Helfende Hände

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise zieht kaum noch eine Firma um. "Um rund 35 bis 40 Prozent ist bei uns das Objektgeschäft eingebrochen. Große Büroumzüge, sowohl der Privatwirtschaft als auch der öffentlichen Hand, fanden während Corona nicht mehr statt", berichtet Markus Sonnen, Geschäftsführer der Möbelspedition August Beckmann in Rheine. "Im Privatbereich verzeichneten wir aber sogar leichte Zuwächse", ergänzt er. Weil während der Kontaktbeschränkungen Nachbarn und Bekannte nicht kostenlos helfen konnten, erhielten Umzugsspediteure zusätzliche Aufträge. "Versetzungsumzüge sind relativ stabil geblieben. Umzüge ins Ausland wurden verschoben oder zurückgezogen", fügt Sonnen hinzu. "Teils haben wir das Umzugsgut dann über Lager genommen, wobei hier noch die Frage der Kostenübernahme zu klären ist." Dass der innerdeutsche Transport über die Straße sowie die Dienstleistungen im Haushalt privater Kunden durch die Corona-Auflagen kaum beeinträchtigt waren, während grenzüberschreitende Umzüge erheblich eingeschränkt wurden, sagt auch Johannes Neumann, Geschäftsführer des Umzugsunternehmens Dachser & Kolb aus Kempten. Sein Resümee lautet: "Während der Krise hat sich das Auftragsvolumen unserer Privatkunden um ein Viertel, das unserer Firmenkunden um etwa die Hälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum reduziert." Herausforderung internationaler Umzug Zeitweise vollständig zum Erliegen kamen Neumann zufolge interkontinentale Umzüge über die Verkehrswege Luft und See. "Dies lag vor allem an der erheblichen Reduzierung des Frachtraumes sowie an der eingeschränkten Abfertigung der Frachten in vielen Ländern", berichtet er. Sonnen von Beckmann beschreibt auch Grenzübertritte auf der Straße oder per Fähre rückblickend als herausfordernd. "Zum Beispiel waren in Italien nur maximal 72 Stunden Aufenthalt erlaubt. Das ist kaum zu schaffen bei Umzügen nach Rom plus Ein- und Ausladen. In Großbritannien hatten wir das Problem, dass die Fährgesellschaften nur Ein-Fahrer-Besatzungen wünschten. Vor Ort war Hilfspersonal von lokalen Unternehmen aber nicht zu bekommen", erinnert er sich. Hierzulande sei die Auflage, Umzüge nur noch mit zwei Personen pro Fahrzeug durchführen zu können, schwierig gewesen. "Wir sind teils mit zwei Lkw gefahren statt mit einer Kombination. Zudem mussten wir das Personal in Hotels übernachten lassen statt in den Lkw-Schlafkabinen", berichtet der Beckmann-Chef. Die Kunden habe man gebeten, nur einzeln beim Umzug zu erscheinen und den vorgeschriebenen Abstand zu den Mitarbeitern zu wahren. Als weiterhin große Hürde beschreibt Sonnen das Maskentragen beim Umzug: "Das ist wie beim Sport, man bekommt schlecht Luft." Das bestätigt Neumann von Dachser & Kolb. "Regelmäßige und isolierte Pausen - bestenfalls unter freiem Himmel - sind aktuell sehr wichtig, um im wahrsten Sinne des Wortes tief durchatmen zu können", erklärt er. Außerdem habe Dachser & Kolb die Umzugsteams verkleinert, um eine Durchmischung der Teammitglieder zu vermeiden. Weitere Empfehlungen und Regeln hat die BG Verkehr zusammengestellt (Auszug siehe Kasten auf Seite 19). Wie die Beispiele zeigen, führten Auftragsstornierungen sowie Reglementierungen der Bundesregierung und in den Nachbarländern in der Krise bei vielen Umzugsfirmen zu Umsatzeinbußen. Finanziell scheint es der Branche aber noch halbwegs gut zu gehen. Das zeigt eine Umfrage des Bundesverbands Möbelspedition und Logistik (AMÖ) unter rund 800 Mitgliedsunternehmen, die vom 9. April bis 4. Mai stattfand. Zwar hatte jeder zweite Befragte zu diesem Zeitpunkt Kurzarbeitergeld beantragt, doch nur weniger als jeder zehnte Betrieb befürchtete Entlassungen, wenn die Krise länger dauert. Unternehmer