Ein Land, zwei Fürsten - und Lenin

Die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland wirken. Nicht nur in Russland. Die Strafmaßnahmen treffen auch Speditionen und Logistikunternehmen, die Geschäfte mit der russischen Nachbarrepublik Weißrussland (Belarus) machen. Die Transporte nach oder durch Weißrussland seien nahezu zum Erliegen gekommen, berichten mehrere Unternehmen. Dabei hat das Land für Logistiker viel Potenzial. Seine Lage ist für den Warentransport nach Osten perfekt. Wer von Polen aus auf gerader Linie fährt, spart sich den Umweg über Litauen und Lettland oder über die im Moment ohnehin sehr instabile, in einigen Regionen sogar gefährliche Ukraine. Hinzu kommt, dass die Weißrussen traditionell gut ausgebildet sind, insbesondere in den technischen Berufen. Das macht das Land als Produktionsstandort für deutsche Unternehmen interessant. "Trotz schwieriger wirtschaftlicher und administrativer Rahmenbedingungen sind derzeit etwa 350 deutsche Unternehmen in Belarus aktiv, davon rund 100 mit Repräsentanzen", lässt das Auswärtige Amt wissen. Der gemeinsame Binnenmarkt mit Russland und Kasachstan erleichtert zudem Zollabfertigungen und eröffnet ein Potenzial von 180 Millionen Verbrauchern. Deutschland an dritter Stelle Davon profitiert vor allem Russland. Mehr als die Hälfte des Warenhandels fand vor den Sanktionen zwischen Belarus und Russland statt. Die Ukraine, traditionell der zweitwichtigste Handelspartner der Weißrussen, dürfte dagegen deutlich an Bedeutung verloren haben. An dritter Stelle folgte bislang Deutschland mit einem Anteil von sechs Prozent des gesamten belarussischen Außenhandels. Mit 880 Millionen Euro ging der Hauptteil der Waren und Dienstleistungen im ersten Halbjahr 2014 von Deutschland nach Weißrussland. Die Exporte nach Deutschland hatten ein Volumen von etwa 660 Millionen Euro. Dabei exportieren weißrussische Firmen vor allem Mineralölprodukte für die chemischen und damit verbundene Industrien nach Deutschland. In einem geringeren Ausmaß auch Holz und Holzerzeugnisse. Aus Deutschland importiert werden im Wesentlichen Maschinen und Anlagen, Lastwagen sowie chemische Produkte und Kunststoffe. Mehr als ein Transitland Dieter Müller, Leiter der Osteuropaverkehre bei der Kölner Spedition Emons, glaubt dennoch an eine Erholung. Insbesondere, weil Belarus mehr sei als nur das Transitland nach Russland. Auch im Land gebe es Chancen für Dienstleister. Seit elf Jahren unterhält Emons in Minsk einen eigenen Ableger mit 30 Mitarbeitern, die sich um die zunehmenden inländischen Verkehre kümmern. Ein Geschäft, das für ihn durchaus Potenzial hat. Doch es gibt eine Kehrseite: Das Land hat sich bis heute nicht von seiner sowjetischen Herkunft befreit. Es gibt Leninstraßen, -plätze und Denkmäler, staatliche Überwachung und Unterdrückung, kontrollierte Preise. Der autokratisch regierende Präsident Alexander Lukaschenko gilt als der letzte Diktator Europas. Seine letzte Wahl war von Manipulationen und staatlicher Gewalt gegen Opposition und Demonstranten gekennzeichnet. Zudem ist Weißrussland das letzte europäische Land, in dem die Todesstrafe sowohl verhängt als auch vollzogen wird. Das Auswärtige Amt drückt es diplomatischer aus: "Ausländische Staatsangehörige unterliegen der besonderen Aufmerksamkeit staatlicher Organe". Auch sonst sei Belarus "ein System mit eigenen Wertvorstellungen sowie Bestimmungen, die oft erheblich von westlichen Vorstellungen abweichen". Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit im westlichen Sinne sind in der weißrussischen Republik praktisch nicht vorhanden. Denis Rayzman, Inhaber der Kölner Spedition EuroGUS und gebürtiger Russe, sieht die politische Lage nicht ganz so dramatisch. Viele Weißrussen seien mit dem System zufrieden. Hat doch Lukaschenko einige Gepflogenheiten und Gegebenheiten aus der Sowjetzeit beibehalten. Etwa die Preiskontrollen für viele Produkte oder das kostenlose Gesundheitswesen. Auch Emons-Manager Müller sieht die politischen und rechtlichen Gegebenheiten gelassen. Lukaschenko habe dem Land eine Stabilität und den Menschen einen gewissen Wohlstand gebracht. Selbst die Korruption ist im Vergleich zu anderen postsowjetischen Staaten vergleichsweise gering, wenngleich das Land bei Transparency International auf Rang 119 von 175 untersuchten Staaten rangiert. Damit liegt es allerdings noch deutlich vor Russland, der Ukraine oder Kasachstan, Usbekistan, und Turkmenistan. Währungsverfall und wenig Transporte Die EU-Sanktionen könnten nun die wirtschaftlichen Erfolge Lukaschenkos zunichtemachen. Die Inflation beträgt über 17 Prozent, die Wirtschaft wächst kaum noch. Der Verfall der Währung ist ein weiterer Grund für das geringe Transportaufkommen zwischen Deutschland und Weißrussland. Viele Verbraucher und Unternehmen können sich den Einkauf im Westen schlicht nicht mehr leisten. Harte Währungen sind in dem Land eher Mangelware. Einige Wirtschaftsfachleute sehen bereits die Gefahr eines Staatsbankrotts. Das größte Damoklesschwert über Belarus heißt aber Putin. Der russische Staatschef betrachtet das Land als Teil seiner Einflusssphäre. Beide Länder sind über die Russisch-Weißrussische Union verbunden; ein lockerer Staatenbund mit der Option, dass sich Belarus in die Russische Föderation eingliedern kann. Allerdings pocht Lukaschenko derzeit mehr denn je auf die Unabhängigkeit seines Landes und damit auf seinen alleinigen Machtanspruch. Lukaschenko hat Angst, dass Putin die weißrussische Republik an das neue russische Imperium anschließen könnte. Gleichzeitig ist sein Land wirtschaftlich wie politisch vom großen Bruder abhängig. Russland ist größter Geldgeber des Landes und längst herrscht der russische Konzern Gasprom über die weißrussischen Pipelines. Lukaschenko pocht auf Unabhängigkeit Die Sanktionen haben den ohnehin lahmenden Verkehr noch schwieriger gemacht. Die Außenhandelskammer stellt derzeit erhebliche Behinderungen im Grenzverkehr zwischen Russland und den angrenzenden Staaten fest. Die russischen Behörden würden in jüngster Zeit Güter, die aus Weißrussland und Litauen eingeführt werden, stärker kontrollieren. Zwischen vier und zehn Stunden können die Wartezeiten an der Grenze dauern, bestätigt Rayzman. Seit August 2014 dürfen vor allem Nahrungsmittel aus EU- und anderen westlichen Ländern nicht mehr eingeführt werden. Weißrussische Firmen versuchen das Verbot zu umgehen, indem sie etwa Obst und Gemüse in Westeuropa einkaufen, als heimische Waren umdeklarieren und dann nach Russland einführen. Diesen Praktiken will Russland, aber auch die belarussische Regierung, einen Riegel vorschieben. Lukaschenko will sich nicht den Zorn Putins zuziehen. Transportkorridore nicht ausgelastet Vor den Sanktionen wurden jährlich über 100 Millionen Tonnen europäische Güter durch Weißrussland befördert. Rund 90 Prozent davon betreffen den Handel zwischen der EU und Russland. Die weißrussische Nationale Agentur für Investitionen und Privatisierung sieht noch viel Potenzial für weitere Verkehre. Die belarussischen Transportkorridore seien nur zu 25 bis maximal 40 Prozent der tatsächlichen Kapazität ausgelastet. Auch bei den Anlagen gibt es noch