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Wirtschaftswachstum 2023: Besser oder schlechter als gedacht?

22.12.2022 10:00 Uhr | Lesezeit: 6 min
Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel Stefan Kooth
Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel Stefan Kooths
© Foto: IfW Kiel

Auf welche Szenarien in der Wirtschaft sich Unternehmen in Transport, Spedition und Logistik einstellen müssen, sagt Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel Stefan Kooths im Interview mit der VerkehrsRundschau.

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Das Jahr 2023 steht vor der Tür. Besteht aus Sicht der deutschen Unternehmen Anlass zur Sorge?

Es besteht ganz eindeutig Anlass zur Sorge, allein weil die Unsicherheit groß ist und weiter groß bleibt. Niemand hat Anlass, sich zurückzulehnen, am allerwenigsten die Politik. An erster Stelle sehe ich da die nach wie vor ungeklärte Energiesituation. So hat es die Regierungskoalition bislang nicht geschafft, eine neue energiepolitische Strategie zu formulieren. Dazu gehört vor allem die noch immer offene Frage der längerfristigen Verträge von LNG-Importen. Zudem gibt es in der Stromversorgung große Fragezeichen. Wir dürfen uns auch nicht in falscher Sicherheit wiegen, weil die Gaspreise seit den Rekordständen im August deutlich nachgegeben haben. Sie sind im Vorkrisenvergleich immer noch sehr hoch.

Was heißt das für die Konjunktur in 2023?

Wir erwarten für die Konjunktur in 2023 keinen drastischen Einbruch, vielmehr eine Entwicklung im Kriechgang. Das bedeutet aber leider, dass wir auf dem derzeit schwachen ökonomischen Aktivitäts-Niveaus noch eine Weile verharren werden. Auch leichte Rückgänge sind noch möglich. Also keine starken Einbrüche, aber auch nicht die Erholung, die wir sonst ohne die Energiekrise gesehen hätten.

Dem Ifo-Institut zufolge ist das Bundesinlandsprodukt (BIP) in Deutschland in 2022 um 1,8 Prozent gestiegen und dürfte in 2023 um 0,3 Prozent sinken. Wie wird sich dem IfW zufolge das BIP in 2023 entwickeln?

Wir unterscheiden uns hier eher in Nuancen, sehen die Wirtschaft aber in leicht besserem Fahrwasser. Für das Jahr 2022 sehen wir einen BIP-Anstieg um 1,9 Prozent und für 2023 eine hauchdünne Zunahme um 0,3 Prozent. Angesichts der hohen Unsicherheit ist das aber kein grundsätzlich anderes Konjunkturbild.

Im November 2022 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 10,0 Prozent. Ist damit der Höhepunkt schon erreicht, oder steigt die Inflation in 2023 weiter an?

Wir rechnen damit, dass der Scheitelpunkt zum Jahreswechsel 2022/2023 erreicht wurde. Das ist aber nicht als Entwarnung zu verstehen. Vielmehr wird uns eine Inflationsrate, die deutlich über den Zielwerten der Notenbanken liegt, noch über das Jahr 2023 hinaus begleiten. Denn es sind noch längst nicht alle preistreibenden Effekte bei allen Endverbrauchern angekommen. Und die geringere Inflation – wir erwarten für das laufende Jahr 5,4 Prozent nach 8,0 Prozent für 2022 – wird durch massive Energiesubventionen und damit hohe Staatsdefizite erkauft. Zudem ist der Preisauftrieb auch keine reine Energiepreisstory, auch wenn Energieträger die Dynamik stark prägen.

Höhere Energiepreise erreichen die Endverbraucher auf zwei Wegen. Zum einen bezahlen sie unmittelbar höhere Strom-, Gas- und Fernwärmetarife, über die die Energieversorger die höheren Großhandelspreise für Energie weitergeben. Dieser Prozess ist in Deutschland eher träge, und es dauert rund ein Jahr bis diese Preisweitergabe abgeschlossen ist. Zum andern kommen die Energiepreis-Effekte bei den Endverbrauchern über höhere sonstige Produktpreise an, weil die Unternehmen höhere Energiekosten in der Produktion entsprechend überwälzen. Auch das wird uns in 2023 noch begleiten. Alles das gilt unter der Prämisse, dass das Vertrauen der ökonomischen Akteure in die Notenbanken und damit in die Preisstabilität nicht verloren geht.

Und bei welcher Inflationsrate werden wir in 2023 im Worst-Case-Szenario landen?

Fakt ist, dass wir in weiten Teilen der Welt – auch im Euroraum –  in diese Phase mit sehr hohen Staatschulden-Ständen gehen. Die Frage ist, ob sich die EZB nicht längst in eine Zwickmühle hineinmanövriert hat. Denn Preisstabilität erfordert höhere Zinsen. Damit steigen aber die Risiken für die Finanz- und Fiskalstabilität. Wenn dies am Ende dazu führt, dass die Zinsen zu schwach angehoben werden, dann könnten sich schlimmstenfalls die Inflations-Erwartungen entankern. Dann wäre eine hohe Inflationsrate nicht nur eine Phase, sondern wir würden allmählich in ein Weichwährungsregime driften. Das ist nicht unsere Prognose als IfW Kiel, sondern das ist Teil des Risikos, in dem wir uns bewegen.

