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Blick hinter die Kulissen: Paketboten vor Weihnachten

16.12.2014 13:10 Uhr
Blick hinter die Kulissen: Paketboten vor Weihnachten
Für Paketzusteller Taner Rösl ist die Weihnachtszeit die anstrengendste Zeit des Jahres
© Foto: Picture Alliance/dpa/Daniel Karmann

In den Wochen vor Weihnachten werden gut doppelt so viele Sendungen verschickt wie sonst. Paketboten flitzen durch die Straßen. Manche haben nur kurze Hosen an. Ihnen ist auch bei Minusgraden warm - vom Rennen.

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Nürnberg. 2.00 Uhr: Die Nacht ist eiskalt, das Gewerbegebiet zwischen Nürnberg und Fürth liegt wie ausgestorben da. Bis die Zustellbasis der Deutschen Post zum Leben erwacht. Gelbe Sattelschlepper mit dem roten Logo der Paket-Tochter DHL rollen heran, docken an den Toren der gewaltigen Halle an. In den bundesweit rund 200 Zustellbasen beginnt der letzte Teil der Reise, die ein Päckchen oder ein Paket vom Absender zum Empfänger zurücklegt.

3.00 Uhr: Die Fahrer der Sattelschlepper sind am Entladen: Bis zu 1500 Pakete tragen sie aus ihrem Fahrzeug zu den Förderbändern. Die Sendungen werden mit Hilfe einer Scanner-Schleuse vollautomatisch den einzelnen Zustellbezirken zugeteilt.

4.00 Uhr: Die Rutschen, auf denen sich die Pakete für jeweils einen Zustellbezirk sammeln, füllen sich. „Das sind alles diese kleinen, kompakten Ebay- und Amazon-Sendungen”, erläutert Betriebsleiter Gerhard Birkner. „Jetzt zur Weihnachtszeit ist extrem viel Internethandel dabei.” Auch Autoreifen und Brennholz werden bestellt.

5.00 Uhr: Rund 80 Kilometer von der Zustellbasis entfernt klingelt bei Taner Rösl der Wecker. Der 43 Jahre alte Zusteller weiß, was ihn heute erwartet: Zum 24. Mal fährt er im Advent Pakete aus. Es ist mit Abstand die stressigste Zeit des Jahres: Befördert die Post sonst im Schnitt täglich 3,4 Millionen Sendungen, schwillt die Menge vor Weihnachten auf bis zu knapp acht Millionen an. Die bundesweit 14.700 Zusteller werden deshalb von tausenden Saisonkräften unterstützt.

6.00 Uhr: Rösl kommt an seiner Arbeitsstätte an. „Offizieller Dienstbeginn ist um 7.15 Uhr, aber ich bin immer schon früher da - ich brauche nicht gleich totale Hektik und Stress”, sagt er und beginnt, die Sendungen auf der Rutsche in seinen Wagen zu schichten.

7.00 Uhr: Auch an den anderen Rutschen herrscht jetzt Hochbetrieb - obwohl auch diese Zusteller offiziell noch gar nicht angefangen haben zu arbeiten. „Weihnachten ist immer ein Ausnahmezustand, da sind alle nervös”, erklärt Betriebsleiter Birkner diesen Umstand.

8.00 Uhr: Die Lieferbänder stehen still, die Sattelschlepper sind entladen. Jetzt starten die Zusteller in ihre Bezirke.

8.04 Uhr: Taner Rösl dreht den Fahrzeugschlüssel um. Das erste Tageslicht lässt die gefrorene Straßendecke weiß glänzen. Die Temperatur liegt deutlich unter null. Trotzdem laufen einige seiner Kollegen in kurzen Hosen herum. Sie wissen, dass ihnen auch bei Minusgraden warm werden wird. Rennen statt gehen lautet ihr Credo.

8.12 Uhr: Rösl braucht nur wenige Minuten zu seinem Bezirk. Gleich im ersten Haus ist niemand da. Im Laufschritt joggt er zum Nachbarn. Rösl ist inzwischen ein sogenannter Stammzusteller, betreut seit 16 Jahren das gleiche Gebiet. Der Vorteil: Er weiß genau, wo welche Hausnummer liegt, wer wann daheim ist, bei wem die Oma um die Ecke wohnt oder bei wem er das Paket im Gartenhäuschen ablegen darf.