achten auf Liquidität Zwei von drei der befragten AMÖ-Betriebe hatten bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) keine Liquiditätshilfe beantragt und planten dies auch nicht. Nur jeder Siebte hatte einen Antrag gestellt oder plante das. Die Mehrheit der Umfrageteilnehmer machte auch von den Soforthilfen keinen Gebrauch. Allerdings achten die Unternehmen auf ihre Liquidität: Vier von zehn Firmen wollen bis zu 50 Prozent ihrer im Jahr 2020 geplanten Investitionen zurückstellen. Ein Drittel streicht sie sogar komplett. "Wir haben in der Krise schnell reagiert und Kurzarbeit sowie Unternehmerkredite auf den Weg gebracht, wobei wir von beiden bisher keinen Gebrauch gemacht haben", berichtet Beckmann-Manager Sonnen aus der Praxis. "Ich möchte wegen 20 Prozent Minderbeschäftigung unseren Mitarbeitern nicht ans Geld gehen. Bei uns ist alles bezahlt, wir können eine gewisse Durststrecke überstehen - dieses positive Signal möchte ich ihnen senden", ergänzt er. Besichtigungen per Videokonferenz Einen solch langen Atem habe allerdings längst nicht jeder Wettbewerber. Und angesichts der behördlichen Auflagen geht die AMÖ von einem weiter erhöhten Aufwand in einigen Bereichen aus. "Das ist ein dynamischer Prozess, den wir weiterhin beobachten werden", sagt dazu Verbandssprecher Daniel Waldschik im Gespräch mit der VerkehrsRundschau. Relativ gelassen sieht man zumindest bei der Frag Zapf GmbH mit Sitz im brandenburgischen Storkow (Mark) in die Zukunft. "Unsere Kommunikations- und Angebotsstruktur basierte vor der Krise bereits umfangreich auf Internetanfragen, Facetime-Besichtigungen, Apps, Onlineshops, Telefon- und Videokonferenzen, sodass sich bei uns, bis auf ein paar Änderungen im Ablauf durch diverse Vorsorgemaßnahmen, nicht viel geändert hat", berichtet Geschäftsführer Peter Zetzsche. So habe auch sein Unternehmen die Umsatzrückgänge aus internationalen Verkehren durch nationale Umsätze ausgleichen können und musste keine Kurzarbeit anmelden. Skeptischer blickt Sonnen von Beckmann auf den Objektbereich: "Unsere Außendienstmitarbeiter kommen seit drei Monaten nirgends rein, weil viele Firmen im Homeoffice arbeiten. Das große Loch wird noch kommen, wir können die Entscheider nicht erreichen", berichtet er. "Werden die Objektumzüge, die in den ersten beiden Quartalen nicht stattgefunden haben, noch nachgeholt, könnten wir mit einem blauen Auge davonkommen. Ein Minus von zehn bis 15 Prozent könnten wir verkraften. Momentan stehen wir aber bei minus 30 Prozent", erklärt er. Auch Neumann von Dachser & Kolb rechnet - selbst unter der Annahme einer Normalisierung der Geschäfte im zweiten Halbjahr - im Bereich Umzugslogistik und Relocation Service mit einem reduzierten Jahresergebnis. Kostenseitig ist der Zusatzaufwand durch die Corona-Auflagen für beide Experten überschaubar. Die Kundschaft sei bereit, die Zusatzkosten zu tragen, so Sonnen. Mehr noch: Langfristig sieht der Beckmann-Chef in der Krise sogar eine Chance für die Umzugsbranche. "Ich denke, dass in der Wirtschaft und vor allem in großen Büroorganisationen ein gewisses Umdenken stattfindet. Homeoffice hat sich etabliert. Es kommt zu einer stärkeren Entzerrung der Arbeitswelten. Künftig arbeiten vermutlich nicht mehr ganz so viele Leute zusammen in Großraumbüros. Möbel müssen entsprechend bewegt und eingelagert werden", berichtet er. Neue Lösungen und Dienstleistungen Auf seiner Website wirbt das Unternehmen bereits für Lösungen und Dienstleistungen rund um den "virenfreien Arbeitsplatz". Auch bei Dachser & Kolb bietet man spezielle Zusatzservices an, etwa "die vollständige Desinfektion aller Oberflächen und Möbel nach einem Umzug". Der "kontaktlose Umzug" entstand während der Krise als neues Angebot bei der Firma Ahnefeld