Knochenharter Einsatz

Knochenharter Einsatzauf der StraßeGewohnheit und Langeweile gibt es im Alltag eines Pannenhelfers nicht. Jeder Servicefall hat seine eigenen Tücken und muss auf der Stelle gelöst werden. Die VR begleitete den ADAC-Truckservice. Stau auf der Autobahn. Mit grell blinkender Warnanlage schlängelt sich der ADAC-Truckservice-Transporter durch die stehenden Fahrzeuge auf die Standspur. Nur noch auf dieser Gasse kommt der Daimler-Transporter an den Lastwagen-Kolonnen vorbei. "Die Polizei toleriert das", sagt Pannenhelfer Sebastian Kurzok. "Schließlich kann die LKW-Panne der Auslöser für den Stau sein." Nach wenigen Kilometern springt dem ADAC-Mann ein Warndreieck ins Auge: Er ist am Einsatzort. Ein Iveco Daily und ein Mercedes Sprinter parken rechts in einer Notfallbucht. Der Italo-Van streikte plötzlich mitten auf der A 99 Richtung Nürnberg auf dem Ostkreuz bei München. Die beiden Wartenden, der Iveco-Fahrer Dietmar Witte und sein Kollege Gerhard Rekowski, hocken auf der Leitplanke und blinzeln gegen die Sonne in Richtung des gelben ADAC-Trucks. Kurzok springt aus dem Fahrerhaus, die zwei jungen Männer laufen ihm in dem schmalen Korridor zwischen der Fahrbahnmarkierung und den Wagen entgegen. "Gut, dass Sie da sind. Wir sind unterwegs nach Osnabrück", erzählt Rekowski. "Als plötzlich in der Armatur die Motorkontrollleuchte rot aufblinkte, bin ich nervös geworden", gesteht sein Kollege Witte. "Dann zeigte das Display auch noch 'Motor abstellen, Service rufen' an, also bin ich rechts ran." Dieser Tipp reicht Kurzok schon aus: Der gelernte Mechaniker weiß, was zu tun ist. Während er den Diagnosecomputer an der Kontaktstelle neben dem Lenkrad anschließt, raunt der 22-Jährige: "Immer dasselbe mit diesen Ivecos. Die sind anfällig, weil die Steuergeräte oft überlastet sind." Mit einem Handgriff klemmt er die Batterie ab. Bis zum Neustart der Elektronik: Ein paar Minuten zum Entspannen – für den Daily und Kurzok, der sich heute schon seit acht Stunden um seine Sorgenbrummis auf den bayerischen Straßen kümmert. Der Mechaniker lehnt sich an die Leitplanke, zündet sich eine Zigarette an und atmet durch. Auch die vorbeifahrenden Lastwagen stören ihn in diesen zwei Minuten der Ruhe nicht.Von einem Pannenfall zum nächstenMit seiner rollenden Werkstatt fuhr er heute schon zu zwei anderen Servicefällen. "Mittags stand ein Truck mitten auf einer Kreuzung in der Innenstadt von München und blockierte den Verkehr, bis ich ihn repariert habe", erzählt er. Unter der langärmligen Schutzjacke im ADAC-Gelb schwitzt er an dem heißen Tag, die Reflektoren auf der Kleidung blinken in der Sonne. Das Motto "Sehen und gesehen werden" zählt auf den Straßen, um abends heil wieder nach Hause zu kommen. Nicht länger als eine halbe Stunde dürfen Pannenhelfer auf der Autobahn hantieren – das Unfallrisiko ist einfach zu hoch. Kurzok kennt von seinen Pannen-Lehrgängen die richtigen Sicherheitsmaßnahmen. Er ist die Ruhe selbst – trotz des Lärms der vorbeirollenden Fahrzeuge. Der Fahrer des Daily hingegen hängt nervös am Telefon. Seit einer Stunde liegt das Van-Duo bereits fest: Die geladene Ware muss schnell nach Osna-brück. Kurzok drückt die Zigarette aus und ist wieder voll im Einsatz: Er schließt die Batterie an und schlägt die Motorhaube zu. Als der Iveco normal startet, entspannen sich die Gesichtszüge des Fahrers. Endlich kann es weitergehen. 365 Tage rund um die Uhr im Einsatz"Like ice in the sunshine" dudelt es aus Kurzoks Autoradio. Der ADAC-Truckservice-Helfer steuert seinen Einsatzwagen über die Autobahn in Richtung Heimatwerkstatt in Feldkirchen. Das Navigationsgerät, dessen Halterung angebrochen ist, wippt auf dem Armaturenbrett im Takt der Musik mit. Schmiere und Staub verkleben die Ablage. Die Sitze überzieht ein schmutzig-grauer Mantel, der von der harten Arbeit des Pannenhelfers erzählt. 