Das Titelbild und die Grafik sehen dröger aus als der Inhalt, den das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vermittelt. Der wurde zwar wissenschaftlich erarbeitet, was durch zahlreiche Quellenangaben untermauert wird.Trotzdem halten sich die Autoren Steffen Kröhnert, Iris Hoßmann und Rainer Klingholz mit Tabellen zurück und listen nach einer Einführung zur Bevölkerungsentwicklung in Europa Land für Land auf. Das tun sie zwar immer unter dem demografischen Gesichtspunkt, erzählen dazu allerdings die Geschichte der einzelnen Nationen und erklären somit ihre Ergebnisse. Auf diese Art binden sie ihre Erkenntnisse in einen größeren Kontext ein und ermöglichen dem Leser einen Blick über "das große Ganze".
Spannend sind dabei die grauen Kästen, die über Besonderheiten oder Hintergründe der jeweiligen Länder berichten und ein unterhaltsames Schlaglicht auf den Gesamtzusammenhang werfen. In ähnlicher Manier sind Extratabellen eingestreut, die besondere Problematiken oder Entwicklungen der einzelnen Länder dokumentieren oder unterfüttern. Schön ist dabei auch der neutral-kritische Erzählstil, der eine gute Balance aus absolut neutralen Fakten und interessanten Hintergründen vermittelt.
Da die einzelnen Passagen nie zu lang laufen, liest man die einzelnen Abschnitte immer bis zum Ende. Und erfährt so, wo – außer natürlich in Ungarn selbst – noch überall Ungarn leben, woher die Roma kamen und wie viele von ihnen wo wohnen, wohin große Teile der osteuropäischen Bevölkerung emigriert sind, auf welchem rumänischen Flughafen Arbeitskräfte aus China eingeflogen werden, die für noch niedrigere Löhne als die Rumänen selbst ihr tägliches Brot verdienen und wie sich Belgien nach einer Spaltung aufteilen würde.
Allen Ländern gemeinsam ist eine stark sinkende Geburtenrate bei einer steigenden Migration. Beides zusammen dürfte bis 2030 - soweit reichen die Prognosen in dem 2008 fertiggestellten Werk – dafür sorgen, dass die schlechter gestellten Gebiete weiter Einwohner verlieren werden, während die reichen Gegenden sich auf einen weiteren Bevölkerungszuwachs einstellen können. Trotzdem dürfte die Gesamtbevölkerung Europas kaum schrumpfen: Dafür sorgen die Migranten aus Afrika, Asien und der ehemaligen Sowjetunion, für die Europa auf absehbare Zeit generell ein Paradies bleiben wird.
Fazit: Das Faszinierende an diesem leicht lesbaren und informativen Buch ist: Trotz diesen ganzen größeren und kleineren beschriebenen Spannungen entsteht im Laufe des Blätterns ein "Wir-Gefühl", das einen mit den anderen Europäern verbindet. Dieses Wir-Gefühl erstreckt sich am Ende bis nach Weißrussland, in die Ukraine oder nach Moldavien. Und so kann aus einem "kurzen Stöbern" schnell ein ganzer Leseabend werden. (gs)
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Die demografische Zukunft von Europa. Wie sich die Regionen verändern. dtv, München 2008, 367 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-423-34509-5