Das Gleiche gilt für den Gütertransport auf der Schiene. Hier unterstützen wir die Pläne der EU-Kommission, die Entflechtung zwischen Dienstleister und Infrastrukturbetreiber voranzubringen.Warum?Wir glauben, dass das die beste Möglichkeit ist, einen offenen und liberalisierten Markt zu erhalten.Die Eisenbahner sehen das ja etwas anders.Nicht unbedingt. In Deutschland sind solche Forderungen für die Deutsche Bahn natürlich ein Problem, und der große Europäische Dachverband CER ist auch eher skeptisch. Aber die privaten Bahnen unterstützen uns sehr wohl. Andere auch. Es geht nicht nur um die Liberalisierung an sich, sondern um bessere Dienstleistungen und mehr Wahlmöglichkeiten. Der Schienensektor wird sein ganzes Potenzial ausschöpfen können. Davon werden auch die Spediteure profitieren. Es ist ja das Ziel der Kommission, mehr Güter auf die Schiene zu bekommen. Das wird nur geschehen, wenn es einen lebhaften, vibrierenden und aktiven Bahnmarkt gibt. Generell finden Sie Liberalisierung eine gute Sache?Ja, weil Liberalisierung meist dazu führt, dass wir einen offenen Markt haben. Ein offener Markt führt zu Wettbewerb, über Wettbewerb entsteht Konkurrenz unter Unternehmen. Das führt zu besseren Dienstleistungen, besserer Qualität, besseren Preisen. Natürlich braucht man dafür Regeln, die für alle gleich sind. Zum Beispiel die Regeln für den Straßengüterverkehr. Alle müssen die gleichen Zugangsbedingungen zum Markt besitzen, die Sozialregeln müssen gleich sein. Wir brauchen einen Standard als Grundlage. Und dann soll der Markt entscheiden.Da gibt es ja noch einiges zu tun, um diese Basis zu schaffen.Ja.Die Kabotage zum Beispiel ist in Deutschland ja ein umstrittenes Thema: die Angst vor den Billiganbietern aus dem Osten. Sprechen Sie über solche Probleme mit Ihren Mitgliedern?Das habe ich noch nicht gemacht, weil ich erst noch genauer wissen muss, was die Argumente sind. Wie zum Beispiel die typische Sichtweise eines Spediteurs aussieht. Aber danach werde ich natürlich über diese Dinge mit unseren Mitgliedern reden.Was ist Ihre Meinung zu den Plänen für einen neuen digitalen Tachografen?Wir unterstützen weitestgehend den Vorschlag der Kommission, obwohl das eher ein Randthema für unsere Spediteure ist. Aber gut finden wir, dass generell Dinge vereinfacht werden sollen. Wenn man schon einen digitalen Tachografen mit einer digitalen Karte hat, warum soll man diese Karte nicht kombinieren mit dem Führerschein? Über einen Makro-Chip? Ich weiß, dass es Diskussionen zu dem Problem gibt, was passiert, wenn man seinen Führerschein verliert. Aber es gibt wohl Möglichkeiten, einige Bereiche auf dem Makro-Chip zu blockieren, andere weiter aktiv zu belassen. Also im Grunde eine lösbare Sache. Auf der anderen Seite bedeutet der neue Digitacho eine finanzielle Investition. Man hat mir gesagt, dass es ziemlich teuer ist, diese Digitachos anzuschaffen und dann ganze Flotten damit auszurüsten.Was halten Sie von den Eurocombis?Clecat begrüßt dieses Multi-Modal-System. Wir finden, dass die Kommission da jetzt etwas machen sollte. Sie hat letztes Jahr versprochen, Vorschläge für den grenzüberschreitenden Verkehr dieses LKW vorzulegen. Zwischen Ländern, in denen diese LKW schon fahren dürfen. Das sollte sie auf jeden Fall voranbringen. Wenn diese Eco-Combis in Dänemark und den Niederlanden erlaubt sind, in Deutschland jetzt der Feldversuch beginnt, dann sollte man auch den Verkehr zwischen diesen Ländern erlauben.Die Dänen wollen das Thema ja während ihrer EU-Ratspräsidentschaft voranbringen. Glauben Sie, dass das erfolgreich sein wird?Ja, das glaube ich schon.Bahn-Vertreter wehren sich gegen die Lang-LKW.Wenn sich der Schienensektor langfristig zu einem effizienten Güterträger entwickelt, werden automatisch mehr Volumen auf die Bahn kommen. Sie bräuchte sich dann nicht fürchten vor stärkerem Wettbewerb durch die Straße und Eco-Combis. Man kann das ja auch kombinieren, denn die modalen Teile der Eco-Combis können ja auch von Zügen transportiert werden. Oft ist alles eine Frage der Qualität. Ich sehe zwar, dass der Eisenbahnsektor komplizierter ist: Er muss mit einer Infrastruktur zurechtkommen, die oft sehr alt ist, die man nicht so einfach mit der Straßen-Infrastruktur vergleichen kann. Aber die Bahnen sollten aufhören, den Straßentransport anzugreifen. Sondern lieber selbst anfangen, sich in einen schlagkräftigen Wettbewerber zu wandeln.Also wieder: Der Markt soll entscheiden, ob Eurocombi fahren.Ja, und der Markt wird sie gut finden. Allein schon aus umwelttechnischen Gründen. Statt drei müssen dann nur noch zwei LKW fahren. Normalerweise gehören auch die Motoren, soweit ich weiß, zu den modernsten, die es gibt.Ein gutes Stichwort: Euro 6. Was halten Sie davon?Es