Luft nach oben. Insgesamt gibt es in Belarus 22 funktionierende Logistikzentren mit über 735.000 Quadratmetern Lagerfläche. Der Schienenverkehr spielt in Weißrussland, wie in den meisten osteuropäischen Flächenstaaten, eine dominierende Rolle. Der Anteil am Modal Split liegt bei über 70 Prozent. Doch die Straße holt seit Jahren beständig Marktanteile. Der Staat steckt viel Geld in die Modernisierung des ohnehin recht gut ausgebauten Straßennetzes. Schwierigkeiten mit On-Board-Units Zwei transeuropäische Transportkorridore verlaufen quer durch Belarus. So verbindet etwa die West-Ost-Route Berlin über Warschau und Minsk mit Moskau. Von Norden nach Süden reicht die Route von der finnischen Grenze bis nach Griechenland. Eine der Hauptrouten ist die Fernstraße M1. Laut der Standortagentur Germany Trade and Invest passierten auf der Strecke vor den Sanktionen bis zu 3000 Lkw täglich den Grenzübergang Krasnaja Gorka. Einige Logistiker glauben an ein Wiedererstarken des Landes. So will etwa Rhenus sein Logistiklager an der Grenze zwischen Russland und Belarus ausbauen. Perspektivisch sollen 3000 Lkw im Monat umgeschlagen werden. Fahrer mit ausländischen - insbesondere europäischen - Kennzeichen haben es im Land deutlich schwerer. Viele grenznahe und an den Autobahnen gelegene Tankstellen akzeptieren nur Devisen, vorzugsweise Euro und US-Dollar. Zudem kommt es immer wieder zu Schwierigkeiten mit den On-Board-Units, die für die Mauterfassung benötigt werden, warnt das Auswärtige Amt. So sei es in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, dass die OBUs nicht einwandfrei funktionierten und dann trotz des vorhandenen Geräts hohe Strafzahlungen fällig wurden. Ohnehin sei nicht immer klar erkennbar, auf welchen Straßen die Maut verlangt wird und auf welchen nicht. Augen auf bei der Partnerwahl Viele Transporteure und Logistiker arbeiten daher lieber mit einheimischen Partnern zusammen. Auch Rayzman setzt auf örtliche Unternehmen, allerdings auch auf langjährige Erfahrungen und regelmäßige Kontrollen. Giesela Schobert, Geschäftsführerin der Spedition Lehnert & Co in Hof, hat dagegen nicht immer gute Erfahrungen mit weißrussischen Spediteuren gemacht. Einige Unternehmen würden einfach nach kurzer Zeit pleitegehen oder verfügten nicht über einen ausreichenden Versicherungsschutz. Sie arbeitet daher lieber mit russischen oder ukrainischen Partnern zusammen. Die Serie Länder mit Potenzial Wenn es um Staaten geht, die als Wachstumsmärkte gelten, werden oft Länder wie China, Rumänien oder Bulgarien genannt. Unsere Serie lässt den Blick über den Rand der EU schweifen und stellt eher unbekannte Länder vor. Wir gehen auf deren Stärken, Schwächen und Besonderheiten ein und geben Hinweise, worauf zu achten ist, wenn man hier Fuß fassen will. Nach Marokko (VR 43/2014), Kasachstan (VR 47/2014), Russland (VR 4/2015), Tunesien (VR 8/2015) folgt Saudi-Arabien (VR 19/2015). cd Republik Belarus Länderportrait* - Fläche: 207.600 Quadratkilometer (Deutschland: 357.168)- Wachstum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2013/2014/2015 in Prozent: 0,9/0,9/1,5- BIP/Kopf in US-Dollar (2013): 7130 (44.999)- Einwohner in Millionen: 9,47 (80,8)- Arbeitslosenquote 2013 in %: 0,5 (6,9)- Bruttostaatsverschuldg. in % des BIP: 53,9- Hauptstadt: Minsk- Religion: überwiegend russisch-orthodox, circa 20% römisch-katholisch- Regierungsform: Präsidialrepublik- Landesspr.: Belarussisch und Russisch- Geschäftssprache: Russisch*in Klammern: Zahl für Deutschland(Quelle: Auswärtiges Amt, IWF)

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