Gas für 40 Tonnen

40 Tonnen Gesamtgewicht in Kombination mit einem Erdgasantrieb? Da reagieren Lkw-Hersteller meist zurückhaltend. Bei Volvo Trucks kommentierte man unsere entsprechende Anfrage dagegen mit spontanem Kopfnicken, weshalb der New-FH 460 LNG unseren ausgeladenen Fliegl-Testtrailer aufsattelt, der sonst Testfahrzeugen mit über 500 PS vorbehalten bleibt - mit Dieselmotor wohlgemerkt. Warum sich die Schweden ihrer Sache so sicher sind? Weil der Volvo-Motor im Unterschied zu den LNG-Aggregaten der Konkurrenten Iveco und Scania nicht nach dem Otto-, sondern nach dem Selbstzünder-Prinzip arbeitet. Die Zündkerze ersetzt eine kleine Menge Diesel, die Millisekunden vor dem Erdgas in den Brennraum gespritzt wird. Der Diesel entzündet sich und entflammt das Erdgas mit. Lohn der aufwendigen Technik: Der G (für Gas) 13 bringt es auf nahezu die gleichen Leistungsdaten wie der vergleichbare, rein dieselgetriebene D13-Sechszylinder, auf dem der Gasmotor technisch aufbaut. Das maximale Drehmoment von 2300 Newtonmeter liegt lediglich 150/min später an als beim 460er-Diesel. Teilweise deutlich vor seinen Otto-Konkurrenten liegt der Volvo LNG (steht für Liquified Natural Gas, also verflüssigtes Erdgas) ebenfalls bei den Wartungsintervallen (bis zu 100.000 km), außerdem ermöglicht das Selbstzünderprinzip eine leistungsfähige Motorbremse in Form der VEB+-Abgasbremse, die sich mit maximal 510 PS gegen das Gefälle stemmt. Technische Daten Motor Sechszylinder-Reihenmotor (G 13 C 460), Common-Rail, Turbolader mit Wastegate, Euro 6d mit SCR-Kat, ungekühlter Abgasrückführung, DPF, Hubraum: 12.800 cm3, Leistung: 460 PS (338 kW) bei 1700–1800/min, max. Drehmom.: 2300 Nm bei 1050–1300/min Kraftübertragung Automatisiertes Schaltgetriebe „I-Shift“ (AT2612F), unsynchronisiertes Dreigang-Grundgetriebe, Range- u. Splitgruppe, 12 Vorwärtsgänge, 4 Rückwärtsgänge, Hinterachsübersetzung: i = 2,47; automatisierte, pneumatisch betätigte Einscheiben-Trockenkupplung, 430 mm Durchmesser Fahrwerk HA: 12-t-Antriebsachse (Volvo RSS1144A); Vierbalg-Luftfeder mit Stabilisator, VA: 7,5-t-Lenkachse, Zweiblatt-Parabelfeder, Stabilisator mittelsteif Bremsen Zweikreis-Druckluftbremsanlage, Scheibenbremsen, Motorbremse: VEB+, 375 kW bei 2300/min, Option: Retarder Maße & Gewichte Radstand: 3700 mm; L x B x H: 6080 x 2495 x 3941 mm; Leergewicht: 7590 kg (ohne Fahrer), inkl. 205 kg LNG; 170 l Diesel; 64 l AdBlue Verbrennungsgeräusch wie beim Diesel Nach dem Motorstart, der beim im vergangenen Jahr gelifteten "New-FH" weiterhin per Zündschlüsseldreh vonstattengeht, unterscheidet sich auch das Verbrennungsgeräusch in keiner Weise von dem des Diesels. Wichtiger ist jedoch die Erkenntnis, dass die 40 Tonnen Gesamtgewicht dem LNG tatsächlich nicht mehr Probleme als dem 460er-Diesel bereiten. Sicher nicht zufällig hat Volvo hier aber auf die Verbauung einer seiner extrem ins Lange übersetzten Hinterachsen verzichtet, die theoretisch auch für den LNG zur Verfügung stünden. Von Drehzahlorgien bleibt man mit der 2,47er-Achse aber ebenfalls weit entfernt, bei Reisetempo 85 liegen humane 1100 Touren an. Das verschafft dem Motor ein kleines Polster, mit dem sich harmlosere Steigungen ohne Rückschaltung und mit verschmerzbarem Tempoverlust bewältigen lassen. Sofern die Software des mittlerweile sehr feinfühlig arbeitenden GPS-Tempomaten "I-See" nichts anderes verordnet, leitet die Steuerungselektronik Rückschaltungen bei 1050/min ein. Die daraus resultierenden 1350 Touren verschaffen genügend Luft im Kampf gegen die Topografie - zumindest auf unserer Teststrecke musste die zehnte Fahrstufe nicht herhalten. Stören würde den Fahrer aber auch das nicht, denn die Gangwechsel erledigt das automatisierte Schaltgetriebe I-Shift, das in Sachen Schaltgeschwindigkeit, -komfort und -strategie in keiner Weise den Diesel-Volvos nachsteht. Für die gilt gleichermaßen die nach unserer Meinung einzige Kritik an der von Volvo selbst entwickelten Schaltbox: Für die Bedieneinheit gäbe es bessere Positionen als rechts am Fahrersitz. Zwar wurde der im Rahmen des oben angesprochenen Facelifts ergonomischer geformte Wählhebel zum