Neues Miteinander

Wachstumskiller oder Wachstumsbringer? Noch ist für viele nicht klar, was die vielen Start-ups, die in den vergangenen Jahren in die Transport- und Logistikbranche gedrängt sind, für die klassischen Anbieter bedeuten: Bedrohen sie tatsächlich deren Geschäftsmodelle, oder helfen sie durch ihre Innovationen den Betrieben, sich für die Zukunft zu rüsten? Austester und Antreiber Eine erste Antwort dazu wagt Martin Schwemmer, Leiter Gruppe Market Intelligence des Fraunhofer SCS in Nürnberg (siehe Kasten Seite 30). Er hat den Markt der "neuen Logistik" untersucht; seine Erkenntnisse liegen nun in einem "White Paper" vor. "Die Logistik-Start-ups sind eine Art verlängerte Werkbank für die Logistikbranche", resümiert er. "Sie testen Innovationen, neue Geschäftsideen, Technologien und Konzepte in der Logistik auf ihre Machbarkeit aus." Damit unterstützen sie die etablierten Firmen, die dem Thema Innovation eher zögerlich begegnen. "Dass die Start-ups die Machbarkeit ihrer Geschäftsideen im echten Anwendungsfall auf eigene Kasse belegen oder widerlegen, macht sie aus Sicht der Logistikindustrie so wertvoll", sagt der Logistikexperte. "Die neuen Player sind so deutlich näher am Marktgeschehen als Forschung, theoretische Machbarkeits- und Potenzialstudien oder Pilotprojekte." Alles in allem identifizierte das Fraunhofer SCS durch die Marktbeobachtungen im Zuge der Top-100-Studien rund 300 Startups mit Logistikbezug im Recherchezeitraum 2008 bis 2018. Davon sind 243 im deutschsprachigen Raum ansässig oder tätig; 233 davon wurden nach dem Jahr 2008 gegründet; vorrangig in Ballungsräumen und Großstädten wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt und Stuttgart. Interessant: 2018 nahm die Zahl der Neugründungen rapide ab, und 2019 wurde noch gar kein neues Start-up erfasst. Ist die Luft also schon raus, oder geht der Hype erst richtig los? Schwemmer ist sich sicher: Die verhaltene Entwicklung 2018 und 2019 sei eher dem Zeitverzug geschuldet. Sprich: Es vergeht stets Zeit zwischen Gründung einer Firma und bis diese im Markt identifizier- und recherchierbar ist. Er erwartet daher, "dass die Zahl der Neugründungen stetig weiter wachsen wird". Interessant ist auch, in welchen Segmenten der Transport- und Logistikbranche die "jungen Wilden" das größte Geschäftspotenzial sehen. Die Marktgröße des Bereichs E-Commerce/KEP/Last Mile wird laut dem Fraunhofer SCS zwar "nur" mit 19,5 Milliarden Euro Umsatz beziffert. Zum Vergleich: Die Marktgröße im Bereich des Landverkehrs liegt bei einem Umsatz von 71,5 Milliarden Euro in Deutschland. Trotzdem tummeln sich im Segment E-Commerce/KEP/Last Mile rund 90 Start-ups - mit einem großen Pool an innovativen Lösungen für endkundennahe Themen im Bereich der letzten Meile, die sich trotz der Vielfalt fallweise überlappen. Mit der Folge, dass der Wettbewerb unter den jungen Firmen laut Schwemmer hier sehr hoch ist. Stark umworben von Start-ups sind auch die Segmente Landverkehr, die internationale Frachtvermittlung und die Kontraktlogistik, insbesondere die endkundennahe Konsumgüterdistribution. Das Fraunhofer SCS identifiziert 49 Start-ups im Landverkehr (siehe Tabelle Seite 29), die vor allem in der Digitalisierung des Speditionswesens tätig sind. So finden sich ähnliche Ansätze bei Flexport, Sennder, InstaFreight und Cargonexx, die meist ohne eigene Assets agieren. Zusätzlich gründen sich Matchingplattformen für Ladungen sowie Start-ups wie Synfioo und Shippeo, die im Landverkehr ETA-Transparenz versprechen. "Die größte Herausforderung für digitale Speditionen und Plattformgeschäftsmodelle ist die Problematik für die Marktplätze, die sowohl Frachtführer und verladende Unternehmen als Auftraggeber gewinnen müssen", formuliert es Schwemmer. Eine weitere Herausforderung sei, dass sich die Geschäftsmodelle oft ähneln. Die Kontraktlogistik und Intralogistik - hier hat die Studie 67 Start-ups identifiziert - ist vielfältiger. Es finden sich Start-ups, die Einzelhändler für den E-Commerce rüsten wollen. Ein weiterer Fokus ist die Unterstützung von Lagerprozessen mit Technologien wie Inventurdrohnen (Doks.innovation), Picking- und Kommissionierhilfen (Nxtbase Technologies, Picavi, Priotic, Proglove, Ubimax), moderner Fördertechnik und Robotik (Wandelbots, Celluveyor). Dazu kommen Datenauswertungslösungen wie Motionminers, Naise und Blickfeld zur Optimierung von Prozessen oder zur Prozesssteuerung. Die Start-ups in der Intralogistik bieten meist ein Produkt im Bereich Sensorik, Drohne, Roboter oder Fördersystem. Die Krux ist hier: Während sich Anwender in der Serienreife meist günstigere Einkaufspreise erhoffen und erst mal abwarten, suchen die Start-ups Pilotkunden, die ihre neuen Technologien testen. Erstaunlich wenige Start-ups gründen sich laut der Studie in den Segmenten Massengut (Bulk) oder dem Bereich der Standortlogistik (Umschlagterminals, Kombinierter Verkehr, See-, Binnen-, Flughäfen). "Diese Bereiche sind stark auf B2B-Geschäftsbeziehungen ausgerichtet und scheinen daher deutlich weniger zugänglich für Innovationen von außen", erklärt Logistikexperte Schwemmer. Logistik bietet noch viele Potenziale Fazit: Im Thema Logistik-Start-ups liegt noch viel Potenzial. Auch weil die jungen Gründer technologieseitig sattelfest sind - Stichworte sind Cloud, Mobile Computing, Künstliche Intelligenz und Big Data. Sie werden zunehmend in Leistungsversprechen der Start-ups integriert. Sensoren und Robotik sind zudem Themen in Logistiklagern. Dazu kommen Internet der Dinge und Blockchain, die mittelfristig wohl zunehmen. "Die Vielschichtigkeit und die Potenziale für einen Technologieeinsatz in der Logistik bedingen es, dass weiter Potenziale für die Auseinandersetzung von Start-ups mit diesem Markt bestehen", betont Schwemmer. "Und für Start-ups gibt es in diesem Markt noch genügend Potenziale." So gebe es in der Güterverkehrs- und Logistikbranche noch offene Flanken wie den CO2-Ausstoß und die mangelnde Transparenz von Versorgungsketten. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Start-ups www.verkehrsrundschau.de/dossiers In Kürze Gerade in der Transport- und Logistikbranche haben sich in den vergangenen Jahren etliche Logistik-Start-ups gegründet, die den Markt mit ihren Innovationen revolutionieren wollen. Das Fraunhofer SCS hat nun erstmals diese neuen Player mengenmäßig identifiziert sowie ihre Geschäftsmodelle und Technologien genauer unter die Lupe genommen. 233 Start-ups mit Logistikbezug gründeten sich im deutschsprachigen Raum seit 2008 - zu diesem Ergebnis kommt aktuell das Fraunhofer SCS.

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