Wer fährt, verliert

Premiere im Mai: Erstmals kostete der Liter Diesel in Deutschland mehr als der Liter Superbenzin – an insgesamt drei Tagen Wer fährt, verliertRohöl- und Dieselpreise kennen derzeit nur eine Richtung: aufwärts. Vor allem kleine Transportunternehmen leiden unter dem Kostendruck. Branchenvertreter rechnen mit einer beispiellosen Pleitewelle noch in diesem Jahr.An allen Ecken und Enden knirscht und ächzt es im Gebälk der Wirtschaftswelt, bleischwer drückt der historisch hohe Ölpreis auf Handel, Industrie, Dienstleistung. Allein eine Branche hat Grund zur Freude: Zentralanatolische Eselzüchter profitieren von einer bisher nicht für möglich gehaltenen hohen Nachfrage nach ihrem Geviech. Innerhalb eines Jahres stieg der Preis für einen der Paarhufer von 26 Euro auf bis zu 180 Euro, rechnet die türkische Tageszeitung "Zaman" vor und schiebt gleich den Grund für die Kostenexplosion nach: Viele Bauern ließen ihre Traktoren stehen, weil sie sich den mit 1,55 Euro pro Liter exorbitant teuren Diesel nicht mehr leisten könnten. Tausche einen Hektoliter Mitteldestillat gegen ein störrisches Nutzvieh: Mitten in der Türkei, irgendwo zwischen Schwarzmeer und Mittelmeer, bringt der am Rotterdamer Rohölmarkt hochgepushte Ölpreis die Kassen der Eselzüchter zum Klingeln. Beginn eines tiefen WandelsEselboom in der Türkei, Streik in Spanien, Frankreich, Portugal, zunehmender Dieselklau weltweit: Vielleicht sind das die ersten greifbaren Ausprägungen, die die Organisation Energy Watch Group als Fazit ihrer Analyse zur Zukunft der Erdölversorgung in den trockenen Satz "die Weltwirtschaft steht am Anfang eines tiefen Strukturwandels" verpackt. Ganz sicher aber wird es eine Fortsetzungs-geschichte, denn mit ihrer Prognose, wonach die weltweite Ölförderung bereits im Jahr 2006 ihren Höchststand erreicht hat – "Peak Oil" im Branchenjargon –, entlocken die Fachleute selbst den sonst so wenig redseligen Öl-Multis Zugeständnisse: "Es gibt Kapazitätsprobleme bei der Produktion, die sich bis 2020 auf 100 Millionen Barrel pro Tag begrenzen wird", räumt die Total Deutschland GmbH ein. "Dennoch sind wir nicht der Meinung, dass wir den "Peak Oil" erreicht haben. Wir glauben, dass es noch sehr viele Reserven gibt, es aber immer schwieriger wird, diese zu finden und zu fördern", sagt Unternehmenssprecherin Delphine Saucier. "Darüber hinaus muss es heißen, und das ist für uns unsere stärkste Botschaft: Energie sparen, wo es möglich ist, individuell und kollektiv." Unberechenbare RohölmärkteEin Energiekonzern, der zum Sparen rät – das kommt fast einem Metzger gleich, der zum Gemüsekauf rät. Oder einem Straßentransporteur, der seinem Kunden aus Verzweiflung einen alternativen Verkehrsträger ans Herz legt. Und tatsächlich, so dramatisch, so verfahren stellt sich die gegenwärtige Situation im Gewerbe dar: "Wir bekommen tagtäglich zahlreiche Anrufe aus der Branche, Tenor: ,Entweder wir können die Kosten beim Kunden durchbringen oder wir müssen Teile unseres Fuhrparks, vielleicht sogar den gesamten Fuhrpark stilllegen'", erläutert Sebastian Lechner, Hauptgeschäftsführer des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen LBT. Sein Rat: "Bevor ich als Unternehmer sehenden Auges Substanzverzehr betreibe und meinen Betrieb in den Ruin fahre, muss ich höhere Preise durchsetzen oder Fahrzeuge aus dem Verkehr ziehen. Soll heißen: Dort, wo es sich nicht mehr lohnt, die Fahrzeuge stehen lassen und Aufträge, die nicht mehr Kosten deckend abgewickelt werden können, ablehnen."Ende Mai ist der vorläufige Gipfel erreicht: Am 28. setzt laut ADAC der Dieselpreis in Deutschland die Rekordmarke von 1,517 Euro pro Liter, ein Plus von mehr als 30 Prozent gegenüber dem Wert vom 11. Februar des Jahres mit einem Literpreis