gibt Euro 6, es tut etwas für die Umweltfreundlichkeit des Verkehrs, das ist gut.Dann sind auch die Neuerungen der Eurovignette gut, die Anrechnung der externen Kosten auf die internen Kosten?Wir akzeptieren, dass es diese Anrechnung gibt. Aber man muss alle Verkehrsträger einbeziehen. Auch die PKW. Spätestens, wenn die Eurovignette verpflichtend in allen Mitgliedsländern gelten wird. Soweit ich aus Kommissionskreisen gehört habe, soll dies das Ziel für 2020 sein.Ungeklärt ist die Verwendung der Gelder: Deutschland und andere EU-Staaten wollen sich nicht vorschreiben lassen, wofür sie die Mauteinnahmen ausgeben sollen.Clecat hat von Anfang an gesagt: Wir brauchen das Earmarking, also die Regel, dass das vom Verkehr eingenommene Geld wieder in den Verkehr zurückfließen muss. Und wenn das Geld aus dem Straßenverkehr kommt, soll es auch wieder dem Straßenverkehr zugutekommen.Ganz grundsätzlich: Was sind die Stärken und Schwächen der deutschen Spediteure?(lacht) Oh je, diese Frage werde ich nicht beantworten.Warum?Sie können von mir nicht verlangen, dazu eine Meinung zu äußern. Deutsche Spediteure sind Clecat-Mitglieder genau so wie andere. Ich habe als Generaldirektorin alle gleich zu behandeln. Im Allgemeinen bin ich aber beeindruckt vom Wissensstand und der Dynamik des Logistiksektors. Deutschland ist dabei natürlich ein großer Markt mit einem wichtigen und starken Spediteurssektor.Dann vielen Dank für das Interview.Sie haben noch nicht das Thema Umwelt angesprochen.Stimmt.Das ist eine große Herausforderung. Kunden werden immer häufiger von den Spediteuren verlangen, dass sie nachhaltige Dienste erbringen. Umweltverträglichkeit wird immer stärker zu einem Kriterium werden, das bei der Auftragserteilung entscheidend wird. Deshalb müssen Standards entwickelt werden, wie die Umweltbelastungen gemessen werden können. Dann müssen diese Standards überall zur Anwendung kommen.Das wird sicherlich zusätzliche Kosten verursachen.Vielleicht, aber es wird auch Kosten senken. Denn wenn man Dinge effizienter gestaltet, gibt es weniger Emissionen, für die man ja auch bezahlen muss.Gibt es sonst noch ein Thema, das Ihnen am Herz liegt?Die Zollfrage ist sehr wichtig für uns. Beim Zoll müssen Vereinfachungen her. Das ist oft das Erste, was Mitglieder von uns hier verlangen: Dafür zu sorgen, dass die Zollformalitäten, -abgaben, -kontrollen etc. vereinfacht werden. Die Mitarbeiter der EU-Einrichtungen müssen verstehen, dass alles, was sie zur Erleichterung der Wirtschaft, der Spediteure, machen, positive Auswirkungen auf die Gesellschaften hat. Noch ist dieses Bewusstsein bei den EU-Einrichtungen nicht vorhanden. Wir bemühen uns darum, das zu ändern. ❙❚■ Kay Wagner, Korrespondent in BrüsselVitaClecatNicolette van der Jagtwurde 1966 in den Niederlanden geboren, studierte an den Universitäten Utrecht und Straßburg Französisch, internationale Beziehungen sowie Europastudien und startete ihre berufliche Laufbahn 1992 beim niederländischen Logistik- und Verkehrsverband EVO. Seit 1996 arbeitet sie für die Gütertransportbranche in Brüssel. 2002 wurde sie Generalsekretärin des europäischen Verlader-Dachverbandes European Shippers’ Council (ESC) mit Sitz in Brüssel, bevor sie zum 1. Januar 2012 als Generaldirektorin zu Clecat wechselte. kwClecat ist eine europäische Interessenvertretung der Speditions- und Logistikbranche mit Sitz in Brüssel. 20 nationale Verbände vereinigt Clecat nach eigenen Angaben unter ihrem Dach, darunter auch den Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). Damit vertritt Clecat die Interessen von rund 19.000 Unternehmen mit zusammen mehr als einer Million Beschäftigten. Die Hauptaufgabe von Clecat ist Lobbyarbeit bei den EU-Einrichtungen in Brüssel. kwClecat vertritt Spediteursinteressen in der EUNicolette van der Jagt leitet seit Januar die operativen Geschäfte des Spediteursverbands ClecatVan der Jagts Vorgänger Marco Sorgetti ist jetzt beim internationalen Schwesterverband FiataDie 45-jährige Nicolette van der Jagt war zuletzt für den Verladerverband ESC tätigInterviewInterviewStandpunkteFrau van der Jagt, sind Sie für oder gegen ... Abschaffung der Kabotage  Liberalisierung der Hafendienstleistungen Entflechtung bei der Bahn  Digitacho Eurocombi  Euro 6 Anrechnung externer Kosten Zweckbestimmung der Verkehrseinnahmen PKW-Maut CO2-Bilanz der Transportkette Vereinfachungen beim Zoll

„Liberalisierung finde ich gut“

Durchschnittspreise neue und gebrauchte Europaletten

Entsenderegeln in Europa 2022

MEISTGELESEN

Wasserstoffmobilität: Brennstoffzelle statt Batterie

Förderungen für Güterkraftverkehr 2026: Balm gibt Antragsstart bekannt

Berufskraftfahrerqualifikation: Bundesregierung stimmt Vorschlag des Bundesrats zu

NEWSLETTER