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Ist der Schienengütertransport wirklich umweltfreundlicher?

22.07.2010 09:57 Uhr
Ist der Schienengütertransport wirklich umweltfreundlicher?
Ulrich Ostermayer im Interview
© Foto: Deutsche Bahn

Ulrich Ostermayer von der Deutschen Bahn im Interview über den CO2-Vergleich zwischen Schienengüter- und Straßengütertransport

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Die Verband der Automobilindustrie (VDA) wirft der Deutschen Bahn vor, bei CO2-Vergleichen zwischen Bahn und LKW mit zu hohen Dieselverbräuchen zu rechnen. Antworten dazu von Ulrich Ostermayer, Leiter Strategie, Prozessoptimierung, DB Umweltzentrum der Deutschen Bahn AG. 

Herr Ostermayer, ist der Gütertransport mit der Bahn in Deutschland bezüglich der emittierten Treibhausgase immer im Vorteil gegenüber einem LKW-Transport mit einem 40-Tonner?
Nein, der Bahntransport von Gütern ist zwar meistens, aber nicht in jedem Einzelfall klimafreundlicher als der Einsatz eines LKW. Jeder Verkehrsträger hat seine Stärken - und diese sollten genutzt werden. Insofern ist es gut, dass sich der VDA für eine differenzierte Sicht der Dinge einsetzt. Dies war im Übrigen vor mehr als zehn Jahren auch der Ausgangspunkt für die Entwicklung des frei zugängigen Internet-Tools Ecotransit World. Verwendet man dieses, zeigt sich, dass die Bahn in der Mehrzahl der Fälle doch die Nase vorn hat, was den Umwelt- und Klimaschutz betritt.

Das Beratungshaus PE International hat im Auftrag des VDA in einer aktuellen Studie konkrete Aussagen dazu getätigt, wann der Gütertransport per LKW klimafreundlicher ist als der Transport per Bahn. Stimmen Sie dieser Analyse zu?
Die Studie hat einen richtigen Ansatz, weil sie die Stärken und Schwächen von LKW und Bahn in Sachen Treibhausgasemissionen herauszuarbeiten versucht. So ist beispielsweise die Bahn nicht dafür gemacht, Container einzeln von A nach B zu transportieren. Richtig! Auch ist es wissenschaftlich interessant, ab welcher Anzahl an Containern oder welcher Zuglänge der Umweltvorteil der Bahn kippt. In der Praxis spielen aber zu viele Faktoren eine Rolle wie die transportierte Gutart, die Paarigkeit der Transporte usw., als dass eine allgemeingültige Pauschalaussage möglich wäre. Und im Ausland, das bereits heute für über die Hälfte der Containertransporte eine Rolle spielt, ist die CO2-Emission bei der Stromerzeugung immer anders als in Deutschland. So kommt man je nach Land wieder zu anderen Ergebnissen. Um die Frage nach dem Klimavorteil adäquat zu beantworten, müssen sich Verlader wohl die Mühe machen, Transportrelationen individuell zu analysieren und dafür ist der von uns unterstützte Umweltrechner Ecotransit World die beste Grundlage.

PE und VDA bemängeln an Ecotransit World, dass hier mit Verbräuchen für vollbeladene 40-Tonnen-LKW (Euro V) von 39 bis 46 Litern gerechnet wird. Ist dies nicht etwas zu hoch angesetzt?
Ich weiß nicht, woher die Studienautoren diese Werte haben. In Ecotransit World werden sie jedenfalls nicht verwendet. Das Modell arbeitet mit Verbrauchswerten für einen massenmäßig zu hundert Prozent ausgelasteten 40-Tonnen-Sattelzug von 37,1 Liter Diesel je 100 Kilometer. Für den leeren Sattelzug werden 22,7 Liter verwendet.

PE und VDA rechnen mit Verbräuchen von 30 Litern Diesel je 100 Kilometer für den voll beladenden 40-Tonner ? Die LKW-Praxistests der VerkehrsRundschau-Redaktion ergeben Werte von 30 bis 34 Liter je 100 Kilometer. Sind ihre Werte zu hoch?
Wir beziehen unsere Daten aus dem Handbuch Emissionsfaktoren für den Straßenverkehr. Dieses wird im Auftrag der Umweltbehörden aus Deutschland und weiteren fünf europäischen Staaten erstellt und beruht auf Messungen, die von den führenden Messinstituten Europas wie beispielsweise der TU Graz und dem TÜV Nord seit vielen Jahren für alle Lkw-Emissionsklassen durchgeführt werden. Dies ist der in Europa von allen Seiten akzeptierte Datenstandard für Emissionen im Verkehr. Auch die EU-Kommission verwendet diese Quelle für ihre Datenmodelle. Das Handbuch Emissionsfaktoren ist auch Basis für das deutsche Rechenmodell Tremod, das unter anderem vom VDA unterstützt, finanziert und in Publikationen verwendet wird. Insofern sollte hier eigentlich ein breiter Konsens über diese Eingabedaten bestehen.