Handschmeichler, er wirkt sich in der Pause aber trotz seiner Abklappfunktion störend beim Durchstieg aus. Und er stünde der Kühlschrankschublade beim Öffnen im Weg, weshalb die Verpflegungskiste ein Fach weiter nach rechts rücken muss und so während der Fahrt kaum gefahrlos zu erreichen ist. Innen schaltete auch Volvo auf digital Ansonsten gefällt der hohe Reifegrad des Volvo. Das Geräuschniveau im Globetrotter XL gehört zu den Klassenbesten, gleiches gilt für die wertigen und perfekt verarbeiteten Materialien. Auch die neuen digitalen Instrumente, die verschiedene Darstellungsformen ermöglichen, finden Gefallen, ebenso wie der recht schnell erfassbare Bedienmix aus dem seitlichen Touchscreen, den verbindlich rastenden Schnellwahl- und Lenkradtasten oder der alternativen Sprachbedienung. Doch wie schlägt sich der LNG bei Verbrauch und Tempo? Lediglich 17,71 kg/100 km vom verflüssigten Erdgas konsumiert der FH auf der Testrunde. Zu addieren sind dabei ein Dieselverbrauch von 1,35 l/100 km sowie 1,6 l/100 km AdBlue für die Euro 6d-konforme Schadstoffreinigung. Womit der LNG-Volvo wohl der einzige Lastwagen sein dürfte, der mehr AdBlue als Diesel konsumiert! Gegenzurechnen bleibt das bezogen zum Diesel-FH höhere Gewicht, mit knapp 7,6 Tonnen muss der Transportunternehmer hier Abstriche machen. Ein paar Kilo ließen sich noch durch die Einblattfederung an der Vorderachse herausholen, die den bei der Testzugmaschine verbauten Zweiblattparabeln kaum nachsteht. Buchstäblich schwerer als das dürfte für viele der deutlich höhere Anschaffungspreis des Gasers wiegen. Den möchte man bei Volvo Trucks zwar nicht genau beziffern, nach Lesererfahrungen lässt sich der Hersteller sein technisches Know-how aber entsprechend bezahlen. Geht die Rechnung dann immer noch auf, steht der Gas-Alternative eigentlich nichts im Wege - der Fahrer sollte sich mit dem LNG-Modell aus Göteborg jedenfalls schnell anfreunden können. Fazit: Kraftvoll und sparsam Eines muss man Volvos LNG-Modell nach dieser Testfahrt bescheinigen: Kein anderer Erdgas-Lkw meistert die Transportaufgabe "volle Ausladung" derzeit souveräner, ein nennenswerter Unterschied zum Diesel ist tatsächlich nicht spürbar. Auch der Gasverbrauch fällt niedrig aus, was trotz mittlerweile gestiegener Kilopreise zusammen mit der Mautfreiheit günstige Betriebskosten beschert. Dass der Fahrer zusätzlich Diesel und AdBlue tanken muss, mag nerven, zumindest im Winter benötigen ersteren Betriebsstoff aber auch die Otto-LNG-Wettbewerber - und zwar für die Standheizung! Jan Burgdorf Test-Redakteurjan.burgdorf@springernature.com Bewertung: Volvo New-FH 460 LNG Motor/Antrieb (max. 140)Getriebe/Kupplung (max. 140)Bremsen (max. 120)Lenkung (max. 40)Pedale (max. 20)Fahrverhalten (max. 60)Sicht (max. 50)Klima/Lüftung (max. 50)Sitze (max. 40)Armaturen/Instrumente (max. 50)Scheibenwischer (max. 30)Fahrerhaus (max. 240) 1261241043616544343334224200 Gesamtwertung (max. 980): 845 Testurteil + kraftvoller Erdgasantrieb, niedriger Gas-Verbrauch, kraftvolle Motorbremse, sehr gute Verarbeitung und Geräuschdämmung, gut verständliches Bedienkonzept - bezogen zum Diesel-FH erhöhtes Leergewicht, Position des Getriebewählhebels am Fahrersitz, vergleichsweise eng geschnittene Globetrotter-XL-Großraumkabine Verbräuche und Geschwindigkeiten: 342,8-km-Teststrecke kg/100 km km/h Autobahn medium (40 t): A 9 Allershausen – A 93 Regensburg 16,69 84,30 Autobahn hügelig (40 t): A 3 Regensburg – Nürnberg 19,93 83,70 Autobahn Rolletappe (40 t): A 9 Nürnberg – Langenbruck 17,27 84,05 Landstraße (40 t): Langenbruck – Dasing 16,44 61,21 Autobahn leicht (40 t): A 8 Dasing – A 99 AS M-Ludwigsfeld 17,84 82,31 Durchschnitt: 17,71 79,47 Bergwertung Autobahn (Kindinger Berg, A 9) Zeit: 3,42 min, Vmin 65 km/h, Gang: 11 bei 1100/min In Kürze Die LNG-Motoren gibt es bei Volvo Trucks sowohl für die FH- als auch für die FM-Baureihe. Neben der getesteten Variante mit 460 PS bietet der Hersteller zusätzlich eine schwächere Version mit 420 PS (2100 Nm Drehmoment) an, die ebenfalls auf dem 12,8 Liter großen Reihensechszylinder aufbaut.

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