Wenn das Lager mitdenkt

Auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Systeme besitzen die Fähigkeit zu lernen, Muster zu erkennen und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten oder sogar selbst Prozesse anzustoßen. Im Consumer-Bereich ist KI bereits angekommen - wir reden mit Siri, Alexa & Co., aktuelle Smartphones lassen sich per Gesichtserkennung entsperren. Auch Logistikprozesse im Lager sind ein ideales Spielfeld für KI-Methoden, das beginnt schon im Wareneingang, wo etwa die sogenannte Visual Recognition ihre Vorteile ausspielen kann. "Mit einem MDE oder einer App auf einem Smart Device wird ein Artikel fotografiert. Die KI erlernt anhand dessen den neuen Artikel mit allen relevanten Daten und erkennt diesen ab sofort selbstständig wieder", nennt Jens Heinrich, Chief Technology Officer der EPG, eines von vielen Beispielen, wie KI im Lager eingesetzt werden kann. Vor allem aber können intelligente Algorithmen die Abläufe in der Kommissionierung massiv verbessern. Eduard Wagner, Geschäftsführer und CIO des Softwareanbieters Dr. Thomas + Partner, führt hier eine generelle Wegereduzierung und eine Optimierung der zweistufigen Kommissionierung an (siehe Interview). In automatisierten Logistikanlagen sorgen KI-Methoden zudem für eine homogene Auslastung der Anlage und damit für eine Reduzierung der Totzeiten. "Wobei ich die Minimierung von Leerlaufphasen an den Arbeitsplätzen lieber als Arbeitsvorratsoptimierung bezeichne", wie Wagner anmerkt. Kürzere Kommissionierwege Ein Beispiel für gelungene Wegeoptimierung liefert der Softwareanbieter PSI, der jüngst eine neue KI-basierte Funktion im Warehouse-Management-System PSIwms im Distributionszentrum des polnischen Bekleidungsherstellers LPP implementierte. LPP ist einer der E-Commerce-Marktführer in Polen und Europa und bearbeitet jährlich elf Millionen Bestellungen. Das Ergebnis kann sich nach ersten Tests sehen lassen: Die Kommissionierwege wurden laut PSI um 30 Prozent verkürzt, die Effizienz der Kommissionierprozesse um mehr als elf Prozent gesteigert. Vor allem die Covid-19-Pandemie, die zu einem rund vierfachen Anstieg der Onlineverkäufe geführt habe, habe eine effizientere Auftragsabwicklung nötig gemacht. "Deshalb haben wir unseren langjährigen Geschäftspartner PSI Polska mit der Einführung der auf AI-Algorithmen basierenden Lösung beauftragt", erklärt LPP-Vizepräsident Jacek Kujawa. Stundengenaue Vorhersagen Weiteres Potenzial entfaltet KI schließlich in der sogenannten prädiktiven Analyse. "Aufwände für die Kommissionierung oder das Verpacken lassen sich erst durch den Einsatz von KI wirklich detailliert und stundengenau vorhersagen und planen", so Heinrich von EPG. Welche Artikel werden demnächst besonders gefragt sein? Welche Areale einer Lagerhalle sind in den nächsten Stunden besonders stark frequentiert? Welche Ressourcen werden dafür benötigt? Um die Genauigkeit der Vorhersagen des Auftragsvolumens zu verbessern, greift EPG neuerdings auf KI-Funktionen der IBM-Watson-Technologie zurück. Während das hauseigene Workforce-Management-System bislang basierend auf vorhandenen Aufträgen Ressourcen optimierte, konnten durch die Zusammenarbeit mit IBM zusätzliche Einflussfaktoren und unstrukturierte Datenquellen berücksichtigt werden. "Wir konnten die Vorhersagegenauigkeit auf circa 90 Prozent steigern und damit dazu beitragen, dass die Ressourcen und Waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind", so Olexander Tokunov, Manager Product Development bei der EPG. KI hält auch verstärkt in die Lagertechnik Einzug, sei es die vorausschauende Wartung der Gewerke oder der Einsatz in der Robotik, die wiederum bei der Kommissionierung unterstützt. TGW hat beispielsweise den selbstlernenden Pickroboter Rovolution entwickelt. Eine Algorithmik entwickelt dabei eine Form von Szenenverständnis und erlaubt dadurch eine Klassifizierung, heißt es seitens des österreichischen Automatisierungsspezialisten. "Er reagiert auf unerwartete Ereignisse wie etwa das Herunterfallen eines Artikels beim Greifvorgang völlig autonom und ganz ohne menschlichen Eingriff und korrigiert den Vorgang", so Maximilian Beinhofer, Head of Cognitive Systems Development bei TGW. Mehr zum Thema finden Sie unter #Lagertechnik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Von Objekterkennung und Robotik über Batch-Optimierung und Wegeverkürzung bis hin zur stundengenauen Prognose von Auftragsaufkommen und Ressourcenbedarf - die Lagerlogistik ist als Spielfeld für KI-basierte Technologien geradezu prädestiniert. Die aktuellen Trends und Entwicklungen im Überblick. "Auch kleinere Lager können von KI profitieren" - Eduard Wagner, Geschäftsführer und CIO Dr. Thomas + Partner Künstliche Intelligenz im Lager - inwieweit ist das schon Realität? KI findet in aufeinander aufbauenden Analysestufen statt: Die deskriptive Analyse beschreibt, was im Lager passiert, die Diagnostik beantwortet, warum es passiert, durch Prädiktion erfahren wir, was in naher Zukunft passieren könnte. Die Phase, in die wir in der Intralogistik aktuell stecken, ist schließlich die Präskription: zu wissen, wie ich reagieren muss auf das, was kommt.Mit der Verbesserung der präskriptiven Analyse beschäftigen wir uns bereits seit Jahrzehnten. Beispiel komplizierte Batchbildung: Alle Aufträge im System werden durchgängig miteinander abgeglichen, um sie KI-optimiert in operative Batches zusammenzuführen. Die prädiktive Analyse liefert Prognosen, etwa über die Bedarfe, die in einer Stunde entstehen. Momentan stehen wir hier noch bei Prädiktionsmodellen, die sich auf vorhandene Daten aus der Vergangenheit beziehen. Die nächste Stufe wäre, auch Echtzeit-Parameter wie beispielsweise das Wetter einzubinden. Ist der Einsatz von KI-Methoden auch in kleineren Logistikzentren sinnvoll? Natürlich steigt mit der Artikelmasse das Optimierungspotenzial. Deswegen sind E-Commerce oder Ersatzteillogistik ideale Anwendungsfelder. Aber auch kleinere Lager können profitieren, beispielsweise von einer besseren Planung der Mitarbeiterressourcen. Welche Grundlage brauchen Unternehmen, um KI-Methoden einzuführen? Erst einmal muss man sich darauf einlassen, Daten über Jahrzehnte hinweg zu speichern, um mit ihnen in Zukunft weiterzuarbeiten. Daher betrachten wir auch den digitalen Zwilling, also das virtuelle Abbild der Realität, als grundlegend. Vor allem aber empfehlen wir die Strategie der kleinen Schritte: Sich sofort auf die präskriptive Analyse zu stürzen, ist wenig sinnvoll, wenn man die Voraussetzungen der deskriptiven Analyse, Diagnostik und Prädiktion nicht erfüllt. Wenn die Daten nicht ausreichend verfügbar sind, wird das Ergebnis darunter leiden. Daher empfehle ich erst die Datenqualität sicherzustellen, denn selbst bei der ausgereiftesten KI-Lösung gilt: "Garbage in, Garbage out". mh

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