Einige Wirtschafts-Experten befürchten mittlerweile, dass die Inflationsrate sogar bis 2025 in Deutschland hoch bleiben dürfte. Was sagen Sie?

Das hängt – wie gesagt – davon ab, wie sich die Geldpolitik aufstellt. Auf externe Faktoren kann sich die Zentralbank dann jedenfalls nicht berufen. Auch nicht auf die Tarifparteien. Wenn diese nicht mehr auf die Preisstabilität vertrauen, werden sie entsprechend höhere Löhne vereinbaren, um Reallohnpositionen abzusichern. Das sieht dann aus wie eine Lohn-Preis-Spirale, ist aber keine. Die Arbeitsmarktakteure passen sich dann lediglich an neue monetäre Rahmenbedingungen an.

Was sind aus Ihrer Sicht überhaupt die größten Abwärts-Risiken in Deutschland?

Wir sind, was die Energieversorgung betrifft, noch nicht durch. Es sieht zwar so aus, dass wir in diesem Winter an einer Gasmangel-Lage vorbeikommen. Aber im nächsten Winter stellt sich die Frage erneut. Und dann geht es erneut darum, wie kalt es wird. Das haben wir nicht in der Hand. Bei einem kalten Winter droht 2023/2024 leider weiterhin eine Gasmangel-Lage, und wir können derzeit nicht erkennen, wie das durch andere Energieträger kompensieren werden könnte. Das ist das mit Abstand größte Risiko.

Und natürlich weiß keiner, wie sich die Situation in den Kriegsgebieten weiter entwickelt. Auch da gibt es Auf- und Abwärts-Risiken. Sollte es zu einer Befriedung kommen, wäre das natürlich sehr, sehr günstig für die ökonomische Entwicklung. Es kann aber auch sein, dass der Ukraine-Krieg weiter eskaliert und wir mit weiteren Erschütterungen auf das Unternehmens-Vertrauen konfrontiert sind. Das sind wichtige Risiken. Schwelend kommt die Staatsschulden-Krise im Euro-Raum hinzu.

Welche Euro-Länder haben Sie da vor allem im Blick?

Griechenland ist von den Kapitalmärkten weitgehend abgeschirmt durch die EU-Hilfsfonds-Programme. Sorge macht vor allem Italien, hinzu kommen Spanien, aber auch Frankreich ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Bislang ist das alles noch ruhig, aber nur, weil man wohl davon ausgeht, dass die Notenbank im Zweifel höhere Risikoprämien aus dem Markt herauskauft, wozu sie allerdings kein Mandat hat. Und deshalb bleibt die Frage der Stabilität im Euro-Raum weiterhin ein Risikofaktor.

Mit anderen Worten: der Privatkonsum, der der deutschen Wirtschaft in 2022 noch geholfen hat, wird in 2023 und den Folgejahren dann eher schwach bleiben.

Das wird vor allem daran liegen, dass wir hierzulande durch die Energiekrise einen erheblichen Einkommens-Abfluss werden hinnehmen müssen. Dagegen kann die Notenbank auch nichts tun. Die Bau-Branche wird hingegen die Notenbank-Politik unmittelbar spüren. Die Bau-Branche reagiert ja bereits sehr empfindlich. Interessanterweise stützt da aber der Arbeitskräftemangel die Lage – wie im Übrigen auch in anderen Branchen.

Das müssen Sie uns näher erklären: inwiefern hilft da der Arbeitskräftemangel?

Wenn Arbeitskräfte fehlen, können bestehende Aufträge langsamer abgearbeitet werden – insbesondere in der Industrie. Und dies trägt letztlich dazu bei, dass der Abwärtstrend in der Wirtschaft verlangsamt wird. Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt in 2023 weitgehend stabil bleiben wird – eben weil Arbeitskräfte fehlen. Sprich: von der Beschäftigungsseite werden die Einkommen und damit auch der Privatkonsum gestützt.

Was bedeutet das alles Unternehmen in Transport, Spedition und Logistik? Wie wird sich deren Auftragslage in 2023 entwickeln, und welche Branchen werden dies treiben oder auch einbremsen?

Die Weltwirtschaft ist nicht im Krisenmodus, aber insgesamt schwach unterwegs. Der Außenhandel wird nur moderat aufwärtsgerichtet sein. Gegenwind wird es hingegen durch den Privatkonsum geben, weil die Endverbraucher aus genannten Gründen verstärkt den Rotstift ansetzen werden – und zwar nicht notwendigerweise nur bei den Gütern von energieintensiven Branchen. Außerdem werden gasintensive Industrieunternehmen, die bereits in 2022 unter der Gaskrise gelitten haben, in 2023 eine ähnlich schwierige Situation wie im Jahr 2022 haben. Wir haben da ja sehr deutliche Rückgänge in der Produktion gesehen.


