Frankfurt/Main. Es ist die Lizenz für lange Streiks. Mit mehr als 90 Prozent Rückhalt aus einer Urabstimmung will GDL-Chef Claus Weselsky jetzt in einen offenen Tarifkampf gegen die Deutsche Bahn und Co. ziehen. "Wenn die Arbeitgeber die Auseinandersetzung weiterhin suchen, so werden wir sie nicht enttäuschen", lautete die offensive Ansage aus der Gewerkschaftszentrale in Frankfurt. Nach drei Warnstreikwellen sollen noch in dieser Woche erneut Züge stillstehen - vor allem im Güterverkehr.
"Die Situation ist ernst", rief Weselsky am Rosenmontag in Frankfurt den Arbeitgebern zu und forderte wiederholt "verhandelbare Angebote". Wann Streiks beginnen, blieb aber vorerst ebenso unklar wie deren Dauer. Aber es könnte ein zäher Kampf werden, denn die Lage ist verzwickt: Bei der Deutschen Bahn (DB) und sechs großen Konkurrenten kämpft er um gleiche Löhne auf dem hohem Niveau des Marktführers - und mit der rivalisierenden Gewerkschaft EVG um Einfluss.
Schon 2007/2008 hatte sich die kleine Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) in einem erbitterern Ringen eine eigene Verhandlungsmacht beim bundeseigenen Konzern erkämpft - damals noch in Abgrenzung zu den Gewerkschaften Transnet und GDBA, die inzwischen zur Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) fusionierten. Nun geht es der GDL um eine unangefochtene Tarifposition bei den sechs Bahnen Abellio, Arriva, Benex, Keolis, Veolia und Hessische Landesbahn und damit die Frage: Wer handelt die Tarife für die 26.000 Lokführer aus?
Mit möglichst vielen stehenden Zügen Druck aufbauen
Diesmal sind es die Bahn-Konkurrenten, die in einem Rahmentarifvertrag ihr Lohniveau erhöhen sollen - trotzdem dürften wieder auch DB-Loks bestreikt werden. Der GDL-Chef braucht möglichst viele stehende Züge, um öffentlichen Druck aufzubauen und die "Kleinen" so zum Einlenken zu zwingen. Die zahlen ihren Lokführern bis zu 30 Prozent weniger als der Marktführer.
Die Deutsche Bahn sieht sich in Geiselhaft genommen und wettert, der Streik richte sich gegen den Falschen. Auch ein Arbeitskampf mit einem Schwerpunkt im Güterverkehr träfe zu allererst die DB - die sechs Konkurrenten sind vor allem im Regionalverkehr aktiv.
Eine Einigung scheint aber weit entfernt. Auch, weil die sechs Anbieter nach der "Verweigerungsstrategie" der GDL nicht mehr als Gemeinschaft mit der Gewerkschaft verhandeln wollen. Zwar gibt sich Weselsky davon unbeeindruckt ("Das haben wir vorhergesehen"), aber die neue Situation kann ihm nicht schmecken. Denn verhandeln muss er nun theoretisch mit mehr als 25 kleinen Gesellschaften, und das kann ungleich haariger werden - und vor allem länger dauern.
Umso wichtiger muss es ihm sein, die öffentliche Meinung nicht gegen sich aufzubringen. Denn die könnte angesichts der komplexen Problematik schneller kippen als sonst. Deshalb will die GDL den Personenverkehr soweit wie möglich schonen und die Fahrgäste zwölf Stunden vor einem Ausstand informieren.
Auch die EVG verschäft den Ton
Die größere Gewerkschaft EVG verschärft ebenfalls den Ton. Der GDL gehe es gar nicht um den Tarifkonflikt, schimpfte der Vorsitzende Alexander Kirchner. Ziel sei wohl nur, mehr Mitglieder als die EVG zu bekommen. Es drohe eine "Entsolidarisierung der Gesellschaft", wenn jede Berufsgruppe ein immer größeres Stück vom Kuchen abschneide.
"Es ist mir egal, was die EVG dazu sagt", polterte Weselsky. Im Januar hatte die EVG mit dem SPD-Politiker Peter Struck als Schlichter erstmals einen Branchentarifvertrag für den regionalen Schienenverkehr in Deutschland erzielt. Weselsky und die GDL waren an den Verhandlungen gar nicht beteiligt, lassen nun aber kein gutes Haar an dem Ergebnis - und wollen keinen Schlichter namens Struck.
Stattdessen will der oberste Lokführer ein für allemal klären, wer Chef im Führerhäuschen ist - GDL oder EVG: "Wir haben das 2007 innerhalb der Deutschen Bahn klargezogen", sagt Weselsky. "Und ich finde es bedauerlich, dass wir nochmals klarziehen müssen, dass wir im Eisenbahnverkehrsmarkt die Lokführer tarifieren und nicht irgendjemand anders." (dpa)