365 Tage rund um die Uhr sind Kurzok und seine Kollegen vom LKW-Service Sedlmeier im Einsatz, kriechen unter LKW bei Regen und Schnee oder wechseln Reifen bei glühender Hitze. Seit ungefähr einem Jahr hilft Kurzok jetzt als Lasterdoktor auf der Autobahn. Davor lernte er bei der Sedlmeier-Werkstatt und arbeitet seitdem als KFZ-Mechaniker. "Mein Vater war Fernfahrer, also bin ich mit LKW aufgewachsen. Das sind noch richtige Fahrzeuge und kein Matchbox-Spielzeug wie PKW", erzählt der Pannenhelfer. "Es gibt auch stressigere Tage", gesteht der junge Mann. Letzte Woche etwa hat er keine Nacht durchgeschlafen: Seine Kollegen und er hetzten von einem Notdienst zum anderen. "Der Job ist abwechslungsreicher als in der Werkstatt und macht deswegen viel Spaß. Aber es gibt schon Momente, in denen ich mich frage, warum ich mir den Stress antue", sagt der gebürtige Münchner und wischt Schweißtropfen von seiner Stirn. Der Dreck an seinen Händen verschmiert sich dabei in seinem Gesicht. Kurzok schaut auf die Uhr, es wird langsam Zeit für den Feierabend. "Um 16 Uhr habe ich Schluss. Dann kann ich bei dem tollen Wetter noch eine Runde mit meinem Cabrio drehen", sagt der Pannenhelfer, lächelt und summt sich zum Radiolied in Feier-abendstimmung. LKW mit blockierter Bremse wartet In der Werkstatt angekommen, lösen sich diese Pläne allerdings schnell in Luft auf: Eine weitere Panne lässt die Cabrio-Tour in weite Ferne rücken. Da der für die Folgeschicht zuständige Kollege bereits zu einem anderen Fall unterwegs ist, muss Kurzok noch mal raus: In Buch steht ein LKW mit blockierter Bremse. Der junge Mann tippt die Adresse ins Navigationsgerät, schon geht es auf die Autobahn. Dieses Mal ist der Lastwagen nicht auf der Straße liegen geblieben, sondern im Hof des Unternehmens. Der LKW-Fahrer, Stefan Drljanovcan, läuft dem ADAC-Servicefahrzeug winkend entgegen. Im gebrochenen Deutsch beginnt er zu erzählen: Er fahre schon seit 35 Jahren für die Firma. "Bis heute ist noch nie etwas Schlimmes passiert", stammelt der ausländische Fahrer. Plötzlich habe er es im Rückspiegel rauchen gesehen. Fehlerdiagnose vor OrtKurzok klettert ins Fahrerhaus des Muldenkippers. Der LKW bewegt sich kein Stück mehr vom Fleck. Verbrannter Geruch hängt in der Luft. Der Mechaniker zieht einen Luftschlauch aus seinem Werkstattwagen zum Truck, setzt ihn an das Bremssystem an, um dieses zur Probe fremd zu belüften. "Der Federspeicher muss es sein." Mit einem Schraubenschlüssel bewaffnet krabbelt er unter den Lastwagen, baut den Federspeicher aus und macht die Luftleitung blind. Als die Bremse immer noch klemmt, merkt der Mechaniker, dass mehr kaputt sein muss. Um die ganze Bremse zu begutachten, muss er hinter die Reifen kommen. Routiniert setzt er den Wagenheber an, dreht die Schrauben mit dem Akkuschrauber auf und zieht mit einem Ruck schließlich die Reifen ab. Dann die böse Überraschung: Die Bremsscheiben sind total verbrannt. Ganz vorsichtig tippt er mit den Fingern gegen die verkohlte Bremse. "Die muss raus." Nicht nur die aufsteigende Hitze erschwert ihm die Arbeit, sondern auch der aufgeregte Fahrer, der um ihn herumtänzelt und mithelfen will. "Tu da mal deine Finger weg", versucht der ADAC-Mann den nervösen Fahrer zur Ruhe zu bringen. Plötzlich läutet Kurzoks Handy: Sein Chef fragt, wo er denn bleibe. Zwei weitere Pannen warten. "Ist ein bißchen mehr kaputt", wimmelt Kurzok seinen Vorgesetzten ab und macht weiter: Erst die Schrauben lösen. Drei oben. Drei unten. Vorsichtig, damit er sich nicht verbrennt, entfernt er die verkohlten Stücke. Ihm fehlen aber die Ersatzteile, um den Schaden sofort zu reparieren. Deswegen soll Drljanovcan mit ihm in die Werkstatt fahren. Ganz langsam. Mit nur drei funktionierenden Bremsen: "Zur Sicherheit fahre ich hinterher", instruiert ihn Kurzok. Während er den Wagenheber und das Werkzeug wegräumt, startet Drljanovcan plötzlich den LKW und biegt um die Ecke. "Das ist doch viel zu gefährlich", schreit Kurzok und rennt dem Laster hinterher. Der Trucker hatte ihn falsch verstanden, hält an und wartet auf den ADAC-Mann, um schließlich gemeinsam mit ihm zur Werkstatt zu fahren. Ein Bremsenausbau ist keine Sache von fünf Minuten. Mittlerweile ist es 19.00 Uhr. Kurzok lenkt seinen Truck in die Hofeinfahrt der Werkstatt. Immer noch kein Feierabend in Sicht. Der Chef hatte ja bereits am Telefon die nächsten Servicefälle angekündigt. Die Cabrio-Tour fällt für heute wohl ins Wasser.❙❚■ Sonja Sydow

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