Inklusion

Im Jahr 2016 waren in Deutschland laut Bundesagentur für Arbeit 171.000 schwerbehinderte Menschen arbeitslos gemeldet, 59 Prozent von ihnen hatten einen Berufs- oder Hochschulabschluss. Die Zahlen zeigen: In dieser Gruppe steckt jede Menge Fachkräftepotenzial. Aber viele Unternehmen schrecken davor zurück, Menschen mit Behinderung einzustellen. Und dass, obwohl Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen gesetzlich dazu verpflichtet sind, wenigstens fünf Prozent der Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen. Schwerbehinderte werden unterschätzt Für jeden nicht mit einem schwerbehinderten Menschen besetzten Pflichtarbeitsplatz muss eine Ausgleichsabgabe gezahlt werden. Je näher ein Arbeitgeber an der Pflichtquote von fünf Prozent liegt, desto weniger muss er zahlen. Bei einer Erfüllungsquote von unter zwei Prozent fallen pro Monat 320 Euro an, bei zwei bis unter drei Prozent 220 Euro, bei drei bis unter fünf Prozent sind es nur noch 125 Euro. Doch Vorurteile halten sich hartnäckig, weiß Robert Staudenmeir, Teamleiter Vermittlung Reha/Schwerbehinderung bei der Agentur für Arbeit in München. "Schwerbehinderte gelten als unkündbar und weniger leistungsfähig", sagt er. Mit diesen Vorurteilen wollen die Schwerbehindertenteams der Arbeitsagenturen aufräumen. "Schwerbehinderte unterliegen tatsächlich einem besonderen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber benötigt zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses immer die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes", erklärt Staudenmeir und ergänzt: "In etwa 80 Prozent der Fälle wird der Kündigung zugestimmt." "Viele Unternehmer erkennen das Potenzial von Menschen mit Behinderung nicht", sagt Christian Paluch. Er ist Berater beim Unternehmens-Netzwerk Inklusion und setzt sich mit seinen Kollegen dafür ein, kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) für das Thema Inklusion zu öffnen. Nicht nur, dass viele Beeinträchtigungen auf die tägliche Arbeit gar keine Auswirkungen hätten, Mitarbeiter mit Handicap seien meist äußerst loyal und hochmotiviert, betont er. Behindert - was heißt das eigentlich? Ein grundlegendes Problem sei, dass viele nicht-behinderte Menschen gar nicht wüssten, was genau "schwerbehindert" eigentlich bedeutet, meint Staudenmeir. "Viele haben das Bild eines Rollstuhlfahrers vor sich, aber schwerbehindert bedeutet eben nicht gleich Rollstuhl", sagt er. Laut Sozialgesetzbuch (SGB IX)sind Menschen mit Behinderung "Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft (...) hindern können." Diese Definition meint Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr. Menschen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, können durch die Bundesagentur für Arbeit Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Einen Rollstuhl benötigen davon die wenigstens, wie eine Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) von 2016 zeigt. Demnach ist die häufigste Form der Behinderung heute eine seelische Behinderung (27,5 Prozent), gefolgt von geistigen oder Lernbehinderungen (18,2 Prozent) sowie Hörbehinderungen (11,3 Prozent). Erst dann folgen körperliche Behinderungen orthopädischer (16,8 Prozent) oder organischer Art (12,7 Prozent) sowie neurologische Beeinträchtigungen (9,5 Prozent). Den geringsten Anteil stellen Sehbehinderungen (4,0 Prozent). Lkw fahren ohne Gehör - das geht! "Die meisten Beeinträchtigungen bedeuten für die jeweilige Tätigkeit keinerlei Einschränkung", so Staudenmeir. Der Arbeitnehmer ist daher per Gesetz nicht verpflichtet, seinen Arbeitgeber über die Behinderung in Kenntnis zu setzen, wenn diese keinen Einfluss auf seine Tätigkeit hat. "Es ist offensichtlich, dass ein Epileptiker keinen Lkw steuern darf, da er sich und andere dadurch gefährdet. Für einen Diabetiker ist das aber überhaupt kein Problem" - oder für einen Gehörlosen. Das zeigen Nils Rath und Timo Ermeck. Bei der Spedition Giesker & Laakmann in Nottuln hat Rath die Ausbildung zum Berufskraftfahrer absolviert - und das trotz fehlendem Gehör. Heute steuert er täglich einen Sattelzug und liefert Baustoffe aus. Sein Kollege Ermeck - ebenfalls gehörlos - ist im ersten Lehrjahr zum BKF. Für die tagtägliche Arbeit stellt die Hörbehinderung der beiden kein Problem dar, sagt Personalchefin Simone Heimken: "Probleme, die es nicht auch bei hörenden Fahrern geben könnte, hatten wir bislang nicht." Sie würde jederzeit weitere Menschen mit Handicap einstellen. Christian Paluch vom Unternehmens-Netzwerk Inklusion würde sich wünschen, dass mehr KMU dem Beispiel der Spedition Giesker & Laakmann folgen. Viele Betriebe schrecken vor allem vor den möglichen Kosten