Möbel-Logistik aus Minden (siehe Kasten links). "Dauerhaft ist nun die Frage, ob wir den Rückenwind des Imagezuwachses für Lkw-Fahrer während der Krise nutzen können, um höhere Marktpreise durchzusetzen und so das Lohnniveau zu steigern. Der Personalmangel ist ja nach wie vor da", ergänzt Sonnen. Corona bleibt weiterhin ein Thema "Internationale Umzüge werden vorübergehend in einigen Ländern leicht teurer. National rechnen wir aufgrund des hohen Wettbewerbs und des herrschenden Preisdrucks auch nach der Corona-Krise mit keinen Preisanpassungen", bremst Neumann von Dachser & Kolb seine Hoffnungen. Für Sonnen steht fest: "Bis Mitte oder Ende nächsten Jahres wird uns das Thema Corona noch beschäftigen." Umgezogen wird aus Sicht von Neumann aber auch weiterhin: "Die meisten Wohnsitzwechsel und Umzüge innerhalb Deutschlands finden, vereinfacht gesagt, aufgrund der Liebe statt. Grenzüberschreitende Umzüge sind überwiegend berufsbedingt veranlasst. Ich gehe nicht davon aus, dass die Corona-Pandemie langfristig diese beiden Motivationen beeinflussen wird." Mehr zum Thema finden Sie unter #Möbellogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Auch wenn Umzugsfirmen im Privatbereich leichte Zuwächse verzeichnen konnten: Große Büroumzüge fanden während des Corona-Lockdowns nicht mehr statt. Zwar hoffen die Betriebe, dass diese nun in der Lockerungsphase nachgeholt werden. Den Umsatzrückgang werden sie in diesem Jahr aber nicht mehr auffangen können. Exkurs Neumöbellogistik: "Uns brechen die Mengen weg" Während Baumärkte im Lockdown öffnen durften und einen wahren Run erlebten, blieben Möbelhäuser und Elektromärkte geschlossen. Das kurbelte das Onlinegeschäft mit Neumöbeln, Lampen und Dekoration kräftig an: Allein im April legte es gegenüber dem Vorjahresmonat um 13,5 Prozent zu, teilt der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh) mit. In Teilen profitierte davon auch die Neumöbellogistik."In Summe entwickelten sich die Mengen aber rückläufig, denn über viele Wochen wurde auch die Möbelproduktion reduziert oder ausgesetzt", berichtet Martin Ahnefeld, Vizepräsident des Bundesverbands Möbelspedition und Logistik (AMÖ) und Geschäftsführer der Ahnefeld Möbel-Logistik in Minden. In Frankreich etwa, einem wichtigen Markt für die deutsche Küchenindustrie, sah sich sein Unternehmen zudem einem sechswöchigen Lieferstopp ausgesetzt, weshalb Ahnefeld Mitarbeiter zu zehn bis 20 Prozent in Kurzarbeit schicken musste. Angestautes Produktionsvolumen werde nun seit Mitte Mai wieder abgefahren - die Mengen seien aber stark schwankend, die Auslastung der Fahrzeuge, insbesondere im Stückgutbereich und bei Rundläufen, rückläufig."Uns brechen die Mengen weg, die Verkehre laufen nicht mehr rund", stellt Ahnefeld fest. Teils gebe es auch Lieferverzögerungen, wenn Touren zusammengelegt werden müssen. Hinzu kommt: Zusatzausgaben für Hygienemaßnahmen & Co. könne man derzeit nicht an die krisengebeutelten Kunden weitergeben.Für den deutschen Markt hofft Ahnefeld nun, dass die von der im Konjunkturpaket der Bundesregierung geplante Mehrwertsteuersenkung die Kauflaune der Privathaushalte wieder etwas hebt. Zumal viele Bürger sich in diesem Jahr vermehrt in ihr häusliches Umfeld zurückziehen dürften Stichwort "Cocooning". Das Geld für den Jahresurlaub könnte dabei in neue Möbel und Einrichtung fließen. Genauso gut könne der Geldbeutel vieler potenzieller Käufer angesichts von Kurzarbeit und Rezession aber auch nicht mehr so locker sitzen wie vor der Krise. In welche Richtung es geht, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen, so Ahnefeld. akwMartin Ahnefeld, AMÖ-Vizepräsident und Geschäftsführer der Ahnefeld Möbel-Logistik

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