8.23 Uhr: Aus Rösls gelbem Lieferwagen dröhnt Poltern, Schritte hallen, ein kurzes Ächzen ist zu hören. „Wenn es so voll ist, muss ich mir erst einmal einen Überblick verschaffen.” Schon beim Einladen hat Rösl die Sendungen nach Straßenzügen in die Ablagen rechts und links des Ganges sortiert. Jetzt sammelt er jene Pakete zusammen, die er als nächstes abliefern wird. Eine Übersichtsliste gibt es nicht, die konkrete Tour stellt er jeden Tag aufs Neue im Kopf zusammen.

8.32 Uhr: Wieder einmal klingelt Rösl vergeblich. Flink schlängelt er sich durch den Carport, der voller überdimensionierter Christbaumkugeln, Sterne und Schaukelpferde hängt. Das Paket legt er an einem zuvor abgesprochenen Platz ab.

8.43 Uhr: Mit einem langgezogenen „Rrrratsch” der Handbremse stoppt Rösl den Lieferwagen vor einem Haus, in dem just der Rollladen aufgeht. „Da steht sie gerade auf” - Rösl kennt den Tagesablauf vieler Kunden genau. Trotzdem wird er ungeduldig, als die Frau nach dem Klingeln nicht sofort öffnet, sondern sich erst noch einen Bademantel überwirft. Verstrubbelte Haare, alte Männer in Unterwäsche oder junge Frauen im Schlafanzug sind für Paketboten Alltagsanblicke.

8.47 Uhr: Rösl springt auf den Fahrersitz, zieht die Wagentür zu - doch das Schloss rastet nicht ein. Er fährt trotzdem weiter, die Tür hält er mit der linken Hand fest.

8.49 Uhr: „Oh Jesus, jetzt ist die Klingel eingefroren, ich glaub's nicht!” Rösl hat gerade acht Weinflaschen ein Gässchen hinuntergeschleppt. Der Empfänger reagiert auch auf das Klopfen an der Verandatür nicht. Rösl joggt mitsamt der Kiste den Weg wieder hoch. Die blau-gelb-rote Dienstjacke hat er längst geöffnet, die Ärmel sind hochgeschoben, das Polo-Shirt darunter ist aufgeknöpft.

8.57 Uhr: Piep, piep, piep - die Fahrzeugtür schließt noch immer nicht, der Warnton ist unüberhörbar. Rösl bleibt gelassen: „Das bringt mich jetzt nicht aus dem Rhythmus. Ich habe auch gar keine Zeit, darüber nachzudenken.” Auch fürs Essen, Trinken und für Toilettengänge nimmt er sich während seiner Schicht keine Zeit. „Alles, was mich aufhält, ist schlecht.” Die Faustregel lautet: drei Minuten pro Paket. Bei der Kalkulation der einzelnen Bezirke werden aber die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt.

9.28 Uhr: Rösl fährt bei einer Autowerkstatt vorbei: „Kannst du mal einen Blick auf meine Tür werfen?” Mit vielen seiner Kunden hat er ein vertrauliches Verhältnis. Doch diesmal nützen ihm seine guten Kontakte wenig. „Das ist die Kälte. Bei der Tür hilft auf die Schnelle gar nichts.”

10.03 Uhr: Mit einem PC-Drucker und zwei weiteren großen Paketen auf dem Arm läuft Rösl zu einem Reihenhaus - erfolglos. Er flitzt zwei Häuser nach links, dann wieder fünf nach rechts. Die Gummisohlen an seinen Schuhen quietschen. Endlich macht ein Nachbar auf. „Jeder gute Zusteller hat alle 100 Meter jemanden, der für die 50 Meter rechts und links die Pakete annimmt”, verrät Rösl. Mit drei Paketen auf dem Arm sind aber selbst 100 Meter ganz schön weit - Rösl schnauft.

10.17 Uhr: Die Haustür öffnet sich, heraus schießt Filou. „Ich bin ein Glückskind. Mich hat noch nie ein Hund ernsthaft gebissen - höchstens mal gezwickt”, erzählt Rösl. Im Laufe des Tages werden ihn rund ein Dutzend Hunde ankläffen, vom Chihuahua bis zum Bernhardiner.

11.23 Uhr: Ein Ball fliegt knapp an Rösls Kopf vorbei. Der Zusteller rennt gerade über einen Schulhof, es ist große Pause. Im Laufe des Tages wird er in Werkshallen und Dienstleistungsbetrieben, in Werkstätten, Banken, Büros und Läden vorbeikommen.

