Brüssel. Die europäische Verkehrspolitik sollte sich realistischere Ziele setzen und sie mit mehr Nachdruck und in besserer Abstimmung mit den EU-Mitgliedstaaten durchsetzen. Das ergab eine Befragung der Verbände, die die EU-Kommission im ersten Halbjahr 2015 durchgeführt hat. Das Ergebnis: Keiner ist richtig zufrieden.
Mit der Konsultation wollte die Kommission herausfinden, ob die im Weißbuch Verkehr von 2011 festgelegten Prioritäten weiter gelten sollen oder Korrekturen vorgenommen werden müssen. In den meisten Stellungnahmen würden die 2011 anvisierten Ziele zwar nicht zur Disposition gestellt, heißt es in einer Auswertung der Generaldirektion Verkehr, bemängelt wird jedoch das Fehlen einer abgestimmten Strategie zu ihrer Umsetzung. In vielen Fällen fehlten „realistische und umsetzbare Ziele, die im Rahmen konkreter Projekte kurz- und mittelfristig umgesetzt werden“. Ungereimtheiten würden insbesondere im Hinblick auf den multimodalen Verkehr kritisiert, wo es nicht nur an einer Strategie, sondern auch an den Ressourcen zum Ausbau der Infrastruktur fehle.
Zweifel gebe es insbesondere bei den Verbänden des Straßengüterverkehrs an der umweltpolitisch motivierten Bevorzugung der Bahn und des Schiffsverkehrs. Die gezielte Verlagerung von Transporten auf diese Verkehrsträger verkenne die Vorteile der Tür-zu-Tür-Mobilität und vernachlässige die „Effizienzverbesserung des Straßentransportes“. Ungeklärt bleibe, ob die Bahn und die Binnenschifffahrt die ins Auge gefassten Transportmengen auch bewältigen könnten, kritisiert die Branche. Investitionen in die Infrastruktur dürften nicht nach umweltpolitischen Wunschvorstellungen erfolgen, sondern auf der Grundlage des „effizientesten Transports“. Dabei müssten auch die Erwartungen der Kunden des Transportgewerbes berücksichtigt werden. „Der Markt sollte über die beste Lösung für jede Beförderung entscheiden. Dabei muss jeder Verkehrsträger seine Vorteile in einem fairen Wettbewerb zur Geltung bringen.“
Öffnung der Märkte kein Selbstzweck
Dagegen kritisieren die Bahnlobbyisten, dass die Schiene durch politische Auflagen wie den Emissionshandel gegenüber dem Straßengüterverkehr benachteiligt werde. Auch andere Verbände beklagen Widersprüche zwischen der Verkehrspolitik sowie der europäischen Energie- und Klimapolitik. Eine engere Verzahnung sei auch mit der europäischen Regionalpolitik nötig. So sei der bevorzugte Ausbau des TEN-T-Netzes nicht geeignet, die Randregionen der Union besser anzubinden. Er trage auch nicht dazu bei, Engpässen grundsätzlich zu begegnen.
Gewerkschaften und Arbeitgeber halten den Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit im Weißbuch für überbewertet: „Länder mit einem hohen sozialen Schutz werden dadurch benachteiligt.“ Die Öffnung der Verkehrsmärkte könne nicht per se ein Kriterium für den Erfolg der Verkehrspolitik sein, „wenn sich die Arbeitsbedingungen dadurch verschlechtern“. Das Weißbuch vertraue hier zu sehr auf den Markt.
Um zu einem fairen Wettbewerb zu kommen, empfehlen viele Verbände eine stärkere Harmonisierung der Sozialstandards und Arbeitsbedingungen, aber auch die Internalisierung externer Kosten oder technische Lösungen. Gleichzeitig besteht die Klage, dass die Umsetzung vieler europäischer Ziele und Vorschriften unverhältnismäßig teuer sei. Die Kommission wird aufgefordert, Kosten und Nutzen ihrer Vorschläge sorgfältiger gegeneinander abzuwägen. (tw)