"Konjunktur im Kriechgang - das trifft es für das Jahr 2023 am besten"

Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel Stefan Stefan Kooths auf die Frage, wie die Überschrift für das Jahr 2023 aus Sicht der deutschen Wirtschaft lauten würde


Und wie sieht es in 2024 aus? Befindet sich die Wirtschaft dann weiterhin im Kriechgang, steht sie dann ganz still, oder schießt sie dann nach oben?

Sehr gute Frage, die sich aber nur bedingt beantworten lässt. Wenn wir sehen, dass die Wirtschaftspolitik wichtige Weichenstellungen, die jetzt anstehen, richtig getroffen hat, dann sehe ich Chancen, dass wir uns wirtschaftlich wieder kräftiger aufwärts entwickeln. Dafür aber muss diese Unsicherheit über wichtige Standort-Fragen geklärt werden. Und dazu gehört vor allem der Energiebereich, wie ich ja eingangs schon betont habe. Viele warten mit ihren Investitionen im Moment einfach ab – wir sprechen da von Attentismus. Schlichtweg weil die Unternehmen und die Endverbraucher nicht wissen, wie es jetzt weiter geht. Wir müssen jetzt also dafür sorgen, dass aus diesem Investitions-Attentismus keine Investitions-Sklerose wird. Das würde passieren, wenn man diese Unsicherheit einfach so weiter laufen lassen würde. Und dann würden einige Branchen im Zweifel aus Deutschland abwandern.

Die Wirtschaftspolitik hat aber ja auch Möglichkeiten darauf zu reagieren. Und wenn sie das zweckmäßig tut, sehe ich für die deutsche Wirtschaft auch wieder mehr Expansionspotenzial. Mittelfristig werden aber die Wachstumskräfte der deutschen Wirtschaft deutlich schwinden – diese pessimistische Botschaft kann ich leider keinem ersparen. Das hat demographische Gründe, das hängt auch mit der Dekarbonisierung zusammen. Die Frage ist nur, ob wir aus dieser angelegten Wachstumsschwäche, die uns noch mindestens zehn, 15 Jahre begleiten wird, das Beste machen. Das haben wir aber selbst in der Hand.

Welche Hausaufgaben schreiben Sie Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und seinen Nachfolgern also ins Buch?

Die Blockade-Politik im Bereich der Nuklear-Energie muss überwunden werden. Das löst nicht alle Probleme, ist aber ein wichtiger Baustein einer Lösung. Immerhin geht es ja insgesamt um sechs betriebsfähige Kraftwerke. Im Ausland erntet die deutsche Energiepolitik ohnehin nur noch Kopfschütteln – mit den genannten Folgen für die Wirtschaft. Und wenn wir unsere CO2-Reduktionsziele erreichen wollen, wird man um diesen Energieträger nicht herumkommen. Über diesen Schatten muss ein Wirtschaftsminister springen, wenn er zusätzlichen Schaden vom Standort abhalten will. Außerdem benötigen wir Rahmenbedingen, damit langfristige Verträge mit LNG-Lieferanten geschlossen werden können – etwa ein Zoll auf russisches Pipelinegas. Generell muss Technologieoffenheit wieder eine klare Leitlinie der Wirtschaftspolitik werden. Last but not least braucht es Deregulierung und eine Verkürzung der Genehmigungsverfahren – nicht nur für ausgewählte Investitionsprojekte für erneuerbarer Energie, sondern grundsätzlich. Wir müssen uns da von viel bürokratischem Ballast verabschieden, der uns nicht hilft, der uns nur alles verteuert. So würde ich mir aus Deutschland heraus eine Initiative wünschen, um die EU-Taxonomie zu stoppen. Diese kann man aus meiner Sicht ersatzlos streichen.

Warum?

Die EU-Taxonomie ist ein überflüssiges Bürokratie-Monster. Die Ziele, die man damit verfolgt, wird man so auch gar nicht erreichen – dafür gibt es ohnehin bessere Instrumente. Mit neuen Dokumentationspflichten füttert man letztlich nur die Beraterindustrie, schwächt aber den produktiven Kern der Unternehmen. Und das ist das Letzte, was wir jetzt brauchen. Ähnlich gilt für die Lieferkettengesetzgebung – auch das ist unnötiger bürokratischer Ballast, der im Zweifel sogar kontraproduktiv wirken kann in dem Sinne, dass sie die Situation der Menschen, denen man damit helfen will, verschlechtert. Dann nämlich, wenn sich die deutsche bzw. europäische Industrie aus Ländern der Dritten Welt zurückzieht.

Stattdessen müssen wir alles dafür tun, um die Wachstumskräfte der deutschen Wirtschaft zu stützen, indem wir die Arbeitsproduktivität in Deutschland stärken. Das sind natürlich alles EU-Fragen, die Deutschland nicht alleine bestimmen kann, aber Deutschland ist ein gewichtiger Player – auch auf EU-Ebene. Über ein höheres Renteneintrittsalter und den Stopp der Frühverrentungsprogramme können wir aber national entscheiden. Und das sollten wir schleunigst tun. Immerhin scheint ja zumindest die überfällige Debatte dazu allmählich Fahrt aufzunehmen.

 

Das Interview führte Eva Hassa, Redakteurin der VerkehrsRundschau

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