11.27 Uhr: Die meisten Stopps legt Rösl jedoch vor Privathäusern ein. Sein Zustellbezirk Nürnberg-Gebersdorf ist eine ältere Siedlung mit vielen Ein- bis Dreifamilienhäusern. Rösl würde niemals tauschen wollen. „Alles, was ebenerdig ist, ist gut. So ein Treppenbezirk von der krassen Sorte, mit Altbauten, der macht dich kaputt.”

12.13 Uhr: Eine alte Dame gibt Rösl selbst gebackene Plätzchen mit. „Das ist fürs ganze Jahr”, betont sie, als sie ihm auch noch ein paar Münzen zusteckt. Das Trinkgeld im Advent ist für die Zusteller Anerkennung und willkommenes Zubrot zugleich: Der monatliche Tariflohn bei DHL reicht ohne Zulagen von 1970 bis 2573 Euro brutto. Für die Gewerkschaft Verdi ist DHL bei aller Kritik etwa an befristeten Verträgen der Musterknabe der Branche: Fahrer der anderen Anbieter sind meist bei Sub- oder Subsubunternehmern angestellt - mit entsprechend unkontrollierten Löhnen und Arbeitszeiten.

12.59 Uhr: Rösl liefert ein sogenanntes Prio-Paket ab - der Kunde hat bei Amazon den besonders schnellen Premiumversand geordert. „Amazon hat inzwischen so eine Macht bei der Post, dass die sagen können: Wenn der Zusteller nicht alles schafft, muss er den Rest stehen und liegen lassen und erstmal unsere Prio-Pakete zustellen.” Das macht Druck. Aber auch die Post selbst wirbt damit, alle Pakete, die bis zum 22. Dezember aufgegeben werden, an Heiligabend noch zuzustellen.

13.23 Uhr: Ein Mann rennt dem Lieferwagen hinterher. „Kannst du das noch mitnehmen?” Rösl packt das frankierte Paket in die Ablage.

14.19 Uhr: Mit einer Sackkarre bringt Rösl sechs große Bücherpakete in ein Jugendzentrum. Maximal 31,5 Kilo darf ein Paket wiegen. Im Schnitt bewegt ein Zulieferer pro Tag eine Tonne - einer der Gründe, warum unter den 100 Mitarbeitern der Nürnberger Zustellbasis nur drei Frauen sind. Yvonne Zaulig findet die körperliche Anstrengung nicht schlimm: „Das ist alles Einstellungssache.” Die Mittdreißigerin mag die Bewegung, die Abwechslung und das selbstständige Arbeiten.

14.24 Uhr: Rösl läuft an einem Block mit heruntergekommenen Sozialwohnungen vorbei. Die Empfängerin hat die 25,25 Euro für die Nachnahme nicht zur Hand. Nur zwei Fahrminuten entfernt zeigt er auf eine Luxus-Villa. „Die Unterschiede - die sind krass.”

15.31 Uhr: Rösl geht mit dem Chef einer Autowerkstatt den Sendungsverlauf eines älteren Paketes durch. Derweil gelingt es einem Mechaniker endlich, das hakende Türschloss zu reparieren.

16.19 Uhr: Der Feierabend rückt näher. Rösl reiht sich vor der Zustellbasis in die Schlange gelber Lieferwagen ein. Die Fahrer warten darauf, ihre nicht auslieferbaren Pakete sowie die von Kunden mitgenommenen neuen Sendungen auszuladen.

16.43 Uhr: Rösl parkt sein Fahrzeug vor Tor 308, seinem Stammplatz. Er muss nun seine Arbeitszeit, die gefahrenen Kilometer, die ausgelieferten Pakete, die nicht zugestellten Pakete und das eingenommene Geld für Nachnahmen und Ähnliches dokumentieren. Nicht erfasst werden die Kilometer, die er an diesem Tag gejoggt ist.

16.53 Uhr: Rösl packt das Geld in eine kleine Tasche und wirft es in einen Tresor. In Regalen an der Wand blinken bereits die Scanner und mobilen Drucker anderer Kollegen, deren Akku über Nacht geladen wird.

16.54 Uhr: Rösl trägt sich aus. Zuhause wird er endlich etwas essen. (dpa)

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