zurück, die bei der Integration eines schwerbehinderten Mitarbeiters auf das Unternehmen vermeintlich zukommen, etwa für behindertengerechte Umbauten oder technische Hilfsmittel für den Arbeitsalltag. "In der Regel ist die Integration eines behinderten Mitarbeiters für das Unternehmen kostenneutral", räumt Paluch mit dem Vorurteil auf. "Über die Förderung von technischen Arbeitshilfen wie Umbauten oder speziellen Möbeln wird im Einzelfall nach Ermessen entschieden", erläutert Robert Staudenmeir. Berater der Agentur für Arbeit prüfen vor Ort, welche Maßnahmen nötig sind und wer für die jeweilige Förderung zuständig ist - die Agentur, das Integrationsamt oder andere Rehaträger wie die gesetzlichen Krankenkassen, die Unfalloder Rentenversicherung. Beschnuppern beim Arbeiten auf Probe Von der Agentur für Arbeit können Arbeitgeber zudem einen Eingliederungszuschuss erhalten. Damit werden beispielsweise Ausfälle während der Einarbeitungszeit ausgeglichen. "Zudem besteht die Möglichkeit einer unverbindlichen Probebeschäftigung", so Staudenmeir. Arbeitnehmer können auf diese Weise im Unternehmen zeigen, ob sie für den jeweiligen Job geeignet sind, und erhalten währenddessen weiter Arbeitslosengeld. Dem Unternehmen entstehen keine zusätzlichen Kosten. Auch Lohnkostenzuschüsse, Zuschüsse zur Ausbildung oder zur Schaffung neuer Arbeitsplätze für Schwerbehinderte können beantragt werden. Auch die DB Cargo AG in Duisburg profitiert von Lohnkostenzuschüssen. Dadurch kann beispielsweise ein Mitarbeiter bereitgestellt werden, der einem Kollegen mit Sehbehinderung beim Lesen der täglichen Post hilft. Für körperlich beeinträchtigte Mitarbeiter wurde der Eingangsbereich behindertengerecht umgebaut und ein eigener Schwerbehindertenparkplatz eingerichtet. Sämtliche Baumaßnahmen wurden bezuschusst. "Die Förderung war immer ohne größeren Aufwand möglich. Lediglich die Lohnkostenzuschüsse müssen wir halbjährlich neu beantragen", berichtet Nadja Kelterborn vom HR-Management der DB Cargo. "Wir haben schwerbehinderte Kollegen in fast allen Bereichen. Ob Güterzug-Disposition, Abrechnung, IT oder Personalabteilung - die Kollegen werden je nach Fähigkeit und Art der Beeinträchtigung eingesetzt." Die DB Cargo kommt in Duisburg dadurch auf eine vorbildliche Schwerbehindertenquote von 18,3 Prozent. Für jeden gibt es die passende Arbeit "Wenn man wirklich will, klappt Inklusion mit minimalem Aufwand", meint Robert Staudenmeir. Viele Logistikunternehmen hätten Erfahrung mit der Beantragung von Fördermitteln - etwa im Rahmen des De-minimis-Programms. "Im Bereich Inklusion ist die Beantragung nicht schwieriger. Der Arbeitgeberservice der Arbeitsagentur steht Unternehmern als Lotse jederzeit zur Verfügung - kostenlos." Dass Inklusion mit dem nötigen Engagement gelingen kann, zeigt das Beispiel Remondis Industrie Service. Am Standort in Bramsche arbeiten 153 Mitarbeiter, davon 16 mit Schwerbehinderung. Seit Kurzem sind dort im Rahmen eines Projekts mehrere schwerstbehinderte Mitarbeiter mit einem GdB von über 80 beschäftigt, die zuvor in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig waren. "Die Kollegen sind für einfache Sortiertätigkeiten im Spraydosen-Recycling zuständig", sagt Schwerbehindertenvertreter Uwe Haake. Die Eingliederung der vor allem kognitiv eingeschränkten Kollegen wurde durch das "Budget für Arbeit" finanziert. Mit diesem speziellen Förderprogramm unterstützt das Land Niedersachsen Beschäftigte von WfbM dabei, auf einem Arbeitsplatz des ersten Arbeitsmarkts eingegliedert zu werden. Bei Remondis war das ein voller Erfolg: "Die Kollegen schaffen die Arbeit problemlos und sind hervorragend integriert", berichtet Haake. Unterstützung bei dem Projekt bekam Remondis auch vom Unternehmens-Netzwerk Inklusion - für Christian Paluch und seine Kollegen ein Paradebeispiel für gelungene Inklusionsarbeit. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Personalwesen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Hilfe für Arbeitgeber Hier bekommen Arbeitgeber Beratung und Unterstützung beim Thema Inklusion: - Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit auf www.arbeitsagentur.de oder bundesweit kostenlos telefonisch unter 0800 4 55 55 20- Integrationsämter und Integrationsfachdienste. Ihren örtlichen Dienst und Ansprechpartner finden Sie online auf www.integrationsaemter.de- Integrationsberatung bei der örtlichen IHK, zu finden unter www.ihk.de- Das Unternehmens-Netzwerk Inklusion hilft kleinen und mittelständischen Unternehmen. Mehr unter www.unternehmens-netzwerk-inklusion.de- Allgemeine Infos zum Thema Inklusion: www.einfach-teilhaben.de

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