von 1,212 Euro. Zudem ergab die monatliche Datenauswertung des Clubs, dass Dieselkraftstoff im Wonnemonat an genau drei Tagen mehr als Superbenzin kostete. "Hauptgrund: die weltweit gestiegene Nachfrage nach Mitteldestillaten, also Diesel, Heizöl, Kerosin", erklärt Barbara Meyer-Bukow vom Mineralölwirtschaftsverband MWV in Hamburg. Vor allem China schluckt enorm: "Die Chinesen haben ihre Vorräte aufgefüllt, um ausreichend Kraftstoffe für die Olympiade zu haben, sie hatten einen erhöhten Transportbedarf nach der Schneekatastrophe im Winter und den Erdbeben im Mai."Wie hoch die Preise noch anziehen werden, sei "reine Spekulation", so der MWV. Unberechenbar, nicht nur an den Rohölmärkten, sondern auch innerhalb der Unternehmen: "Gerade bei den kleinen Transportunternehmen machen die Kraftstoffpreise mittlerweile ein Drittel der Gesamtkosten aus", sagt Dagmar Wäscher, Vorsitzende des Bundesverbandes der Transportunternehmen BVT in Dortmund. "Die Dieselkosten sind somit zu einer Größe geworden, die nur noch sehr schwer kalkulierbar ist – vor allem dann, wenn wie so oft langfristige Verträge eingegangen werden", so Wäscher weiter. Einigermaßen glimpflich können maximal die Unternehmen die Kostenexplosion wegstecken, die vertraglich Dieselpreisgleitklauseln mit den dahinter wirkenden Automatismen vereinbart haben. Allerdings bleibt hier die Festsetzung der Schwellenwerte kritisch: "Ab welcher Höhe soll wieder verhandelt werden?", fragt der Präsident des Deutschen Speditions- und Logistikverbandes DSLV, Michael Kubenz. Einerseits böte es sich an, die Schwellen nicht zu hoch anzusetzen, so Kubenz, "andererseits will der Kunde eine nachvollziehbare Preissicherheit. Bei den augenblicklichen Preisschwankungen müssten Sie jedoch fast jeden Tag beim Kunden auf der Matte stehen und neu verhandeln." Ohne vertraglich verankerte Klauseln seien die Unternehmer schlichtweg auf den Goodwill des Kunden angewiesen, darauf, dass der Auftraggeber an der Zapfsäule selber verfolgt, wie der Dieselpreis den Benzinpreis überholt und von sich aus auf das Unternehmen zugeht, so Kubenz weiter. "Tut er das nicht, legen Sie drauf, wenn Sie fahren. Die Konsequenz: Sie fahren mit jedem weiteren Kilometer schneller in den Konkurs."Weiterfahren, draufzahlen – stehen bleiben, Kunden verprellen: In diese Dilemma-Situation fährt das deutsche Transportgewerbe derzeit. Von Ausständen nach spanischem oder französischem Vorbild raten die Branchenvertreter dennoch unisono ab: "Streiks und Blockaden helfen doch keinem Unternehmen, die hohen Rohölpreise wegzustecken", sagt Adolf Zobel, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung BGL; DSLV-Präsident Kubenz sieht in Deutschland grundsätzlich gar eine "völlig andere Kultur der Auseinandersetzung". Verdoppelung der InsolvenzenDeren Leitsatz lautet: Reden statt Randale. Und künftig muss noch weit mehr geredet werden in einer Branche, der neben weiter steigenden Kraftstoffpreisen zudem noch eine Mauterhöhung ins Haus steht, "das falscheste Signal, das die Politik setzen könnte" (Kubenz). Denn die hohen Energiekosten werden sich kaum senken lassen, im Gegenteil: Eine Verteuerung des Transportstandorts Deutschland – bei allen gegenwärtigen Ideen zur Mineralöl- oder Ökosteuersenkung – scheint unabwendbar. "Die Kundschaft muss sich somit darauf einstellen", glaubt LBT-Hauptgeschäftsführer Sebastian Lechner, "für einen vernünftigen Straßengütertransport künftig mehr zur bezahlen." Ansonsten schwappt, so die Meinung der Branchenvertreter, eine immense Pleitewelle über das Land: Fünf bis sechs Prozent der Unternehmen, rechnet der BGL vor, werden dieses Jahr Insolvenz anmelden – doppelt so viele wie 2007. ❙❚■ Timour Chafik

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