Frauenpower in Ober-Ramstadt

Kerstin Seibert und Christine Hemmel wirken beide gut gelaunt. Stressgeplagt durch die Corona-Krise sehen die Geschäftsführerinnen der Spedition Hans Adam Schanz im südhessischen Ober-Ramstadt jedenfalls auf den ersten Blick nicht aus. "Als am Anfang diese Panik aufkam, war die Stimmung hier schon sehr angespannt", sagt Hemmel allerdings. Vor allem das Personal zu beruhigen, sei eine Herausforderung gewesen. Insgesamt habe ihr Unternehmen aber sogar von der Situation profitiert, denn Baustofftransporte sind das Standbein von Schanz und die Frachtmengen seien während der Lockdown-Phase sogar zeitweise gestiegen. "Wir hatten echt Glück mit der Sparte und unseren Kunden", betont Seibert. Nachfolge ohne Druck Situationen wie diese meistern die beiden Schwestern seit fünf Jahren gemeinsam. 2015 haben Seibert und Hemmel die Geschäftsführung der Spedition von ihrem Vater Hans-Adam Schanz übernommen - und damit als erstes weibliches Führungs-Duo in der Firmengeschichte (siehe Kasten). Bei Kerstin Seibert verlief der Weg in diese Richtung zielgerichtet: Nach dem Abi folgte erst die Ausbildung zur Speditionskauffrau, später studierte die heute 38-Jährige Betriebswirtschaftslehre (BWL) mit Schwerpunkt Logistik und Verkehrswirtschaft in Bremen. 2006 folgte der Einstieg in den Familienbetrieb. Etwas anders war es bei ihrer Schwester Christine Hemmel, die zwar auch BWL mit Schwerpunkt Verkehrswesen und Touristik studierte, zunächst allerdings mehr in Richtung Touristik gehen wollte. Von 2002 bis 2011 war die heute 42-Jährige im Verkaufscontrolling der LSG Sky Chefs, dem Catering-Tochterunternehmen der Lufthansa, tätig, bevor auch sie 2012 bei Schanz einstieg. Jetzt teilen sich die Schwestern die Verantwortung im eigenen Unternehmen. Seibert leitet den operativen Bereich und die Kundenbetreuung, während Hemmel für Lohn- und Finanzbuchhaltung sowie Marketing zuständig ist. Druck vom Vater, den Familienbetrieb weiterzuführen, haben die beiden aber nie bekommen. "Wir haben auch viel durchgemacht, es lief nicht immer so reibungslos wie die letzten Jahre", sagt Hemmel. Die Entscheidung bereut hat bisher jedoch keine von beiden. Chefin sein hat Vorteile Dass zwei Frauen an der Spitze einer Spedition stehen, ist in der Branche eher die Ausnahme. Wie läuft es mit der Akzeptanz unter den Männern? "Man hat schon manchmal das Gefühl, dass man auf die Probe gestellt wird", findet Seibert. "Dieser Eindruck, den man hat: Werde ich gerade wirklich ernst genommen oder tut mein Gegenüber nur so?" Allerdings betrachtet sie den weiblichen Führungsstil in einigen Situationen auch als Vorteil. "Wenn man bei Kunden anruft und freundlich bittet, da reagieren die bei einer Frau manchmal besser als bei Männern", ist ihre Erfahrung. Was bei den Berufskraftfahrern besonders gut ankommt, ist der Scania-Fuhrpark der Spedition. Insgesamt 35 Fahrzeuge gehören zur Schanz-Flotte, ausschließlich vom schwedischen Hersteller und alle mit der Schadstoffklasse Euro 6. "Ich denke schon, dass sich Fahrer auch deswegen bei uns bewerben", glaubt Hemmel. Ein Fahrzeug spielt im Unternehmens-Fuhrpark eine besondere Rolle und wird nur von einem bestimmten Fahrer gelenkt: Der Oberleitungs-Hybrid-(OH)-Lkw. Er ist der erste kommerziell verwendete OH-Lkw weltweit und wird seit Mai 2019 von Schanz mehrmals täglich auf der elektrifizierten Teststrecke auf der A 5 zwischen Ober-Ramstadt und Frankfurt am Main eingesetzt. Im Rahmen des Projekts Elisa (Elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen) mit Beteiligung der TU Darmstadt, Hessen Mobil, Siemens und Entega sammeln insgesamt fünf OH-Lkw auf der mit Oberleitungen ausgerüsteten Strecke bis 2022 Daten. Damit soll ausgelotet werden, wie umweltschonend Straßengütertransport künftig funktionieren kann. Fünf- bis sechsmal am Tag pendelt Schanz-Fahrer Thomas Schmieder (43) auf der Route, um das Außenlager eines Großkunden zu beliefern. Seine Chefinnen sind mit dem Verlauf des Pilotprojekts bislang zufrieden. "Für uns ist es eine sinnvolle Alternative, da wir nur eine kurze