Berlin. Während sich die Gewerkschaften warmlaufen, um eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns von 8,50 Euro auf 9 beziehungsweise 10 Euro durchzudrücken, sind die Regeln für das Transportgewerbe weiterhin unklar. Über ein Jahr nach Inkrafttreten der Vorschrift wartet die Bundesregierung weiterhin auf eine Entscheidung der EU-Kommission über das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren. „Grund zur Bescheidenheit besteht nicht“, sagt etwa IG-Bau-Chef Robert Feiger. Der Gewerkschafter ist eines von drei gewerkschaftlichen Mitgliedern in der mit den Arbeitgebern paritätisch besetzten Kommission, die bis zum 30. Juni 2016 eine Empfehlung abgeben soll, auf welche Höhe der Mindeststundenlohn zu Jahresbeginn 2017 steigen soll. Ähnlich wie Feiger äußerte sich der Vizechef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten NGG, Burkhard Siebert.
EU-Verfahren gegen Deutschland läuft
Unterdessen beklagt die Linken-Fraktion in der Vorbemerkung zu ihrer Anfrage an die Bundesregierung zum Mindestlohn im Transportgewerbe, dass das Vertragsverletzungsverfahren wegen der Durchsetzung des Mindestlohngesetzes im grenzüberschreitenden Straßenverkehr nach wie vor nicht entschieden ist: „Die insbesondere vor dem Hintergrund der osteuropäischen Dumpinglohnkonkurrenz gebotene umfängliche Durchsetzung des ab dem 1. Januar 2015 geltenden allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde steht bis heute aus“. Die EU-Kommission hält die Anwendung der Vorschriften über den Mindestlohn auf den Transitverkehr und teilweise auf grenzüberschreitende Beförderungsleistungen nicht für gerechtfertigt. Wann das Verfahren abgeschlossen wird, ist derzeit offen.
Vor diesem Hintergrund sind nach Auskunft der Bundesregierung 2015 im Güterkraftverkehrsgewerbe 14 Geldbußen mit einer Gesamthöhe von 15.460 Euro wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) festgesetzt worden. Des Weiteren wurden wegen des Verstoßes gegen die Dokumentationspflichten 43 Ermittlungsverfahren eingeleitet und in acht Fällen Geldbußen über insgesamt 3975 Euro festgesetzt. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) prüfte im vergangenen Jahr bei 3400 Arbeitgebern und 29.898 Arbeitnehmern, ob das MiLoG eingehalten worden ist. Dies führte zu 94 Ermittlungsverfahren.
Die FKS, so heißt es in der Antwort der Regierung auf die Linken-Anfrage, führe regelmäßig Fahrzeug- und Fahrerkontrollen durch, um festzustellen, „ob die mindestlohnpflichtigen Fahrten der Interimslösung unterfallen oder ob sie der Meldepflicht unterliegen“.
Nach der Interimslösung wurde das MiLoG für ausländische Lkw-Fahrer, die auf reinen Transitfahrten durch Deutschland unterwegs sind, vor etwa einem Jahr außer Kraft gesetzt. Das betrifft auch die umstrittenen Dokumentationspflichten. Die Übergangs-Regelung sollte spätestens im Sommer vergangenen Jahres auslaufen, hatte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) damals erklärt.
Polen sieht die europäische Dienstleistungsfreiheit beschnitten und hat erreicht, dass die EU-Kommission das Prüfverfahren eingeleitet hat. Bestätigt fühlen in seinen Bedenken kann sich der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), der angesichts der unzureichenden Kontrollen den Aufbau eines Online-Meldesystems vorgeschlagen hatte.
Das Bundesarbeitsministerium lehnt derzeit eine Einordnung ab, ob die ermittelten Verstöße im Transportgewerbe gemessen an der Gesamtbilanz hoch oder niedrig sind. „Die Daten aus dem ersten Jahr sind noch von vielen Faktoren mitgeprägt, sodass hier eine fundierte Wertung erst mit größerem Nachlauf vorgenommen werden kann“, betonte Sprecher Christian Westhoff. (jök)