Dennoch, sind die Verbräuche im Handbuch der Emissionsfaktoren nicht zu hoch?
Ganz und gar nicht. Nach unserer Erfahrung entsprechen diese Verbräuche viel eher einer Realität, die eben auch von Staus, unplanmäßigen Fahrsituationen, von Steigungen und Gefälle sowie dem Faktor Mensch geprägt ist. Standardisierte Fahrtests und Simulationen, wie sie von ihrem Magazin durchgeführt werden oder der Studie zu Grunde liegen, berücksichtigen diese Gegebenheiten nur ungenügend und ergeben daher ein zu optimistisches Bild. Das erkennen wir übrigens auch anhand unserer eigenen Auswertungen: Mit unserem Unternehmen DB Schenker verfügen wir über eine nicht unbeträchtliche LKW-Flotte. Hier finden wir in der Praxis Verbräuche vor, die zum Beispiel in Deutschland bei rund 33 bis 35 l/100 km liegen. Einen Verbrauch von 30 Litern für einen voll beladenen LKW, wie der VDA ihn ansetzt, halten wir für die aktuellen Fahrzeuge definitiv für zu niedrig.

Das heißt, Sie werden an diesem Punkt auch keine Änderungen an Ecotransit World vornehmen, wie es der VDA wünscht.
Welchen Wert sollten wir konkret ändern? Und vor allem auf welcher Datenbasis? Wir brauchen hier schon einen transparenten Validierungsprozess und der läuft dem Stand der Technik nach über die bereits genannten anerkannten Messinstitute und das Handbuch Emissionsfaktoren. Aus unserer Sicht gibt es europaweit derzeit keine anerkanntere Datenbasis. Wir setzen bei Ecotransit World ganz bewusst auf diese unabhängige Quelle. Im Übrigen wurde das Rechenmodell Ecotransit World nicht von der Deutschen Bahn erdacht, sondern von dem Ifeu-Institut und dem Öko-Institut erarbeitet: Zwei renommierten, unabhängigen Institutionen, die mittlerweile für viele namhafte deutsche Unternehmen Klimabilanzen erstellen.

PE und VDA rechnen in ihrer Studie mit einem CO2-Aufschlag für die Herstellung der Kraftstoffe von 14 Prozent. Sie setzen 20 Prozent an. Wieso der Unterschied?
Auch hier setzen wir bei Ecotransit World wieder auf einen anerkannten europäischen Standard - in diesem Fall den Lifecycleansatz von Ecoinvent der ETH Zürich. Dieser berücksichtigt nicht nur die kumulierten Treibhausgasemissionen (CO2e) aus der Förderung, Raffination und Verteilung des Kraftstoffes sondern beispielsweise auch den Bau der Ölplattform und der Raffinerie. So ergibt sich ein Zuschlag auf die direkten THG-Emissionen durch die Dieselverbrennung von 20 Prozent. In der VDA-Studie werden die baulichen Aktivitäten nicht in den Vorkettenemissionen berücksichtigt. Diesen Unterschied sollte man aber nicht überbewerten.

Warum diese Vorgehensweise?
Für diese Vorgehensweise spricht beispielsweise, dass ansonsten die Bahn bei reiner Wasserkraftnutzung für die Bahnstromerzeugung, wie es in einigen europäischen Ländern üblich ist, eine CO2-Emission von Null aufweisen würde. Dies halten wir für nicht richtig. Wir wollen ja schließlich auch die Schiene nicht "schön" rechnen. Deshalb fließen bei uns auch die Emissionen in das Modell mit ein, die beim Bau eines Wasserkraftwerkes oder eines Windrades entstehen.

Ein weiterer Kritikpunkt sind die Zuglängen beziehungsweise Zuggewichte. Bei Ecotrans World ist ein Zugewicht von 1000 Bruttotonnen voreingestellt. Ist aber oft nicht auch ein 500-Bruttotonnen-Zug realistischer?
Der 1000-Tonnenzug entspricht dem statistischen Durchschnitt, den wir bei den beteiligten Bahnen vorfinden. Deshalb hat das Ifeu-Institut diesen repräsentativen Wert als Standardeinstellung gewählt. Natürlich muss dieser nicht in allen Fällen passen. Deshalb kann ihn jeder Nutzer ja auch verändern und an seine individuellen Gegebenheiten anpassen. Das gleiche gilt für die voreingestellten Leerfahrtenanteile und Gewichtsauslastungen.

Wie können Unternehmen in Erfahrung bringen, welche Zuglängen, Leerfahrtenanteile und Gewichtsauslastungen bei einem konkreten Bahntransport vorliegen?
Als Kunde von DB Schenker Rail können Sie bei ihrem Key Accounter hierzu Auskunft bekommen ebenso wie zur CO2-Bilanz ihrer Transporte.

Interview: Andre Kranke

Lesen Sie hier mehr über die Studie und Ecotransit.

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