EuGH stoppt Tricks bei Sozialabgaben

Ist es bei international tätigen Lkw-Fahrern möglich, das Weisungsrecht in Holland auszuüben und gleichzeitig die günstigen Sozialversicherungsbeiträge in Zypern abzuführen? Der Europäische Gerichtshof hat diese arbeitsrechtliche Frage jetzt mit Nein beantwortet. "Das ist unzulässige Rosinenpickerei", erläutert Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN). Er leitet dort die Rechtsabteilung und bewertet die Entscheidung aus Luxemburg vom 16. Juli 2020 (AZ: C-610/18) positiv. Damit habe der EuGH den missbräuchlichen Methoden einiger Transportunternehmen einen Riegel vorgeschoben, erklärt er. Strittig war die Arbeitgeberstellung Und darum ging es im Rechtsstreit des holländischen Ausgangsverfahrens: Die in Zypern ansässige Gesellschaft AFMB hatte Verträge mit Transportunternehmen in den Niederlanden geschlossen. Darin verpflichtete sie sich gegen Zahlung einer Provision, die Verwaltung von deren Lkw-Flotten zu übernehmen. Sie hatte zudem Arbeitsverträge mit im internationalen Güterkraftverkehr tätigen Lkw-Fahrern mit Wohnsitz in den Niederlanden geschlossen. Diese waren im Auftrag der niederländischen Transportunternehmen in EU- und EFTA-Staaten unterwegs. Zwar erhielten sie ihre Lohnabrechnung aus Zypern, aber die Bezahlung erfolgte aus Holland. In dem Fall war konkret zu klären, welches Unternehmen als Arbeitgeber der betroffenen Lkw-Fahrer anzusehen sei und welche Sozialvorschriften entsprechend gelten. Die Kläger vertraten die Ansicht, dass AFMB aufgrund der ausdrücklichen Nennung in den Arbeitsverträgen als solcher einzustufen sei und deshalb zyprisches Recht gelte. Die niederländische Sozialversicherungsanstalt war hingegen der Auffassung, dass die Mitarbeiter in den Niederlanden der Sozialversicherungspflicht unterliegen. So lautet die Urteilsbegründung Das EuGH stellte nun klar: Transportunternehmen dürfen Sozialstandards im eigenen Land nicht unterlaufen, indem sie Beschäftigte über eine Firma in einem EU-Staat mit geringeren Sozialabgaben einstellen. Unabhängig vom Wortlaut der Vertragsunterlagen sei es daher notwendig zu ermitteln, welchem Arbeitgeber diese tatsächlich unterstehen, wer in Wirklichkeit die Lohnkosten trägt und wer tatsächlich befugt ist, den Arbeitnehmer zu entlassen, argumentieren die Richter. "Was im Arbeitsvertrag steht, kann von der Wirklichkeit abweichen", erklärt Sokolovic. Bei der rechtlichen Bewertung sei allerdings auch praktischen Umständen Rechnung zu tragen. "Diesem Grundsatz folgend kam es dem EuGH im Ergebnis nicht darauf an, wer im Arbeitsvertrag als Arbeitgeber angegeben ist, sondern wer tatsächlich die Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers, also das Direktionsrecht, ausübt." Formal unterliegen international tätige Angestellte, die überwiegend nicht in ihrer Heimat arbeiten, zwar den Vorschriften des Landes, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat. Dies dürfe aber nicht zu rein künstlichen Konstruktionen führen, mit denen Unternehmen beliebig Unterschiede zwischen den Sozialsystemen der EU-Länder ausnutzten, so der EuGH. Ansonsten würde das Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer zur Verlegung des Sitzes des Arbeitgebers rein auf dem Papier missbraucht, um daraus Vorteile für das Geschäft zu ziehen. Indizien sprachen gegen AFMB Wie der EuGH feststellte, waren die betroffenen Lkw-Fahrer vor dem Abschluss der Arbeitsverträge mit AFMB selbst von den Transportunternehmen ausgewählt worden. Zudem hätten die Kunden aus den Niederlanden über die nach Zypern gezahlte Provision faktisch die Lohnkosten getragen. Diese waren schließlich offenbar zur Entlassung befugt und einige der Fernfahrer waren vor AFMB bereits bei ihnen abhängig beschäftigt gewesen. Es handelte sich hier laut dem zuständigen EuGH-Generalanwalt auch nicht um eine Entsendung. Denn AFMB stelle die Arbeitnehmer den niederländischen Frachtführern auf unbestimmte Zeit zur Verfügung, überweise nur Gehalt und führe die Sozialbeiträge an die zyprische Behörde ab. Nach der unionsrechtlichen Klarstellung ist es nun Sache des zuständigen niederländischen Gerichts, über den Fall im Einklang mit dem EuGH-Urteil zu entscheiden. "Die Entscheidung ist auch für andere nationale Gerichte verbindlich, die sich mit ähnlichen Problemen befassen", sagt GVN-Hauptgeschäftsführer Sokolovic. Mehr zum Thema finden Sie unter #Transportrecht www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Unternehmen dürfen Sozialstandards im eigenen Land nicht unterlaufen, indem sie Beschäftigte über eine Firma in einem EU-Staat mit geringeren Sozialabgaben einstellen. Das hat der Europäische Gerichtshof jetzt im Fall von niederländischen Frachtführern entschieden, die Lkw-Fahrer über eine Firma in Zypern beschäftigen. Der Leitsatz des EuGH "Arbeitgeber von im internationalen Güterkraftverkehr tätigen Lkw-Fahrern ist das Transportunternehmen, das diesen gegenüber tatsächlich weisungsbefugt ist, das ihre Lohnkosten trägt und das tatsächlich befugt ist, sie zu entlassen." (Urteil vom 16. Juli 2020, Aktenzeichen C-610/18)

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