Strecke fahren. Da macht es Sinn, da können wir relativ viel elektrisch fahren", meint Hemmel. Dass Elisa etwas Besonderes ist, zeigt auch das internationale Interesse, das die Spedition seit Projektbeginn erfahren hat. "Wir hatten mehrere Delegationen aus anderen Ländern da, unter anderem aus Dänemark, Japan und China", berichtet Seibert. Auch Italien habe bereits Interesse bekundet. Allerdings stößt das Pilotprojekt längst nicht bei jedem auf Begeisterung. Zu umständlich, zu teuer und insgesamt nicht effektiv lautet die Kritik an Elisa. So sei etwa die Ladeleistung des OH-Lkw viel zu gering, außerdem traten in der Vergangenheit technische Probleme bei den eingesetzten Fahrzeugen auf. "Ein paar Einschränkungen gab es schon", muss auch Hemmel zugeben. "Mal war die Anlage abgeschaltet, mal gab es einen Unfall innerhalb des Streckenabschnitts, dann wieder war der Betrieb aufgrund einer Kollision mit einem anderen Lkw nur eingeschränkt möglich", berichtet sie. Insgesamt stehen beide Spediteurinnen aber hinter dem Projekt. Dass bei einem Test nicht immer alles reibungslos verlaufe, sei schließlich normal und seit Beginn habe es schon wesentliche Fortschritte gegeben. Auch mit der Zusammenarbeit mit Scania, dem Hersteller des OH-Lkw, sind sie zufrieden. Doch trotz solcher Innovationen haben auch die Schanz-Chefinnen hin und wieder Schwierigkeiten, passendes Personal zu finden. Um das Problem abzumildern, bildet der Betrieb bereits seit 15 Jahren selber aus. Während die Spedition früher auch Auszubildende zur Lagerfachkraft hatte, konzentriert sie sich derzeit auf die Ausbildung von Berufskraftfahrern. Aktuell gibt es drei Lehrlinge. Dass in diesem Bereich ein solcher Mangel herrscht, könnte laut Kerstin Seibert auch am schlechten Ruf des Berufsbildes liegen. In Zukunft mehr Platz Für die Zukunft wünscht sie sich deshalb, dass den Fahrern mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. "Dass es nicht immer heißt: Die blöden Lkw verstopfen die Straßen und machen Dreck und Krach. Das ist auch gar nicht mehr so", betont sie. Ihre Schwester hat auch noch einen Wunsch für das eigene Unternehmen: "Wir würden uns gerne platzmäßig vergrößern." Derzeit sei der Betrieb im Wachstum etwas eingeengt. Und auch wenn die Party zum 100-jährigen Jubiläum erst in sieben Jahren ansteht, soll dann schließlich genügend Fläche zur Verfügung stehen. Mehr zum Thema unter #Unternehmensführung www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Knapp hundert Jahre Firmengeschichte mit vier Generationen kann die Spedition Hans Adam Schanz aus Hessen vorweisen. Seit 2015 haben Christine Hemmel und Kerstin Seibert die Geschäftsführung von ihrem Vater Hans-Adam Schanz übernommen und machen den Familienbetrieb fit für die Zukunft. Fast ein Jahrhundert Geschichte 1927 startet Adam Schanz in Ober-Ramstadt sein Fuhrgeschäft mit einem Lkw, zuvor war ein Pferdegespann im Einsatz. Von Anfang an werden hauptsächlich Baumaterialien transportiert. 1960 übernimmt Adam Schanz junior das Unternehmen und beginnt, einen Teil der Kipper auf Planenfahrzeuge im Fernverkehr umzustellen. Damit war der Grundstein für den heutigen Speditionsbetrieb gelegt. Ab 1971 erfolgt die Umstellung des Fuhrparks auf Scania, ein Jahr später steigt mit Hans-Adam Schanz die dritte Generation in den Familienbetrieb ein. Wichtige Veränderungen sind anschließend die Eröffnungen weiterer Niederlassungen in Nürnberg und Dresden sowie der Bau einer neuen Lagerhalle in Ober-Ramstadt. 2015 übernehmen Christine Hemmel und Kerstin Seibert von ihrem Vater die Geschäftsleitung. Heute beschäftigt Schanz 70 Mitarbeiter, darunter 53 Fahrer. Drei davon noch in der Ausbildung. Mit 35 Lkw von Scania, die maximal fünf Jahre alt sind, macht das Unternehmen 2019 einen Umsatz von 8,7 Millionen Euro. Zum Fuhrpark gehören außerdem 40 Wechselbrücken sowie 23 Auflieger. Spezialisiert ist Schanz auf nationale Terminverkehre und Baustellenlogistik in Deutschland. Das Sendungsvolumen beträgt im vergangenen Jahr knapp 45.000 Sendungen. sn

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